Das Werk besteht aus einem durchgehenden Akt, der in neun Szenen unterteilt ist. Jeder der drei Darsteller dominiert ein Drittel des Werkes, beginnend mit Pasiphae, dann folgt der Auftritt des Daedalus, schließlich Ikarus.
Bei meinem Musikschaffen gehe ich schrittweise ans Werk heran. Zuerst skizziere ich die Vokallinien, die nach Beratung mit dem Sänger revidiert werden. So wird festgestellt, wo sie instrumentale Hilfestellung benötigen, um die richtige Tonhöhe zu finden. Davon ausgehend komponiere ich mit den Instrumenten ein harmonisch-rhythmisches Instrumentalgerüst, das als Grundlage für ausdrucksvollere, bildliche Ausgestaltung dient. Wenn elektronische Musik oder ein Band eingesetzt wird, entsteht zuerst dieser Teil. So gehen zum Beispiel alle anderen Elemente von den aufgezeichneten des Minos aus. Jedenfalls wird das Hauptaugenmerk auf die Stimme - so vorhanden - gelegt. Ich glaube nämlich, daß der Text klar verständlich sein muß, deshalb feile ich sehr an der Klarheit und lasse Schlüsselstellen wiederholen. Ikarus ist meine fünfte Oper. Meine erste Oper "Flight" 1965 nach einem Roman Evelyn Eatons geschrieben - zeigt bereits, wie sehr mich das Thema fasziniert. In dieser meiner ersten Arbeit diente eine kommerzielle Flugreise für eine - weitgefaßte Metapher über den Ritus des Übergangs, eine Gemeinschaft unterwegs zum Leben nach dem Tode.
Auch Ikarus behandelt einen Flug in den Tod. Ovid erzählt, daß der Körper Ikarus' nie gefunden wurde. Wir haben uns dieser Behauptung angeschlossen, indem unser Ikarus in jenem Moment fällt, als er der Sonne zu nahe kommt - aber es gibt noch eine mögliche Interpretation, die mir persönlich besser gefällt: Es ist dies der Flug der Seele in Dantes Paradies", - jener Seele, die die Vereinigung mit dem Licht, der Weisheit, dem Leben und ihrem Schöpfer sucht, dargestellt durch die Sonne.
Drei verschiedene Variationen von Musik sind für verschiedene Aufführungen von Ikarus geschrieben worden. Die vorliegende Konzerthalle-Theater-Produktion in deutscher Sprache enthält neben Wiederholungen aus früheren Aufführungen auch einen großen Teil neuer Musik, die in Linz zur Uraufführung gebracht wird. Die musikalische Sprache ist eklektisch. Sie reicht von elektronischer Verfremdung der Stimmen über Jazz zu Folk. Weitere Elemente sind: umgestimmte elektronische und instrumentale Klänge, analoge und digitale Synthesizer, aleatorische Klangfolgen, gesteuerte Improvisationen, Tonreihen, herkömmliche Dreiklangtonalität und schließlich mehrere Variationen von volkstümlichen Weisen - wie ein Marsch - und Trauergesang. Die Charaktere werden sehr unterschiedlich in Musik umgesetzt. Daedalus - eine mächtige selbstherrliche Figur -, eine Zusammensetzung aus Leonardo da Vinci, Bacon, Newton, Edison und Dr. Frankenstein sowie Dr. Moreau - singt Tonfolgen, die eine Vielfalt an Gestik errmöglichen. Der charmante Charakter des Ikarus wird von einem Kinderchor dargestellt, der einen großen Teil der muskalischen Darbietung bestreiten wird. Pasiphae - die leidenschaftliche, facettenreiche Frau, deren Identität und Handlungen alle Teile des Mythos durchdringen - hat das weiteste musikalische Darbietungsfeld - wie Selbstprüfung, Mutterliebe und Begierde. Minos ein stahlharter, verbitterter alter Mann wird von einer elektronisch verfremdeten Sprechstimme präsentiert. Der Minotarus wird durch Posaune und Horn als Verbindung von klingenden und geräuscherzeugenden Spieltechniken dargestellt.
Ikarus wurde im September 1978 am "Mall" in Washington, D. C., uraufgeführt. Unter dem Arrangement des "Center for Advanced Visual Studies, M.I.T." war sie der Höhepunkt der Außenaufführungen bei "Centerbeam". Obwohl sehr stark an die Vorlage von Ovid angelehnt, enthielt die Szenenfolge auch andere Texte, die, wie ich glaube, zum Thema im Einklang standen, und zwar Auszüge aus Werken Gertrude Steins, E. A. Hausmans und Friedrich Nietzsches. Otto Piene und ich haben das Konzept weiterentwickelt, unter Einbeziehung von Performern, die mit visuellen Medien und Luftskulpturen arbeiten und die wir auch schon bei anderen Werken eingesetzt hatten. Bei der Biennale für Visuelle Kunst und Graphik 1979 in Wien und im Jänner 1982 haben wir gleichsam mit ihnen die Labyrinthszene ausgestattet, wobei wir Laser, Musik und aufblasbare Skulpturen eingesetzt haben.
Im September 1981 wurden Szenen aus Ikarus bei der ersten SKY ART Conference beim M.I.T. aufgeführt. Dabei "flog" Daedalus durch eine Kombination von live performance und überlagerten Videobildern. Für die SKY-ART-Konferenz in Linz 1982 hat Ian Strasfogel ein neues Szenarlo und neue Texte geschaffen. Drei neue Charaktere (Minos, Minotaurus und Pasiphae) werden zu den bereits bestehenden Charakteren eingeführt. Otto Piene hat den neuen Text ins Deutsche übertragen. Diesen werde ich als Grundlage für die Aufführung bei der Ars Electronica heranziehen.