Abgesteckt ist das Spiegel-Stadion auf der einen Seite durch einen Spiegel, dessen Transparenz und Schärfe variabel ist, und auf der gegenüberliegenden Seite durch eine Ebene, in die die Laserdisksequenz eines betrachtenden Auges eingespiegelt ist. Zwischen Spiegel und Auge bewegt sich der Betrachter, der nach einem getreuen Abbild seiner selbst unterwegs ist. Wenn er sich dem Goldrandspiegel nähert, um sich selbst schärfer zu fassen, wird er feststellen, daß sein Spiegelbild verschwimmt. Verantwortlich für diese diffuse Selbsterfahrung ist die Vernetzung eines Ultraschall-Sensors, der die Entfernung des Betrachters zum Spiegel mißt, mit einem PC, der über einen Dimmer die Transparenz und Abbildungsschärfe des Spiegels reguliert. Unmittelbar vor dem Spiegel kriegt der Betrachter sein Bild nicht zu fassen. Der Gegenstand ist - mit Kierkegaards Wort - der Sehnsucht zu nahe, "so nahe, daß er in ihr ist".
Es ist auch die Erfahrung des mythologischen Spiegelklassikers, die diese variable Fokussierung des Selbstbilds inszeniert: Auch für Narkissos war das eigene Spiegelbild eine überraschende und späte Erfahrung seines Wanderns. Eine Erfahrung, die ihm wie dem Betrachter von Electronic Mirror 2 unterwegs zuteil wurde. Dieser Urszene einer Spiegelerfahrung und ihrer tödlichen Kosequenz begegnet Electronic Mirror 2 jedoch computergesteuert mit Entzug: Das Spiegel-Stadion verhindert das selbstverliebte Hineinfallen ins eigene Bild. Das Wiedererkennen des Selbst an einem bestimmten Ort der Blickachse setzt Distanz voraus und ist in eine andere Urszene eingelassen: Es ist gekoppelt mit dem zusehenden, anerkennenden Auge eines anderen. Tatsächlich liegt der Punkt, der das Selbstbildnis des Betrachters in voller Schärfe zeigt, genau auf der Mittelachse des Raums, bei dessen Betreten sich das Auge öffnet.
Susanne Craemer