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Noderunner: Goldene Nica / Net Vision
Noderunner von Yury Gitman und Carlos J. Gomez de Llarena ist ein Spiel, das die Stadt in einen Spielplatz transformiert: Zwei Teams müssen sich im Kampf gegen die Uhr in so viele Netzwerkknoten wie möglich einloggen und einen fotografischen Beweis dafür erbringen.

Noderunner ist ein Spiel, das eine Stadt in ein Spielfeld verwandelt. Im Kampf gegen die Uhr bemühen sich zwei Teams, Zugang zu möglichst vielen Knotenpunkten kabelloser Netzwerke zu bekommen. Als Nachweis für eine erfolgreiche Verbindung mit einem offenen Knoten muss jedes Team einen fotografischen Beweis an das Noderunner-Weblog übermitteln. Bei laufendem Spiel wird das Weblog zu einer lebendigen Anzeigetafel, die die Fortschritte der miteinander wetteifernden Mannschaften in Echtzeit verfolgt. Nach dem Spiel stellen die Fotos eine visuelle Dokumentation der von den Teams gewählten Routen sowie der öffentlichen Räume dar, in denen es offene Wireless-Verbindungen gibt.

Jedes Team aus vier Personen erhielt einen mit WiFi ausgestatteten Laptop, eine Digitalkamera, Geld für Taxispesen und zwei Stunden Zeit, um von Bryant Park im Stadtzentrum nach Bowling Green in Manhattan – beides freie Wireless-Parks – zu gelangen. Punkte bekamen die Teams für jedes Selbstportrait, das sie dort aufnehmen, wo ihnen der Zugriff auf einen Hot Spot in ein kabelloses Netzwerk gelungen ist. Weitere Punkte gab es, wenn die Teams Scan-Software einsetzten, um alle Knoten auf ihrem Weg aufzuspüren, auch wenn diese durch Passwörter geschützt oder zu schwach waren, um Fotos zu übertragen. Die Logs der Teams zeichneten Hunderte von geschützten oder schwachen Knoten auf, aber mehr Punkte wurden erzielt, wenn es tatsächlich gelang, so einen Knoten für den Upload von Bildern zu benutzen.

Die an sich einfachen Regeln zwangen die Spieler, Strategien zur Planung der einträglichsten Routen durch die Stadt zu entwickeln. So war zum Beispiel East Village ein beliebtes Zwischenziel, weil dort eine Vielzahl offener Knoten zu finden ist. Die Mitspieler benötigten auch technische Kenntnisse, um Verbindungsprobleme zu lösen und Bilder trotz schlechter Signalqualität der Verbindungen zu senden. Zu viel Zeit mit einem schwachen Knoten zu verschwenden konnten bedeuten, das Spiel zu verlieren, deshalb bewegten sich die Teams möglichst schnell zu Fuß oder per Taxi durch die Stadt. Ein zusätzlicher Link bestand zwischen den Teams und dem „Hauptquartier“, wo der Fortschritt der Spieler auf einem 80 Fuß großen Plan von Manhattan nachgezeichnet und die geschossenen Fotos auf eine Großleinwand projiziert wurden. Diese Stadtfotografie vermittelte den Besuchern einen Eindruck von den offenen Netz-Knoten der Stadt, und das Siegerteam feierte ausgiebig mit Champagner.

Das Spielfeld

Das Spielfeld von Noderunner ist das Spill-Over der kabellosen Netzwerke in einem dicht bevölkerten Gebiet. Die Dichte dieses Spill-Over ist so groß, dass er sich selbst als kabelloses Netzwerk gebrauchen lässt. In New York etwa ist es inzwischen einfacher, einen offenen, kostenlosen 802.11-Hotspot zu finden als ein öffentliches WC. New Yorker, die über einen mit WiFi ausgestatteten Laptop verfügen, gewöhnen sich schon daran, über offene Zugangspunkte zu stolpern, die von ihren Nachbarn, von öffentlichen Parks, Cafés oder Bars und nicht nur von ihren Arbeitsplätzen zur Verfügung gestellt werden. Nie zuvor haben diese vielbesuchten kulturellen Brennpunkte eine derart unmittelbare Anbindung ans Internet erlebt, und genauso war das Internet bisher noch nie so nahtlos in die tatsächliche Architektur und Sozialstruktur der Stadt eingebunden.

Noderunner-Sessions machen die Überschneidungen zwischen Information und städtischer Umwelt sichtbar und fördern die Verwendung von öffentlichen Orten für kreative Zwecke. In dem Maße, in dem kabellose Netzwerk-Zugänge in unseren Städten häufiger werden, bietet dieses Paradigma neue Möglichkeiten für Anwendungen, die den öffentlichen Raum als Interface behandeln. Noderunner selbst hat natürlich seine Wurzlen in raumbezogenen Spiele wie Schnitzeljagden und Versteckspielen, aber auch in der Graffitikunst, im Skateboardfahren und im Radfahren, das für Städte wie New York charakteristisch ist. In jüngster Zeit haben die neuen Technologien die Bandbreite solcher Aktivitäten wesentlich erweitert und schließen so unterschiedliche Akteure wie Künstler, Unternehmer und Aktivisten in eine Community zusammen, die ortsbezogene Modelle für soziale Bewegungen, Werbung, städtische Dienstleistungen und umfassende Spiele entwickelt. Anstatt unsere Videospiele realistischer aussehen zu lassen, haben wir jetzt die Möglichkeit, unsere Wirklichkeit in ein Videospiel und die Infrastruktur einer Stadt in ein Spielfeld zu verwandeln. Unsere Städte werden kollektiv dadurch, dass die Stadtbewohner den Ort, an dem sie leben, kollektiv programmieren, codieren und updaten, kollektiv.

Diese so breitgefächerte kollektive Aktion bedeutet, dass auch in ein und derselben Stadt – etwa in New York – das Spielfeld von Noderunner in stetem Fluss ist, während sich WiFi weiter ausbreitet. Auf den ersten Blick scheint es, als würde dies Noderunner einfacher machen, aber mit der Verbreitung kabelloser Netze verändern sich auch Gesetzgebung, Anwendungsmuster und Technologie. Werden neue Sicherheitsmaßnahmen trotz der ständig wachsenden Zahl von Knoten und der Verbesserung der Übertragungsreichweite den freien Zugang einschränken? Über längere Zeiträume durchgeführt, helfen Noderunner-Spiele bei der Beantwortung dieser Fragen, da sie empirische Daten über die Akzeptanz der kabellosen Technologien in unserer Gesellschaft liefern. Noderunner selbst ist ein Beispiel für eine entstehende Kultur, eine Kultur, in der intelligente kabellosen Environments ebenso ein Spielobjekt sind wie eine Wiese oder ein frei zugänglicher See.

Die Kunst und Kultur von Open Wireless

Die Open-Wireless-Bewegung wird Knoten um Knoten von den Endanwendern selbst aufgebaut. Ganz im ursprünglichen Geist des Internet, greifen WiFi-Enthusiasten nach offenen Standards, nach Peer-to-peer-Dynamik und nach User-bezogener Innovation. Als Künstler haben wir Game-Design mit der Kultur der Open-Wireless-Bewegung kombiniert. Anstatt eine künstliche Spielumgebung zu erschaffen, haben wir uns in jene Revolution eingeklinkt, die bereits rund um uns stattfindet. Unser Ziel war nicht nur, einen Beitrag zu einem neuen Genre öffentlicher Kunst zu leisten, sondern auch, die breite Öffentlichkeit in eine lebhafte kulturelle und technologische Transformation einzubinden. Noderunner wird kontinuierlich von jenen Mitbürgern neu erfunden, die das Netzwerk aufbauen und durch die Straßen gehen. Das Spiel ist ein Einstiegspunkt in die politischen und sozialen Bewegungen, die hinter Wireless stehen. Wir bieten Noderunner als etwas an, das freie und offene kabellose Konnektivität zelebriert und gleichzeitig ein Symbol ist für die kulturelle Flexibilität und Potenz der Stadt.

Noderunner wurde von Yury Gitman und Carlos J. Gomez de Llarena für eine Ausstellung unter dem Titel „We Love NY: Mapping Manhattan with Artists and Activists“ geschaffen. Die Ausstellung wurde von Eyebeam, einer neuen Medienkunst-Organisation, produziert und von Jonah Peretti und Cat Mazza kuratiert. Wie andere Forschungs- und Entwicklungsprojekte von Eyebeam ist Noderunner sowohl eine Form empirischer Forschung und politischen Engagements als auch ein Kunstprojekt. Noderunner entstand in Kooperation mit New York City Wireless, einer vom New York State Council of the Arts durch ein Stipendium unterstützten Non-Profit-Organisation zur Förderungen des freien kabellosen Internets. Carlos und Yury haben die Entwicklung von Noderunner innerhalb des Artist-in-Residence-Programms von Eyebeam fortgesetzt. Zu den Plänen für die Zukunft gehört die Entwicklung einer Plattform, die Spiele in Städten auf der ganzen Welt unterstützte.

Von Yury Gitman und Carlos Gomez, bearbeitet von Jonah Peretti.


26.6.2003
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