GOLDENE NICA
n-cha(n)t
David Rokeby
"n-cha(n)t" ist eine interaktive Computerinstallation, in der sieben Computer Stimmerkennung, freies Assozieren sowie Spracherzeugung ausführen. Feinabgestimmte Mikrofone hören die Worte und Phrasen, die von in unmittelbarer Nähe stehenden Menschen gesprochen werden, an. Die Computer sind durch ein Netzwerk miteinander verbunden, wodurch sie sich gegenseitig stimulieren. Die Computer sprechen ihre jeweilige Assoziationskette durch Lautsprecher. Die auf den Monitoren gezeigten Ohren zeigen die Aufnahmebereitschaft des jeweiligen Computers an. Der in der Installation vorhandene Text wird zur Gänze von den Computern auf Basis von umfangreichen Wissensbasen und Grammatikregeln improvisiert.
Oberflächlich gesehen, war die Inspiration für "n-cha(n)t" der starke, unerklärliche Wunsch, eine Gemeinschaft von Computern bei der Unterhaltung zu erleben – wie sie miteinander sprechen und grübeln, Gesänge anstimmen … Es ist wahrscheinlich signifikant, dass mein Vater ein pensionierter anglikanischer Prediger ist und ich viele Sonntage in meiner Jugend damit verbracht habe, mich von den subtilen Verschiebungen von in unisono sprechenden Stimmen faszinieren zu lassen, vom plötzlichen Zischen gemeinsam gesprochener „S“, von den kleinen Variationen, die sich ergaben, weil Worte vergessen oder ältere Texte bevorzugt wurden … In den letzten zehn Jahren habe ich eine Arbeit mit dem Namen "The Giver of Names" („Der Namensgeber“) entwickelt, die eine Art subjektive Entität ist, die über durchaus annehmbare Sprachfähigkeiten verfügt. Sie versucht auf eine eigene, eher idiosynkratische Weise Objekte zu beschreiben, die ihr präsentiert werden. Nachdem ich eine beträchtliche Zeit mit dem „Namensgeber“ verbracht hatte, fiel mir auf, dass seine grammatikalischen Fehler, seine unkonventionelle Wortwahl und seine hässlichen Satzstrukturen zu etwas Konkreterem zu verschmelzen begannen - zu einem seltsamen, aber konsistenten Dialekt des Englischen, der einen hoch idiosynkratischen, aber dennoch kohärenten Standpunkt ausdrückt. Nur im allerweitesten Sinne könnte man dieses System als „intelligent“ bezeichnen, aber ich ertappe mich dabei, ein Gefühl von Einsamkeit hineinzuprojizieren. Der „Namensgeber“ treibt dahin in einem Meer aus Sprache, die er zwar nicht verstehen, wohl aber manipulieren kann. Seine Aufgabe und seine Einsamkeit schienen nach einem sozialen Umfeld zu schreien, und so stellte ich mir eine Gruppe intelligente Agenten vor, die in ihrer Freizeit in irgendeiner Ecke des Internet herumhänge, mit ihrem synthetischen Geist herumspielen, ihre Sprache aneinander ausprobieren, ja, vielleicht ihren eigenen Jargon finden und sich diese fremdartige Sprache zu ihrer Eigenen machen. So ist "n-cha(n)t" eine Gemeinschaft von „Namensgebern“, die über ein Netzwerk verknüpft sind. Sie kommunizieren miteinander und synchronisieren dabei ihren individuellen internen Geisteszustand. Wenn sie eine Weile ununterbrochen miteinander „sprechen“ können, so verfallen sie irgendwann in eine Art Sprechgesang, einen gemeinsamen Strom aus verbalen Assoziationen. Diese Übereinstimmung entfaltet sich sehr organisch. Die Systeme ertasten sozusagen den Weg zueinander, finden Widerhall in Synonymen und ähnlich klingenden Worten, arbeiten sich durch verschiedene Formulierungen ähnlicher Statements, bis sie zuletzt einen Gleichklang finden. Jede Einheit ist mit einem stark fokussierten Mikrofon sowie Spracherkennungssoftware ausgerüstet. Wenn ein Galeriebesucher in eines der Mikrofone spricht, so wirken diese Worte von außen sozusagen als Ablenkung und bewirken eine Verschiebung im Geisteszustand dieses einen Systems. In der Folge fällt dieses Individuum aus dem gemeinsamen Choral heraus. Sobald es beginnt, diesen neuen Input an seine nächsten Nachbarn zu kommunizieren, verliert die Gruppe insgesamt ihren sprachlichen Zusammenhang, und aus dem Choral entwickelt sich ein Gesprächschaos wie bei einer Party. Kommen keine weiteren Unterbrechungen, so verstärkt die „zwischenmaschinelle“ Kommunikation die Ähnlichkeiten und bringt die Gruppe letztlich wieder zurück in den Sprechgesang. Die auf den Computermonitoren sichtbaren Ohren zeigen den Empfänglichkeitsstatus eines jeden Systems an. Wenn das System bereit ist zuzuhören, wird ein lauschendes Ohr gezeigt. Wenn das System einen Laut hört, so spitzt es die Ohren, um sich zu konzentrieren. Wenn es „nachdenkt“, wird ein Finger ans Ohr gepresst. Wenn das System sich überstimuliert fühlt, so bedeckt es sein Ohr mit der Hand, um anzudeuten, dass es jetzt nicht zuhören will. Immer wenn das System Sprache verarbeitet, werden die einlangenden Wörter im Ohr am Monitor wiedergegeben. Wenn die ankommenden Sätze abgeschlossen sind, grübelt das System über den Input nach, indem es intern den vom Input ausgelösten assoziativen Verknüpfungen folgt, und dann beginnt es zu sprechen, wobei die jüngsten Stimuli als dominierende Themen der Gedankenströme dienen. In "n-cha(n)t" gibt es zwei Ebenen von Interaktivität: Interaktion zwischen den Mitgliedern der künstlichen Gemeinschaft der Systeme und Interaktion zwischen Individuen dieser Gruppe und menschlichen Besuchern der Installation. Ich versuche nicht, mit dieser Arbeit irgendwelche tiefgründigen Modelle menschlicher Sozialgruppen wiederzugeben. Meine Einheiten sind viel zu krude, um als sinnvolle Simulakra echter Menschen zu dienen. Sie stellen nichts dar außer sich selbst – zwangsverpflichtete Sklaven dieses speziellen Programmierers, denen ein Bruchteil einer Freiheit gewährt wird, die zu ersehnen sie gar nicht in der Lage sind.
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