Die elektronischen Gedächtnisse werden zweifellos bisher nicht völlig durchsichtige Folgen haben. Zwei Folgen können bereits ziemlich deutlich vorausgesehen werden: Sie werden die Struktur der künftigen Geschichte formen, denn sie werden ein diszipliniertes Lager, ein Rekombinieren der Gelagerten und ein bequemes Abberufen des Gelagerten gestatten. Und sie werden eine wahre Explosion der Kreativität hervorrufen. So revolutionär diese beiden voraussichtlichen Folgen der elektronischen Gedächtnisse sein mögen, so bergen diese noch andere, womöglich noch umstürzlerischere Virtualitäten. Eine dieser weniger voraussichtlichen Folgen der elektronischen Gedächtnisse soll hier bedacht werden.
Gedächtnis kann als lnformationsspeicher definiert werden, zumindest in dem Zusammenhang, der hier gemeint ist. So verstanden, sind Gedächtnisse überall in der Natur aufzufinden. Gespeicherte Informationen schweben wie Inseln im allgemeinen Strom zur Entropie hin, sie sind zufällig daraus emporgetaucht, und werden notwendigerweise darin wieder untertauchen. Beispiele für derartige Gedächtnisinseln (die beinahe so alt wie das Universum selbst sind) sind Wasserstoffatome und galaktische Systeme. Ein eindrucksvolles Beispiel für einen derartigen negativ-entropischen Epizyklus, der auf der geradlinigen Tendenz zur Entropie aufsitzt, bietet die Biomasse. Sie ist vor einigen Tausenden von Millionen Jahren zufällig auf der Erdoberfläche aus der Entropie aufgetaucht, sie besteht aus kleinen Tropfen, in deren komplexen Molekülen genetische Informationen verschlüsselt sind, und wir selbst sind Auswüchse aus dieser Biomasse. Die in den Tropfen gespeicherte Information wird dank Kopierung weitergegeben, und bei diesem Kopieren entstehen immer wieder Fehler. Die meisten dieser Fehler werden aus dem Gedächtnis der Biomasse ausgeschieden ("lebensunfähige Mutationen"), einige wenige hingegen verbleiben im Gedächtnis und bilden die "Evolution des Lebens". Das heißt: die Biomasse prozessiert die in ihr gelagerten Informationen dank fehlerhaftem Kopieren, und dadurch entstehen neue Informationen. Das ist ein gegenwärtig interessant werdendes Faktum. Die genetische Technik kann als der Versuch angesehen werden, erworbene Informationen in der Biomasse zu speichern. Aus der Biomasse ein kulturelles Gedächtnis zu machen. Falls man diese Technik als eine Kunstform ansieht (und die von ihr hergestellten Chimären als Kunstwerke), dann müssen die künftigen Künstler mit der Tatsache rechnen, daß das Gedächtnis der Biomasse Fehler begeht, daß man ihr nicht vertrauen darf.