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Stachelschweine aus Metall
Es war einmal eine Zeit, in der sich Künstler ihre surrealen Visionen von der Beeinflussung realer Objekte durch den eigenen Willen nur erträumen konnten – und mussten. Den Umweg über die Phantasie braucht bald niemand mehr zu gehen, wenn man Sachiko Kodama und Minako Takeno glauben darf.

Wie ein Stachelschwein mit feinen Borsten kann es aussehen, aber auch wie das me-tallische Äquivalent einer Lavalampe, und wenn man spricht, ändert es jedes Mal aufs Neue sein Aussehen. Oder wenn man klatscht. Geht. Murmelt. 23 Skidoo. Die Stim-me fungiert als unmittelbares Interface mit der feinen Flüssigkeit, die sich quecksil-berartig spießen und lautpegelgleich in die Höhe schießen kann. So also sehen Geräu-sche aus, gewissermaßen. Schwerkraft wird überwunden, Skulpturen werden model-liert. Das anmutige Aussehen und die ungewohnte Bewegung verleiht Kodamas und Takenos Installation lebendige Widerspenstigkeit, wie man sie bisher nur von virtuel-len, künstlerischen Arbeiten gewohnt war.

Erstmals vorgestellt beim renommierten SIGGRAPH im Los Angeles Convention Cen-ter, wird Protrude, Flow dieses Jahr beim Ars Electronica Festival einkehren. Un-sichtbare Kräfte finden hier ihr visuelles Gegenstück, wie so oft in Takenos Arbeiten – diesmal stehen Magnetismus und Schwerkraft im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit. Erstmals ist es möglich, reale Gegenstände (noch dazu in flüssigem Zustand) durch scheinbare Magie zu bewegen, und die kinderleichte Benutzung durch Stimme und andere Geräusche ermöglicht den direkten Kontakt mit der Substanz. Lebendig soll es aussehen, betonen die beiden Künstlerinnen immer wieder. Und lebendig sieht es auch aus.

Aber was steckt hinter der Magie? Metallstaub. Öl. Und Isoparafin, eine spezielle Art von äußerst feinem Flüssigwachs. Lavalampe ist in der Tat keine so abwegige Asso-ziation. Die Konsistenz erinnert an die bekannten „I’ll be back“-Terminator-Sequenzen, die Oberfläche modelliert sich wie jene Quecksilberspritzer im Film zu einem Ganzen, vibriert, wabert, verwandelt sich in scheinbar harte, feste, stechende Spitzen, die im nächsten Moment bereits wieder im Geräuschumfeld untergegangen sein können – und alles das dank eines Audiosystems, das Geräusche in elektromag-netische Signale umwandelt und damit die bis zu sechs Elektromagneten auflädt, die mit der schwarzschimmernden Flüssigkeit in einer Wanne liegen. Zwei hängen an der Decke. Daneben ein Mikrophon.

Das Schlüsselwort hinter dem Zauber heißt Linux OS, worin die eigens geschriebene Software agiert. Die gesamte Einrichtung misst 3 Meter in der Höhe, ist 6 Meter breit und 15 Meter tief. Sie benötigt insgesamt 1, 1 kW Strom. Drei Computer, acht Mag-nete, eine Wanne. Ein Projektor überträgt das Schauspiel zusätzlich in den Raum, stark vergrößert natürlich.

Die Kunst hinter der Einrichtung – egal, wie einfach diese zu handhaben ist – entsteht erst in Interaktion mit der Umwelt, der Betrachter wird zum akustischen Bildhauer seines eigenen Ausdrucks, und kann sein Gebilde fortwährend verändern, ohne aber das Ergebnis zu kennen. Lebendigkeit eben. Die Kunst als Rückkopplung mit dem menschlichen Organismus, wie es sich Künstler bislang nur ausmalen konnten (im wörtlichsten Sinne). Damit fällt die Barriere des Mediums, die Schöpfung macht kei-nen weiteren Umweg, außer den über ihren eigenen Schöpfer, was in gewisser Weise auch nicht anders denkbar ist. Aber was heißt schon denkbar.

Lasst die Kinder von der Leine – an diesen Stachelschweinen wird sich keiner stoßen!

Von 6. bis 11. September, ab 10:00, Ars Electronica Center


21.7.2003
Marcus Lust

© Ars Electronica Linz GmbH, info@aec.at