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Statement der Jury für Interaktive Kunst

Es war keineswegs einfach, aus den in der letzten Entscheidungsrunde ausgewählten Arbeiten die Gewinner der drei Geldpreise zu bestimmen, aber nach ausgedehnten Diskussionen haben wir beschlossen, folgenden drei Projekten die Goldene Nica bzw. Auszeichnungen zu verleihen:

Blast Theory, Can you see me now? - Goldene Nica
Das mobile Spiel Can you see me now? von Blast Theory mag zwar nur die ganz bescheidenen Anfänge dessen einfangen, was uns unsere vernetzte Zukunft bringen kann, aber es weist auf eine sehr originelle Weise in eine neue Ära der Interaktion, wobei es grundlegende Fragen nach Körperlichkeit und Verkörperung aufwirft. Das Spiel, das gleichzeitig in der physischen und in der virtuellen Welt stattfindet, ähnelt einer Jagd, bei der die Online-Spieler ihren Avatar anhand eines Plans durch die Straßen der Stadt dirigieren, um den "Läufern" zu entgehen, die ihm in den Straßen der physischen Stadt nachjagen. Die Läufer – ausgerüstet mit einem Handheld-Computer samt GPS-Tracker, der ihre Position an die Online-Spieler via Wireless Network übermittelt – versuchen die Online-Spieler "einzufangen", deren Position ebenfalls per Netzwerk auf die Computer der Läufer übertragen wird. Die virtuellen Spieler können Nachrichten austauschen und bekommen Live-Ton von den Walkie-Talkies der Läufer zugespielt. Das Spiel ist zu Ende, wenn die Läufer ihre virtuellen Gegner "sichten" und von diesen ein Foto schießen (das klarerweise nur den leeren Raum einfängt). Auch wenn die Technologie etwas flüssiger und nahtloser eingebaut sein könnte – das Militär verwendet eine ausgereiftere Ausrüstung —, so erreicht das Spiel doch einen bemerkenswerten Grad an Verschmelzung zwischen virtuellem und realem Raum.

Im Vergleich zu Vorgängern wie Botfighters – das mittels Handies SMS-Nachrichten ein Shooter-Game entwickelte, das in der realen und in der virtuellen Welt gespielt wurde – gelingt es Can you see me now? vor allem, die Frage nach der "Präsenz" auf wesentlich substanziellere und erfinderischere Weise zu untersuchen. Künstlerische Experimente mit der Telepräsenz haben sich vor allem auf die Verschmelzung virtueller Abbilder von remoten Orten mit neuen, ebenfalls virtuellen "Bild-Orten" beschäftigt oder mit Remote-Interventionen im physischen Raum vermittels Robotern.

Das Projekt von Blast Theory ist im Grenzbereich zwischen Telepräsenz und -absenz angesiedelt: Durch die Vernetzung schafft die Absenz eine eigenständige Form von Präsenz, die auf absurde Weise in den "Sichtungs-Fotos" dokumentiert wird. Die Fotografie als etablierte Methode technologischer Darstellung wird angesichts einer Präsenz obsolet, die nur aus virtuellen Bewegungen besteht und keine Spuren hinterlässt. Wie der Titel schon besagt, hinterfragt das Projekt den Prozess des Sehens an sich, indem es eine Form der Wahrnehmung vorschlägt, die von der Körperlichkeit unabhängig ist. In einer Zeit, in der die GPS-Technologie und "vernetzte Zellen" überwiegend mit destruktivem oder negativem Potenzial verknüpft sind (Überwachung, Kriegsmaschinerie, Terrorismus), unterstreicht Blast Theory die kreativen Möglichkeiten des Mensch-Technologie-Netwerks.

Maywa Denki, Tsukuba Series - Auszeichnung
Mit ihrer Tsukuba Series ist die "Kunsteinheit" Maywa Denki unter der Leitung ihres "Präsidenten" Nobumichi Tosa einen Schritt weiter in den Experimenten mit elektromechanischen Musikinstrumenten gegangen. Tsukuba Series besteht aus rund zwei Dutzend Instrumenten oder, besser gesagt, musikalischen Gerätschaften, die mechanisch oder computergesteuert über Motoren und Elektromagneten gespielt werden. Die höchst originellen Instrumente sind das Ergebnis einer einzigartigen Kombination aus Erfindungsgeist und handwerklichem Können und umfassen unter anderem Geräte wie "elektrische Schlägel" als Grundeinheit, die in zahlreichen Konfigurationen eingesetzt werden, eine ferngesteuerte Pedal-Orgel (samt eingebautem 100-Watt-Controller), die sechs Gitarren gleichzeitig spielt, ein saxophonförmiges Yankee-Horn aus Motorradhupen, das sechs Tonskalen spielen kann und bei dem jeder Ton von einem entsprechenden Lichtsignal begleitet wird, oder aber eine elektrische Singende Säge, die wie ein Bogen geformt ist und gespielt wird.

Die Tsukuba Series steht gleichzeitig in der Tradition von George Antheils Ballet méchanique (1924) – das von traditionellen Instrumenten in Kombination mit 16 Pianolas, elektrischen Klingeln, einer Sirene und Flugzeugpropellern unterschiedlicher Größe ausgeführt wurde – und in jener des in Seattle beheimateten Klangbildhauers und Komponisten Trimpin, der Computer mit traditionellen Instrumenten verbunden hat. Maywa Denki haben das Konzept der elektromechanischen Instrumente hin zu wie Kleidungsstücken tragbaren Konfigurationen und Live-Auftritten ausgebaut und zeigen ein bemerkenswertes Talent beim Spielen dieser Instrumente, wobei sie sowohl im Pop als auch in der Avantgarde zu Hause sind. Sie stehen an der Spitze einer Bewegung, die Live-Performer mit Robotern oder robotischen Erweiterungen als Ersatz für die "vor-formatierten" Lautsprechersysteme ausstattet. Maywa Denki hat etwas, was man als "Volkskunst" im weitesten Sinne bezeichnen könnte, erfolgreich in eine Popkultur-Bewegung integriert, die die kreative Arbeit als "Produkt" behandelt und so ziemlich alles vom Video bis zu un-sinniger Maschinerie und Spielzeug umfasst.

Margarete Jahrmann / Max Moswitzer, nybble-engine-toolZ - Auszeichnung
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nybble-engine-toolZ von Margarete Jahrmann und Max Moswitzer, das sich selbst als "radikalen Meta-Kunst-System-Schießstand" und "kollaboratives Werkzeug für Statements" definiert, erforscht Formen von Interaktion, die sich grundlegend von jenen der beiden anderen preisgekrönten Werke unterscheiden. Das Projekt mag zwar eher ein bewusst abstruses Experiment als eine transparente Implementation eines Werkzeugs sein — seine selbstironische Haltung wird keineswegs versteckt —, aber es erforscht wichtige Aspekte von vernetzten offenen Systemen und Echtzeit-Programmierwerkzeugen. nybble-engine-toolZ - der Name bezieht sich auf "Nybble", die ein halbes Byte (also vier Bit) große Einheit, die die Basis für digitale Umwandlung und Software-Logik bildet - ist ein Peer-to-Peer-Servernetzwerk und eine Abwandlung der Unreal-Game-Engine, die das Spiel selbstreflektierend aus den Netzwerkprozessen generiert.

Die Spieler können sich von verschiedenen Orten – auch aus der Installation, einem 180-Grad-Schirm – in die Engine einloggen und durch das Environment navigieren, andere Spieler und Bots treffen (in diesem Fall Darstellungen von Serverprozessen) und mit ihnen kommunizieren. In dieses Environment abgegebene Schüsse lösen Anti-Kriegs-Mails oder Friedensaufrufe an Regierungsserver aus; beim Drücken von Knöpfen auf dem Gamepad werden Ping-Befehle an Regierungsserver geschickt. Die vom Netzwerktraffic selbst produzierten Logfiles werden zusammen mit Daten auf der Festplatte (Text, Bilder, Klänge) zum Rohmaterial für 3D-"Filme", aus denen letztlich die Spielumgebung konstruiert ist. So besteht das Environment aus den Netzwerkaktivitäten in Echtzeit.

Konzeptuell betrachtet, wirft nybble-engine-toolZ wichtige Fragen zu generativer Kunst und zu Möglichkeiten von Software und zu Engines als Werkzeugen auf. Spiel-Engines gehören zweifellos zu den wichtigsten (und viel zu wenig erforschten) Generatoren von Narration im weitesten Sinn. Das Projekt von Jahrmann / Moswitzer erschließt die Engine – sozusagen den Motor – als Werkzeug und als algorithmischen Rahmen für den Umgang mit der "Mechanik" des Spielens und lässt sie gleichzeitig den Prozess des Spielens als solchen reflektieren. nybble-engine-toolZ zeigt, dass das Spielen von Games auch darin bestehen kann, Code zu editieren und genau jenes Tool umzuschreiben, das das Spiel innerhalb eines offenen kollaborativen Systems erst hervorbringt.





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