Mit der Metapher "Erdbeben" umschreibt Baudrillard die seiner Meinung nach typische "Form der Katastrophe" in der Gegenwart. Anstelle des Spiels von Vernichtung und Auferstehung ("Vulkanausbruch"), tritt das Aufsprengen fast untrennbar verbundener Dinge, die rissige Oberfläche, die sich verschiebt, verändert, auseinanderdriftet. Baudrillard: "Dies alles macht uns mit dem horizontalen Zeitalter der folgenlosen Ereignisse vertraut, wo der letzte Akt leicht parodienhaft durch die Natur selbst inszeniert wird."
Es handelt sich hier nicht um die Sintflut, sondern vielmehr um eine Urkatastrophe als Beginn der Welt; also genau um die großen legendären und mythischen Formen, die uns dauernd beschäftigen. Die Explosion, die als Form(prinzip) in der Besessenheit nach der Nuklearkatastrophe kulminierte, erscheint uns gegenwärtiger zu sein (umgekehrt hat sie aber auch den Mythos vom großen Urknall (Big Bang) als dem Ursprung des Universums genährt). Das Erdbeben, die seismische Form, hat, so könnte man sagen, einen modernen und aktuelleren Charakter, was wieder einmal bestätigt, daß die Katastrophen sich ihrer jeweiligen Kulturform anpassen. So unterscheiden sich auch die Städte durch eine sie bedingende Form der Katastrophe, die jeweils ihren lebhaften Reiz ausmacht. New York, das ist King-Kong, black-out und die vertikale Bombardierung. Tower-Inferno. Los Angeles repräsentiert einen horizontalen Bruch und das Abgleiten Kaliforniens in den Pazifik. Earth Quake.
Heute haben wir es mit einer unserer Erinnerung näher liegenden Form zu tun: sie gehört zum System der Spaltungen und unmittelbaren Ausbreitung; zu vergleichen mit einem Wellensystem, einer Ordnung des Spasmischen und der direkten (polaren) Vertauschung. Der Himmel fällt einem nicht mehr auf den Kopf, doch rutscht einem jetzt der Boden unter den Füßen weg.