ANERKENNUNG
Boundary Functions
Scott Sona Snibbe
Boundary Functions ist eine Forschungsreise in den persönlichen Raum und durch die Beziehung des Individuums zur Gesellschaft. Das Stück wird als ein Set von Linien realisiert, die von oben auf den Boden des Ausstellungsraums projiziert werden und die die einzelnen Besucher voneinander abgrenzen. Bei nur einem Besucher gibt es keine Reaktion, bei zweien erscheint auf halber Strecke zwischen ihnen eine Linie, die den Raum in zwei Regionen segmentiert. Bewegen sich die Besucher, bewegt sich die Linie dynamisch mit, wobei der Abstand zu beiden Personen gleich bleibt. Mit zunehmender Personenzahl steigt die Anzahl der Segmente im Raum, und der Boden wird in zellenähnliche Regionen abgegrenzt, die jeweils- mathematisch betrachtet jene Punkte im Raum umfassen, die der Person innerhalb der Region näher sind als irgendeiner anderen.
Diese die Personen umgebenden „Raumzellen" nennt man in der Mathematik Voronoj-Diagramme oder Dirichlet'sche Tessellation. Solche Diagramme verwendet man häufig in unterschiedlichsten Fachgebieten, sie treten in allen Bereichen der Natur auf. In der Anthropologie und Geographie dienen sie zur Beschreibung menschlicher Siedlungsstrukturen, in der Biologie beschreiben sie Dominanzverhalten bei Tieren und Wettbewerbsverhalten bei Pflanzen, in der Chemie die Packung von Atomen in kristallinen Strukturen, in der Astronomie den Einfluss der Gravitation auf Sterne und Sternduster im Marketing die strategische Platzierung von Ladenketten, in der Robotik die Wegeplanung, in der Informatik bieten sie Lösungsansätze bei Closest-Point- und Triangulationsproblemen. Diese Diagramme stellen eine ähnlich enge Verbindung zwischen Mathematik und Natur dar wie die Zahlen e und 7t. Durch die Projektion des Diagramms werden die engen Beziehungen zwischen den Individuen und dem Raum zwischen ihnen sichtbar und dynamisch. Die stets vorhandene Vorstellung von Raum und die unsichtbare Grenzlinie zwischen einem selbst und einer anderen Person wird plötzlich sichtbar. Deshalb bleibt die Installation auch im Ruhezustand, wenn nur ein Besucher da ist eine physische Beziehung zu zumindest einer zweiten Person muss gegeben sein. Auf seine Art ist dieses Stück eine Umkehrung der oft einsamen Selbstreflexion der Virtuellen Realität: Hier erhalten wir einen Raum, der nur durch mehr als eine Person existieren kann. Der Titel des Stücks, Boundary Functions, bezieht sich auf Theodore Kaczynskis (besser bekannt als Unabomber) Dissertation an der University of Michigan, 1967.
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