GOLDENE NICA
Krachtgever
Peter Bosch, Simone Simons
Beim "Kreachtgever" füllen Peter Bosch und Simone Simons mehrere hohe Stapel von Holzkisten mit verschiedenen Materialien und bringen sie durch Computersteuerung zum Rasseln, wodurch außergewöhnlich komplexe Klang- und Resonanzwellen entstehen.
"1896 montierte Nikola Tesla, eines der größten Genies des elektrischen Zeitalters, einen kleinen Schwingungsmotor an den Hauptträger seines Laboratoriums in Manhattan und erzeugte dadurch im Gebäude selbst und im angrenzenden Boden ein so starkes physikalisches Resonanzfeld, daß in einem Umkreis von zwölf Häuserblocks ein kleines Erdbeben entstand: Gebäude wackelten, Glasfenster zersprangen und Dampfleitungen brachen. Er mußte den Motor mit einem Vorschlaghammer zum Stillstand bringen. Tesla konstatierte, daß er die Resonanzfrequenz der Erde berechnen und sie mit einem entsprechend abgestimmten Gerät von entsprechender Größe und in entsprechender Position in starke Schwingungen versetzen könne.
(aus: Bill Viola, "The sound of one line scanning", in: "Sound by Artists",Walter Phillips Gallery, Banff, Canada, 1990; S. 43)
Diese Annahme war der Ausgangspunkt für Krachtgever. Im Zuge unserer Arbeit zum Thema "Resonanzstimulation durch mechanische Vibrationen" lag unser Hauptinteresse nicht in der Verstärkung bloß einer Frequenz, sondern in der Erzeugung eines komplexen Systems, innerhalb dessen unterschiedlichste Frequenzen einander gegenseitig beeinflussen. Dies erzeugt ein instabiles Gleichgewicht, das schon durch die geringste Veränderung hinreichend gestört werden konnte, um ein unvorhersehbares Ergebnis zu erzielen. Die erzwungenen und die natürlichen Frequenzen der Objekte sind so aufeinander abgestimmt, daß die von der Installation erzeugten Bewegungen und Klänge sich fast unmerklich von Ordnung zu Chaos und umgekehrt verändern können. Die Rolle des Computers dabei ist paradox: Obwohl der Rechner die Mechanik steuert (Elektromotoren), kann er nur teilweise das physikalische Ergebnis seiner Entscheidungen vorhersehen. Neben instabilem Gleichgewicht, neben Ordnung und Chaos ist Klang ein weiterer Faktor: Die schiere Macht des Klanges und die Manifestation der Existenz von Klang (Musik) ist ein integraler Bestandteil aller unserer Installationen. Das Medium Klang gibt uns Macht über eine bestimmten Raum, es erfüllt diesen Raum: Der Krachtgever erlaubt uns, Vibrationen zu erzeugen, mit denen wir den Raum füllen - und Klangwellen sind alles in allem ja auch nur Schwingungen. Der Krachtgever ("Kraftgeber") besteht aus mindestens sieben, maximal 14 je 2,5 Meter hohen Stapeln von jeweils vier hölzernen Kisten, mit einer Gesamtbreite von sechs bis zwölf Metern. Die Kisten werden untereinander horizontal und vertikal mit Metallfedern verbunden. An jedem Stapel wird ein Schwingungsmotor angebracht. Diese Motoren werden durch einen Computer gesteuert, der durch unterschiedliche Rotationsgeschwindigkeiten der Motoren interessante Interferenzen zwischen den generierten Schwingungen und den Resonanzfrequenzen der Kisten hervorrufen kann. Je nach der gewählten Motor- und Frequenzkombination kann jede einzelne der Kisten in Schwingungen versetzt werden, es kann aber auch ein gesamter Stapel in periodische Bewegung gebracht werden. Es ist auch möglich, Kombinationen von Schwingungen simultan an verschiedenen Positionen des Gesamtsystems auftreten zu lassen. Jede Kiste enthält unterschiedliche Materialien. Diese "Rasseln" aus unterschiedlichem Material, von verschiedenem Gewicht und Klang, haben wiederum ihre eigenen Resonanzcharakteristiken. Durch einen Schwingungsmotor stimuliert, produzieren die Schwingungen all dieser Elemente - Federn, Kisten, "Rasseln" in den Kisten usw. - ein extrem komplexes Ganzes. Trotz dieser Komplexität ist die Beziehung zwischen allen visuellen und auditiven Elementen der Installation eindeutig. Die Klänge sind rein, unverstärkt und detailreich. Das Repertoire von Krachtgever kann am besten beschrieben werden als Stapel von Klängen, die Stärke, Klangfarbe und Rhythmus von subtil bis machtvoll, von geordnet bis chaotisch variieren. Ein Computer steuert die Frequenzen der Schwingungsmotoren durch Aussendung von MIDI-Daten an einen MIDI-CV-Konverter. Das Computerprogramm selbst ist in einen Satz musikalischer "Phrasen" aufgeteilt - es kann jeweils nur eine Phrase auswählen. Solch eine Phrase besteht aus drei Variablen: 1. Welche der sieben bis 14 Motoren werden in der Phrase eingesetzt? 2. Anfangs- und Schlußfrequenzen der eingesetzten Motoren. 3. Gesamtdauer des Übergangs von den Anfangs- zu den Schlußfrequenzen. In einigen dieser Phrasen werden Motorkombinationen festgelegt, in anderen wiederum wählt der Computer die Motoren zufällig aus. Die Dauer des Frequenzübergangs der einzelnen Motoren einer Phrase kann je nach Phrase ebenfalls synchron oder asynchron sein, bei einigen der vordefinierten Phrasen ist fast alles vorab festgelegt, andere wiederum sind in der Wahl der Parameter ziemlich frei. Generell werden sie in drei Kategorien eingeteilt: Ruhiges, mittleres und rauhes (lautes) Verhalten. Die "Erinnerung" des Programms geht nur jeweils eine Phrase zurück. Wenn es eine neue Phrase beginnt, wird niemals eine aus derselben Kategorie ausgewählt, aus der die letzte stammte. Diese Methode erzeugt die typische freie und dynamische Entwicklung des Krachtgever-Klanges auf der Gesamtebene. Die außerordentlich komplexen physikalischen Eigenschaften der Konstruktion selbst garantieren noch unvorhersehbarere Ergebnisse auf der Mikroebene, und hier wird die Zukunft auch von der Vergangenheit mitbestimmt: Eine starke Resonanz einer Box (oder mehrerer Boxen) endet nicht abrupt, sondern schwingt nach und beeinflußt daher das Ergebnis der folgenden Phrase. Diese bedeutet, daß dieselbe Phrase je nach der vorhergehenden anders klingt. Darüber hinaus wird bei jeder Performance die Installation den räumlichen und akustischen Gegebenheiten entsprechend verändert. Wir können Anzahl und Inhalt der Kisten (die "Rasseln") ebenso verändern, wie wir Details der Software vor Ort variieren. Obwohl die Software auf unbegrenzte Dauer ausgelegt ist, ist die Installation nicht pausenlos in Betrieb, normalerweise verwenden wir einen Sensor, der sie einschaltet, sobald Publikum den Ausstellungsraum betritt. Die Entwicklung des Krachtgever wurde z. T. durch eine Subvention des Fonds voor Beeldende Kunsten, Vormgeving en Bowkunst, Amsterdam, ermöglicht. |