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Prix1999
Prix 1987 - 2007

 
 
Veranstalter:
ORF Oberösterreich
 


GOLDENE NICA
Linux
Linus Thorvalds


Linus Thorvalds konzipierte "Linux" als sogenanntes "Open Source"-Projekt, d.h. der Programmcode war für jedermann zugänglich und einsehbar - noch dazu gratis. Durch die Veröffentlichung im Internet fand Linus Thorvalds schnell eine Reihe kompetenter Mitstreiter, die auch die Arbeit an diesem neuen Betriebssystem aufnahmen. Innerhalb weniger Jahre wurde Linux zum meistbenutzten Unix-Clone auf handelsüblichen PCs. Die Tatsache, daß Linux eines der ersten Produkte aus dem Cyberspace des Internet ist, das enorme Auswirkungen auf die "reale" Welt hat, war eines der wichtigsten Argumente für die Jury, neben der Tatsache, daß Linux in dieser Form nur im und mit dem Internet entstehen konnte.

Es ist nicht leicht, ein künstlerisches Statement über ein Betriebssystem zu formulieren. Auch wenn ein Betriebssystem ein Kunstwerk sein kann (ich bin natürlich der Meinung, daß Programmieren eine künstlerische Komponente besitzt), ist ein Betriebssystem an sich nicht sehr kunstvoll.

Das Interessanteste an Betriebssystemen (abgesehen vom rein technischen Aspekt, den ich persönlich natürlich unglaublich interessant und herausfordernd finde), ist für mich das, was sie Menschen und anderen Programmen ermöglichen. Ein Betriebssystem kann alleine nicht sehr viel bewirken, doch ohne Betriebssystem könnten die augenfälligeren Teile der Computer-Software schlichtweg nicht funktionieren.

In einem eher "künstlerischen" Sinn könnte man das Betriebssystem vielleicht mit den verschiedenen Pigmenten und Farben vergleichen, mit denen ein Bild gemalt wird: Sie sind zwar nicht das Bild an sich, doch sie sind ein ziemlich wesentlicher Bestandteil davon - und viele große Künstler verbrachten viel Zeit mit der - oft händischen - Herstellung ihrer Farben, um das Bild genau ihren Vorstellungen entsprechend gestalten zu können.
Linus Torvalds

Der Weg des Pinguins: Die Linux-Position

Zwei Berufe habe ich im Großteil meines erwachsenen Lebens ausgeübt: Journalist und Marketing-Experte. Um ehrlich zu sein, sollte letzterer haupt sächlich den ersteren sublimieren. Dadurch wurde ich zum Marketing-Experten der besonderen Art - einer, der den Aufgaben des Marketings mit journalistischer Skepsis begegnet. Bei jeder Sitzung stellte ich anscheinend immer wieder die gleichen zwei Fragen: "Worum handelt es sich? Was ist die Ge schichte?"

Die meisten Firmen, besonders diejenigen in der Welt der Technologie, haben kein Interesse an einfachen Antworten auf einfache Fragen. Sie schaffen "Lösungen" statt Produkte und "Managementfolgerungsmaschinen" statt Tabellenkalkulationen. Außer dem wollen sie, daß ihre Geschichten aus schließlich aus glücklichen Anfängen bestehen.

"Journalisten schreiben Geschichten," pflegte ich zu sagen, "und Geschichten beginnen nicht mit Sie lebten glücklich vom Anfang an. Sie fangen bei einer Figur mit einem Problem an. Erst am Ende kommt die Lösung, und dorthin will man nie gelangen, sonst findet der Autor irgendeine andere Ge schich te zu schreiben."

Mit dieser Einstellung kam ich allerdings nicht sehr weit. Was mir jedoch etwas nützte, war die Arbeit mit der Hauptfigur. Dies nannte ich "Positionieren", und ich war nicht der einzige.

Hotbot findet im Web 233,780 Seiten, die das Wort "positioning" beinhalten. Wenn ich GPS und andere nicht Marketing-relevanten Bedeutungen davon abziehe, bleiben noch 26,940 Seiten, die beinahe ausschließlich von Marketingberatungsfirmen stammen, welche "strategische Verteilungsanalysen", "das neueste Modell für Planungsberichte", "Startprogramme für Kampagnen", "Studien zur Performancewirkung", "Nebenmarktoptionen", "Marktdurchdringungsanalysen", "Verteilung von ausgelagerten MitarbeiterInnen" und ähnlichen in schwülstiger verschleierter Sprache verpackten Unsinn verkaufen.

Kein Wunder, daß Linux ein Hit ist. Es ist eine Haupt figur mit einer Geschichte, die keine dieser 27.000 Agenturen - auch meine nicht - jemals hätte erfinden können. Wer könnte denn angesichts Microsoft, dessen Software auf beinahe je dem Computer in Sichtweite läuft und dessen Marktwert das BNP der südlichen Hemisphäre übersteigt, ernsthaft noch von "Weltbeherrschung" und "Software, die kein Scheiß ist" reden? "Weißt du, es war einmal ein Typ aus Finnland, und da kam irgendwie auch ein Pinguin vor ...

" So eben nicht.Was wir also mit Linux haben, ist mehr als das erste groß angelegte Open-Source-Betriebssystem der Welt. Es handelt sich hier um den ersten Markt erfolg der Welt, der nicht auf Marketing zurückgeht. Das sollten wir uns genauer anschauen.

Mit Linux tat ich genau das gleiche wie früher für meine Klienten. Ich untersuchte, wie die Kunden der Linux-Botschaft - die Analytiker, Journalisten und Redakteure der Welt - seine Eigenschaften beschreiben und seine Geschichte erzählen. Mit AltaVista (http://www.altavista.com/) suchte ich nach den Seiten, die die Phrase "Linux is ..." enthalten und fand über 27.000. Indem ich den Links der ersten fünfzig folgte, fand ich folgende Antworten, aus denen ich vier Möglichkeiten zur Darstellung des Linux-Charakters ableite:

Beschreibungen (irgendwo muß man anfangen)

Ein Open-Source UNIX-Klon / ein frei erhältlicher UNIX-Klon / ein UNIX-Klon /ein vollständig "copylefted" UN*X-Klon / ein frei distribuierbares, unabhängiges UNIX-ähnliches Betriebssystem / ein UNIX-ähnliches 32-Bit Betriebssystem / ein Betriebssystem, das unter der GNU General Public License entwickelt wurde / ein Open-Source-Betriebssystem, das jede/r vom Internet runterladen und kompilieren kann / eine Freeware-Version von UNIX / ein echtes 32-Bit multitasking, multithreading Betriebssystem / ein voll ausgebautes UNIX-ähnliches Betriebssystem / ein leistungsstarkes, flexibles 32-Bit-Betriebssystem / ein 32-Bit, multiuser, multitasking UNIX-Klon / ein gleichwertiges UNIX-ähnliches Betriebssystem / ein UNIX-artiges 32-Bit Betriebssystem /das Open-Source Betriebssystem.

Superlative (was man mag)

Gratis / stabil / geil / ein volles, reichhaltiges, zuverlässiges Arbeitstier / der beste Windows-Fileserver / der Traum eines Kammerl-Hackers / das Betriebssystem, das man fahren soll / das einzige echte Betriebssystem / ein Zugpferd / das universelle Betriebssystem der Zukunft / ein bedeutendes Betriebssystem in betrieblichen IS-Abteilungen / das führende Betriebssystem in Deutschland / das führende UNIX auf x86 / der UNIX-Nachfolger / das größte gemeinsame Programmierprojekt, das es je gab / der neue Spitzenreiter / die dynamischste, interessanteste und aufregendste Entwicklung in der aktuellen Betriebssystems-Szene / nicht mehr nur etwas für Geeks / eine Lektion in harter Arbeit und eine total lohnende Aufgabe / die erste große Evolution in Betriebssystemen seit MS-DOS.

Konkurrenzfähigkeit (braucht man für Kriegs- und Sportgeschichten, die sich von selbst schreiben)

Das am schnellsten wachsende Betriebssystem jenseits von NT / ein beachtenswerter Konkurrent / ein Moloch / eine Bewegung / die definitive Lösung für die Bedürfnisse kleiner Unternehmen in bezug auf Internetanbindung, Webserver und E-Mail-Dienste.

Makel (immer eine günstige Eigenschaft)

Kompliziert / gute Lehre für wissenschaftlich orientierte UniversitätsstudentInnen, aber ziemlich unbrauchbar für fast alle anderen / Overkill für die meisten Heimanwendungen / einfach zu schwierig für durchschnittliche AnwenderInnen / sitzt in einem Basisbewegungsentwicklungsmodell fest.

Glauben Sie mir, solche hervorragende PR kann man gar nicht kaufen. Gerade deshalb, weil es sich bei der vorgegebenen Geschichte um einen Wettstreit zwischen diesem Typen aus Finnland und einer Schwarzenegger-Figur handelt, und das ganze ist nicht inszeniert. Schauen wir uns sechs verschiedene "Versus"-Konstruktionen an:

• Linux vs. Microsoft: 57
• Microsoft vs. Linux: 110
• Linux vs. NT: 512
• NT vs. Linux: 247
• Linux vs. (Windows, Cisco, BeOS...) 1968
• Microsoft vs. (DOJ, Justice, Netware...) 2721

Ein wichtiger Teil des Positionierens läuft unbewußt ab, zeigt sich jedoch daran, wer zuerst genannt wird. Handelt es sich um Yankees vs. Dodgers oder um Dodgers vs. Yankees? Wir neigen dazu, die Favoriten zuerst anzuführen. Wenn ich in diesem Fall die Spiele Schlag für Schlag kommentieren müßte, würde ich sagen, Microsoft scheint im Unternehmensspiel zu führen, Linux ist dagegen der Favorit im Spiel der Betriebssysteme (und das ist zum Glück das einzige Spiel, das wirklich zählt).

Auch wenn Journalisten sich nicht dieser "Versus"-Konstruktion bedienen, kommt trotzdem eine Regel zur Anwendung, die mir ein Journalist des Wall Street Journal neulich erklärte: "Heutzutage kann man über Microsoft nichts schreiben, ohne Linux einzubringen." Es ist eine Formsache. Auch wenn sie von Linux keine Ahnung haben, müssen sie die Figur besetzen.

Und wie steht es nun wirklich mit Microsoft? Be trachtet der Terminator der Konzerne Linux tatsächlich als Konkurrenz? "Soviel ist ihnen bis in die Führungsetagen hinein klar", erzählte mir ein Cross-Plattform-Entwickler heute morgen, "den Serverkrieg können sie nicht gewinnen. Dieses Mal können sie unmöglich alles umzäunen, wie damals mit dem Desktop. Linux ist jetzt der bevorzugte Server. Sie wissen, sie müssen sich damit auseinandersetzen, sie wissen nur noch nicht, wie." Hoffen wir, sie kommen bald drauf. Microsoft ist ein Problem, das wir nicht verlieren wollen.

(Doc Searls, Linux Journal, Juli 1999. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.)