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Prix1996
Prix 1987 - 2007

 
 
Veranstalter:
ORF Oberösterreich
 


AUSZEICHNUNG
HyGrid
Ed Stastny


Das WWW-Projekt "Hygrid" von Ed Stastny bietet als Ausgangspunkt nichts als ein kleines Bild. Jeder kann sein eigenes Bild gestalten, das dann auf den Server gestellt wird. Daraus entsteht ein sich ständig verwandelndes Gitter - die Bilder wachsen aus den vorhergehenden heraus.

Geboren wurden "HyGrid" eines Nachts in einem Kaffeehaus in der Stadt Omaha, Nebraska, USA, während ich in mein Skizzenheft kritzelte. Die grundlegende Idee war, ein dynamisches, wachsendes, lineares, navigierbares, gemeinschaftliches Kunstwerk mit ineinandergreifenden Quadraten zu schaffen. Jedes Quadrat sollte auf einer Seite eines anderen Quadrats aufgebaut werden, und dann sollten weitere drei Quadrate auf den Seiten des neuen Quadrats aufgebaut werden. Das Resultat wäre nach nur wenigen Generationen ein hypertextartiger Bilderweg, durch den man navigieren könnte.

Anfangs wurde der Prozeß "tri-linear gridding" genannt: "tri-linear", weil der Prozeß sequentiell und teilweise linear in Sets von jeweils drei Zweigen ist, und "Gridding", weil die Idee eines Basisquadrats aus einigen meiner anderen Gemeinschaftsprojekten "GRID" und "Infinite Grid" entwickelt wurde. Ich setzte alles daran, "HyGrid" automatisch, lustig, einfach, flexibel und Web-spezifisch zu machen.

Ein CGI-Perlskript bildet den Motor für "HyGrid". Seine Seele besteht aus einer wachsenden Zahl begeisterter Künstler/Mitwirkenden aus der/dem ganzen Welt(-weiten Web). Im Dezember 1995 begann ich mit dem Skript. Nachdem ich angefangen hatte, über das Projekt nachzudenken, ließ mich die Idee überhaupt nicht mehr los. Jede Nacht schlief ich ein, während ich noch nachdachte, welche Methoden und Formen "HyGrid" annehmen könnte. Wichtig war mir "HyGrid" so zu gestalten, daß es einfach sei, dabei mitzumachen, daß das Browsen Spaß macht und daß es leicht zu warten sei. Diese Aspekte bestimmten mehr als andere das Projekt.

Es ist relativ einfach, durch "HyGrid" zu browsen. Sobald eines der vielen verfügbaren Ausgabemuster erscheint, sieht man ein Set von fünf oder mehr Quadraten. Jedes Quadrat wird von einem einzelnen Künstler geschaffen, und alle Quadrate sollten so fließend wie möglich in die angrenzenden Quadraten übergehen. Wenn man ein Quadrat anklickt, erscheint ein neues Quadratmuster; dieses Mal ist aber das angeklickte Quadrat das Mittel- oder Basisquadrat. Man merkt dabei, daß Bewegung "nach oben und rechts" ein anderes Quadrat hervorbringt als Bewegung "nach rechts und oben". Genau das ist das Schöne daran ­ die Hyperdimensionalität des Projekts. Jedes Quadrat existiert quasi auf einer eigenen Ebene. Es ist unmöglich, "HyGrid" in irgendeinem anderen Medium darzustellen. Es wurde für das World Wide Web kreiert.

Beim Browsen findet man einige verschiedene Arten von Quadraten. Die künstlerisch gestalteten Quadrate bilden natürlich den Mittelpunkt des Projekts. Das sind jene Quadrate, die von den mitwirkenden Künstlern beigesteuert wurden. Das als "nicht reserviert" gekennzeichnete Quadrat markiert jeweils ein "HyGrid"-Quadrat, das noch nicht reserviert ist und daher noch gestaltet werden kann. Um sich dieses Quadrat zu reservieren, muß man es nur anklicken und ein kurzes Reservierungsformular ausfüllen. Wenn ein Quadrat schon reserviert ist, wird es auch dementsprechend gekennzeichnet, und Besucher sehen auf dieser Stelle ein "reserviertes" Quadrat. Die letzte Art der "HyGrid"-Quadrate ist das leere ("void") Quadrat. Ein leeres Quadrat wird verwendet, um ein Segment von "HyGrid" zu markieren, das nicht aktiv ist, weil es hinter einem unvollständigen Quadrat liegt. Diese leeren Quadrate werden nur verwendet, um die nicht-repräsentierten Quadrate in den größeren Musteranordnungen auszufüllen.

Rein künstlerisch gesehen, bieten die Muster die veränderte Perspektive, die man braucht, um das ausufernde Chaos von "HyGrid" schätzen zu können. "HyGrid" wächst selbständig und aus sich heraus. In den ersten zwei Monaten war es den Mitwirkenden nur möglich, ein Quadrat an einem freien Platz im "HyGrid" hinzuzufügen, wodurch drei neue Seiten entstanden, auf denen andere ihre Quadrate aufbauen konnten. Als das Programm ausgereift war, entstand dann die Möglichkeit, "weirdlinks" oder "wormholes" zu erzeugen.

Diese "weirdlinks" erlaubten es einem Benutzer, unter bestimmten Bedingungen eine beliebige Anzahl seiner reservierten Quadrate in einem zu kombinieren. Dadurch können Benutzer ein neues Quadrat erzeugen, das als eine Brücke zwischen zwei, drei oder sogar vier Quadraten funktioniert. Dadurch wurde es noch unmöglicher, "HyGrid" in irgendeinem anderen Medium darzustellen.

Aber dadurch wurde "HyGrid" auch sterblich. Es bestand nun keine Aussicht mehr, daß es kontinuierlich bis in alle Ewigkeit weiterwachsen würde. Es besteht die Möglichkeit, daß "HyGrid" sich in sich schließen könnte, indem sämtliche noch verfügbaren freien Quadrate geschlossen werden. "HyGrid" könnte zu einer phantastischen digitalen Möbiusschleife werden. Meiner Meinung nach wird das nie passieren, solange die Mitwirkenden immer wieder neue Einzel-Link- und Doppel-Link-Quadrate gestalten können. Einzel-Links erzeugen drei neue Seiten, auf denen man aufbauen kann (sie blockieren eine Seite und erzeugen drei). Doppel-Links erzeugen zwar keine neue Seiten, doch sie nehmen auch keine Seiten weg (sie blockieren zwei Seiten, erzeugen dafür zwei andere Seiten).

Die Gestaltung der "HyGrid"-Quadrate kann man ohne weiteres als eine eigene Kunstform betrachten. Die Techniken und Stilrichtungen der Mitwirkenden sind sehr unterschiedlich. Manche Künstler gehen dabei äußerst akribisch vor und verfolgen "HyGrid"-Stücke über fünf Generationen zurück, oft sogar bis zum Ursprungsquadrat; visuelle Elemente dieses Quadrats werden dann in das neue Quadrat miteinbezogen.

Im Dezember 1995 trat "HyGrid" an die Öffentlichkeit. Bis 30. April 1996 gab es über 30 Mitwirkende und fast 400 Einzelstücke. Ich bin sehr stolz auf "HyGrid" und auf das, was es geworden ist. "HyGrid" ist ein wachsendes Projekt und wird sicher nicht so schnell aufhören.

Unter anderem sind folgende Verbesserungen für die Zukunft geplant: Drumloop-Musik, die mit jedem Quadrat so verknüpft ist, daß man neue Melodien und Rhythmen bloß beim Navigieren durch "HyGrid" erzeugen kann, auch eine VRML-Ausgabe kommt in Betracht, damit man sich einigermaßen vorstellen kann, wie eine "HyGrid"-artige Struktur in drei Dimensionen aussehen könnte.

Und wenn es auch sonst nichts erreichen sollte ­ "HyGrid" zeigt die geheimnisvollen Regeln der Relation, der Evolution und des Perspektivischen auf eine Art und Weise, daß sie sogar ein Künstler kapiert.