Die politische Dimension des Werks von Dan Graham ist seit jeher ablesbar und hat sich in Umsetzungen wie der medial orientierten Arbeit "Schema" bereits früh als wesentliches Anliegen gezeigt. Dieses Werk besteht aus einer Liste von Anleitungen für die Komposition von Gedichten, die aus Zeitungsannoncen vom Herausgeber des jeweiligen Mediums zusammengestellt werden. So, wie sich bei dieser Arbeit die Erscheinungsform von Ausgabe zu Ausgabe völlig verändert, der Rezipient also jedesmal eine völlig andere Sichtweise desselben Werks einnimmt, so spielen die Pavilions von Dan Graham mit ihren Glas-, halbdurchlässigen und verspiegelten Scheiben ebenfalls mit dem Verhältnis von Beobachter und Objekt. Die jeweilige Position des Betrachters bestimmt nicht nur seinen momentanen Standpunkt, sondern verändert das Werk (Objekt) dadurch gleichzeitig in der Art seiner Präsenz. Der Part des Betrachters wird gleichsam zu dem eines Performers, der das Objekt seiner Kontemplation erst erschafft. Die Tatsache, daß es vorher schon da war, wird damit in Frage gestellt, da das, was da war, etwas anderes ist.
Hier stößt man nun auf jene Fragen, die die Endophysik mit ihrer Deklamation der"Welt von Innen" aufwirft: welches Bild von der Welt haben wir uns gemacht, damit wir es so sehen, wie wir es tun - oder besser: wo befindet sich jene Schnittstelle, in die wir uns begeben bzw. zu der wir selbst werden müßten, um gleichsam einen exogenen Blick auf eine Welt werfen zu können.
In seiner Art hat das Dan Graham bereits in den siebziger Jahren mit Projekten wie "Present Continuous Past(s)" (1974),"Two Viewing Rooms" (1975) oder "Public Space, Two Audiences" (1976) getan, vor allem aber mit seinen Performances "Performer / Audience Sequence" (1 974) und "Audience Performer, Mirror" (1977). Dort erschafft erst die Reaktion des Publikums das, was der Performer erzählt (welche Welt er kreiert), seine Worte wiederum beeinflussen das Verhalten und die Sichtweise des Publikums. Jeder spiegelt sozusagen den anderen, was zu einer unendlichen Koppelung des Bildes / Ergebnisses führt. So wie in "Present Continuous Past(s)" der "Bildschirm im Bildschirm im Bildschirm () nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit an ihre abgründige Grenze (bringt)" in deren "Fluchtpunkt sich die unendliche Vergangenheit befindet" (de Duve), so ist auch dieser Fluchtpunkt imaginär. Die Entropie von Zeit und Raum wird dabei nur durch einen seitlichen, zusätzlichen Spiegel aufgehoben, der dem Betrachter das "Heraustreten" aus seiner "Welt" ermöglicht. Genau an dieser Stelle, in dem Moment, wo sich der Betrachter vom gespiegelten Video-Bild abwendet, entsteht eine Art "Schnittstelle", die das Innere (= das entropische gespiegelte und zeitversetzte Videobild) und das Äußere (= die Reflexion in den seitlichen Spiegel) verbindet / trennt. Fast könnte man meinen, die Frage nach einer naturwissenschaftlich-philosophischen Erklärung für die "Welt von Innen" sei schon längst von der Kunst geklärt worden. Dan Grahams verspiegelte, halbdurchlässige Pavilions jedenfalls lassen den Betrachter die Erklärung intuitiv erahnen.
Katharina Gsöllpointner
Quellen:
Dan Graham: Pavilions. Bern 1983
Dan Graham. Katalog. ARC, Paris 1987
Brian Hatton: Dan Graham. Present Continuous. In: ARTSCRIBE. London
Dec.1991
Das Projekt wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung der Galerie Isy Brachot, Brüssel, und von Nicole Klagsbrun, NYC.
DER ENDOGENE BLICK
Zeitgenössische Videokunst in Dan Graham's
"Three-Linked-Cubes"-Pavilion
"Wir dürfen nicht so weit kommen, nicht so weit gehen,
daß wir in allem und jedem und hinter allem und jedem eine
Merkwürdigkeit vermuten, etwas Rätselhaftes, Bedeutungsvolles
(...). Alles ist das, das es ist, sonst nichts.'
(Thomas Bernhard "Korrektur", 1975)
Als horizontaler Lauftext, der mittelachsig zwei sich kontrastierende Bilder kreuzt, zitiert Shelly Silver in "We" einen von Wittgensteins "Tractatus" ("l.Die Welt ist alles, was der Fall ist.")sichtlich beeinflußten Thomas Bernhard. Der Penis eines masturbierenden Mannes in Großaufnahme und eine hektische Straßenszenerie als Parallel-Images zeigen lediglich "was der Fall ist". Alles andere, jede Bedeutung, Vermutung, Assoziation ist Interpretation und als solche austauschbar, beliebig. "Alles, was wir sehen, könnte auch anders sein. Alles, was wir überhaupt beschreiben können, könnte auch anders sein."Wir betrachten Shelly Silvers Video im Spiegelglas von Grahams Pavillion und finden die beiden Bilder vertauscht - der Penis anstelle der Straßenszene und umgekehrt. Natürlich wandert die Bedeutung mit den Bildern. Das Banale ist immer noch banal und das Pornographische immer noch pornographisch. Unser "innerer Ordner", eine a priori-Matrix aus angelernten Werten und Zeichen macht uns die Bilder sehen wie wir sie sehen: als Repräsentanten eines bestimmten semantischen Systems, Spiegelungen einer "Vor-Welt". Wir (be)schreiben die Welt täglich als eine reale und erschaffen sie damit gleichzeitig. Wir sind selbst unsere Welt und damit sind alle Bilder der Welt die unseren. "Die Welt und das Leben sind Eins. 5.63 Ich bin meine Welt. (Der Mikrokosmos)."
Gerald Harringer