"Das Forschungsgebiet Artificial Life widmet sich der
    Gestaltung und Erforschung lebensähnlicher Organismen
    und Systeme, die von Menschen geschaffen wurden.
    Die Natur dieses Materials ist anorganisch, ihr Kern
    ist Information, und Computer sind die Brutkästen,
    die diese neuen Organismen hervorbringen.
    Ebenso wie die medizinische Forschung es geschafft hat,
    Lebensvorgänge teilweise in Reagenzgläsern "in vitro"
    ablaufen zu lassen, so hoffen die Biologen und
    Computerspezialisten, Leben "in silicio"
    (in Siliziumchips) zu erschaffen."
     

        Peter Weibel

        LEBEN - DAS UNVOLLENDETE PROJEKT

        Seit Turing wurde die Frage "Was ist Leben?" zu einem Diskussionsgegenstand unter Computerwissenschaftern. Leben verlor (wie das Gehirn) seinen "natürlichen carbonbasierten Kontext". Auf die Geburt der künstlichen Intelligenz folgte das Konzept des künstlichen Lebens, sei es als ein Leben ohne natürliche Substanzen, als computersimuliertes dynamisches System mit reproduktionsfähigen, energie und informationsaustauschenden, sich selbst erzeugenden, wie steuernden und wachsenden Zeichenketten (Zeichenwesen) in Bild und Ton wie auch in 3-dimensionaler materialer Ausführung (z.B. Roboter), sei es durch Interventionen im genetischen Code bis zu Organtransplantationen. In diesem künstlichen Kontext des Lebens sind alte Träume der Menschheit wie Langlebigkeit, Modifikationen der physischen Erscheinung wie der geistigen Fähigkeiten, Vorsorge vor Krankheit, Schutz vor inneren und äußeren Fehlentwicklungen, Schaffung von Leben selbst, näher gerückt. Die künstliche Erzeugung von Leben kann von der Hardware wie von der Software-Seite in Angriff genommen werden. Das Problem dabei ist, lebende Organismen aus nicht-lebendigen Elementen zu erzeugen. Die erste Synthese organischer Moleküle durch Wöhrer vor mehr als 100 Jahren war ein wichtiger Schritt in Richtung künstlicher Re-Kreation des Lebens, aber da er von der Hardware-Seite kam, nicht ausreichend. Die Lösungen von der Software-Seite, die Leben als System-Eigenschaft und dynamischen Prozeß definieren, scheinen erfolgversprechend. Künstliches Leben ist also nicht bloß die Simulation von Lebensvorgängen auf dem Computer (vom Wachstum der Zellen bis zu virtuellen Ameisen), sondern die Idee, daß die "Synthesis des Lebens", die künstliche Erzeugung des Lebens durch den Menschen nicht auf der Basis von Materie allein gelingen wird, daß es also erstens nicht natürliche Materialien (wie Golems Lehm bis zu den Carbohydraten und Proteinen von heute) sein müssen, und daß zweitens vor allem das Programm, die Software, das Leben von allen anderen Naturphänomenen unterscheidet.