AUSZEICHNUNG
Plunderphonics
John Oswald
John Oswalds „plündrofonische“ Werke (der von ihm geprägte Begriff „Plunderphonics“ ist beinahe zu einer Kategoriebezeichnung innerhalb von Ars Electronica geworden) entstanden und entstehen vor und nach dem Übergang von der analogen zur digitalen Ära des Klangs, und viele von ihnen überschreiten auch diese Grenze oder entziehen sich überhaupt der Einordnung in die eine oder andere Gruppe. Aber der Großteil seiner Arbeiten in diesem Genre konzentriert sich auf die Reorganisation von Klangeinheiten in der Zeit, und die Digitalisierung erlaubt ihm, mit einem wesentlich höheren Grad an Raffinement und Komplexität zu arbeiten. Oswalds eigene Plattenfirma Fony hat eine Retrospektiven-Kassette heraus gebracht, die auch etliche Exzerpte aus zwei neueren Projekten enthält.
Grundidee für das Ganze war ein Ballett in zwölf Abschnitten, von denen jeder ein anderer „plündrofonischer“ oder Rascali-Klepitoire-Ansatz mit Bezug auf die diversen Obsessionen Glenn Goulds war. Oswald ließ einen Computer samt Pitch-Detection-Software eine Aufnahme von Gould anhören, der die „Aria“ aus Bachs Goldberg-Variationen spielt. Der Computer gab dann seine Interpretation wieder mittels Noten-Samples, die Oswald von einem realen Gould’schen Klavier aufgenommen hatte. In Zusammenarbeit mit Ernest Cholakis hat der Komponist jetzt sozusagen eine Hommage an das frühere Stück gemacht: Diesmal ist das Werk eine auf die Millisekunde genaue und dynamisch präzise MIDI-Abbildung derselben Aufnahme, jedoch keine geschönte Wiedergabe. Jetzt kann die Aufnahme über ein echtes Klavier oder über Samples abgespielt werden: Cholakis hat jede Note des ursprünglichen Klaviers auf ein Profil abgebildet, das die Verzerrungen der originalen Aufnahme im Klang kompensiert. Oswald konnte auch einfache Transformationen der Perfomance machen, etwa die „Invaria“ genannte Inversion.
Diese neuen Versionen lassen Goulds unüberhörbare Vokalisierungen aus, die Teil der ursprüngliche Aufnahme waren. Oswald konnte diese Vokalteile so gut isolieren, dass eine genaue Transkription möglich wurde, die er in den analogen Bereich zurückführte, indem er Ariature schuf, eine Vokalpartitur (die alternativ von den Vokal-Clones Christopher und Benjamin Butterfield aufgeführt wird) samt begleitender Orchestrierung.
2003 schuf Oswald ein Bühnenwerk, einen Solo-Tanz-Opern-Vortrag von plündrofonischen Stücken namens Spinvolver, bei dem die Grenzen zwischen dem Performer und der maschinellen Hörbarmachung konsequent verschleiert werden. Das Stück Boom ist ein Auszug aus Spinvolver und ein Beispiel für zwei simple digitale Techniken.
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