Ein Treffen - in jedem Sinne des Wortes - zweier waghalsiger und eigenwilliger Geister, im Grunde beruhend auf einer tiefen Gemeinsamkeit: eine Begegnung, die sich entlang eines Weges vollzieht, der begleitet ist von den (ästhetischen und ideologischen) Vorurteilen beider Künstler.
Worin besteht nun die Gemeinsamkeit? Wie definiert man die Verwandtschaft zweier so verschiedener und auseinanderstrebender Energien? Enzo Cosimi hat diese in einem Interview für das Programm der Premiere beim Festival di Rovereto 1987 so erklärt: Für seine Choreographie spricht Cosimi von einer "abstrakten Erzählung". Er erklärt detailliert seine immerwährende Suche nach einer stark dramatischen Dimension, die aber immer auf "einer ausschließlich abstrakten Auffassung von Tanz" beruhen soll. Es gibt keine "Story" im erzählerischen Sinne: Im Werk kommt kein Abschnitt mit einer "klassischen" Handlung vor. Aber aus den abstrakten Kodices des Tanzes, manipuliert und wiedereingeführt, bis sie bar jeder formallstischen Kälte sind, entwickelt der junge Choreograph seine Darstellung starker Gefühlswelten, seiner Emotionen: unwirtliche "innere Landschaften", ihre eigene Brutalität widerspiegelnd und somit frei von Ästhetizismen, frei von jeder Lieblichkeit und Leichtfertigkeit, fern aller Künstlichkeit. Alles in allem verwendet Enzo Cosimi die Technik in "heiBem" Sinne: wild, leidenschaftlich.
Fabrizio Plessi baut ebenfalls eine auf einen Angelpunkt konzentrierte Welt auf das Herz eines Gedankens, auf eine Konstante: die "heiße" Technologie. Und genau in diesem Bereich bewegt sich Plessi - wenn auch mit anderen Mitteln - auf derselben Ebene wie Cosimi. Plessi "verwendet" die Technik, wie Cosimi den Tanz "verwendet". Plessi manipuliert diese Technik, erforscht sie, vergewaltigt sie, um sie neu zu definieren und zu sprengen. Durch einen ernsten und strengen Diskurs (mit den Mitteln, den Instrumenten) vermittelt Plessi - immer minimalistisch - durch seine Videoinstallationen starke Bilder innerer Zustände von ausdrucksvoller Emotionalität: In all ihrer Gewaltsamkeit beschreibt er extreme emotionale Dimensionen. Und er sublimiert sie, läßt Poesie daraus werden.
Für SCIAME hat Plessi Szenen aus metallischen Quadern konstruiert, teils in Übereinstimmung, teils außerhalb des Bewegungsraumes der Tänzer. In der Mitte enthält ein größerer Quader eine quadratische Struktur, einen Rahmen aus Fernsehschirmen, der erst kurz vor Ende des Werkes sichtbar wird, wenn die ihn verkleidende Metallplatte wie eine Zugbrücke zu Boden geht. Und erst dann erkennt man, daB diese Bildschirme belebt sind: teils mit Live-Aufnahmen (eine versteckte Kamera verfolgt die Bewegungen eines nackten Tänzers - Cosimi selbst), teils auch mit Aufzeichnungen (technische Bilder, die wirklich "heiß" und vital sind. Milch und Wasser, jenes Wasser, das in allen Arbeiten Plessis wiederkehrt). Objekte und Szenen unterstreichen alle Aktionen von Sciame: Leitern, Schaufeln, Kübel, Halseisen, Roste. Ungefüge Elemente einer primitivistischen mittelalterlichen Umwelt-Alchemie, ein Kosmos, durchwandert von einem rauhen Klang, einem Ton aus Säure, von einer immerwährenden und finsteren Besessenheit im Hintergrund. Wie die Bienen eines gefangenen Schwarmes tanzen die Darsteller als geschlechtslose, mönchische Gestalten im groben "bäuerlichen" Gewand ihre inneren Spannungen, eine unerträgliche Härte des Seins, ein Netz aus unauflöslichen Gegensätzen, eine Besessenheit, die sie in einen Kerker trockener Handlungen einspannt. Jedes Vergnügen an der Körperlichkeit, an der Bewegung ist ihnen genommen: ein diffuses Gefühl der Bestrafung, der Schuld schlägt wild in Sciame, mit einem Schrei bedruckten Seinsbewußtseins, wie das Pulsieren einer Angst ohne Liebe.
Daraus entsteht ein zwiespältiges Universum, schwer,
zeitweilig sogar irritierend durch das Fehlen jeder
"Schönheit", durch die Streichung jeder morbiden, aber
Sicherheit gebenden Spektakularität. Aber er ist ebenso faszinierend
und verführerisch wie irritierend, dieser Weg von quälender
Ambivalenz, dieses grausame Erlebnis "verschärften"
Tanzes, diese Invasion emotionaler Entladungen in Dynamik und Gestus,
diese immer noble und imponierende Inszenierung. Von barbarischer
Schönheit, von königlicher Essentialität.
Leolietta Bentivoglio