Walter Giers erläutert die Grundlage seiner "Konzertmaschine", eines Systems, das einen Übergang zwischen Skulptur und mathematischem Musikinstrument darstellt. Die Anregung dazu kam von Hans Otte, Leiter der E-Musikabteilung bei Radio Bremen, verbunden mit einem Kompositionsauftrag für die Veranstaltung "pro musica nova" 1978 in Bremen.
Der Auftrag ermöglichte mir, meine Untersuchungen über die emotionellen Wirkungen von zum Beispiel Ultra- und Infraschall in einem elektronischen Objekt zu realisieren. Diese Techniken ermöglichen ein manipulatives Einwirken auf den Zuhörer, da dieser die Ursache seiner Empfindungen nicht bewußt ergründen kann. Im Hörbereich (ca. 40 Hz bis 14 KHz) entwickelte ich akustische Abläufe, die weniger vom Musikalischen als von allgemein bekannten Geräuschen wie Wind, Maschinen, Sirenen usw. geprägt sind. Diese Geräusche habe ich jedoch nicht naturalistisch imitiert, sondern entweder angedeutet (Assoziationsbasis), übersteigert oder je nach Intention sonstwie verfremdet. Beispiele:
Bei Großstadtlärm werden aus vier verschiedenen Richtungen hohe Töne (mit Ultraschallanteil) sehr schnell und willkürlich in den Raum abgestrahlt. Wirkung: gesteigerte Desorientierung.
Bei Bombeneinschlag (percussiertes Rumpelgeräusch) unterlege ich eine starke Sinusschwingung von 20 Hz. Wirkung: Da der Sinuston das Trommelfell nicht in bewußt wahrnehmbare starke Schwingung versetzt, werden aufgelagerte Geräusche als schmerzhaft laut empfunden. Zwischen "Wellenanlauf" und "Brandungsgeräusch" - eine kleine Verzögerung. Wirkung: Die Pause steigert enorm die Spannung, da wir nach unseren normalen Erfahrungen einen Break nicht erwarten.
Um eine breite Palette von sinnlichen Erfahrungen zu ermöglichen, habe ich den akustischen Ablauf in vier Sätze unterteilt: 1. Natur, 2. Dorf, 3. Stadt, 4. Krieg.
Ein zyklischer Einsatz ist vom Thema her naheliegend, so daß ich ein "Konzert" deshalb wenigstens mit der Wiederholung des ersten Satzes beschließe. Die Zeitdauer der einzelnen Sätze ist immer gleich (ca. 8 Minuten), wird jedoch entsprechend der Modulationsdichte sowie der Sympathie-Antipathieentscheidung des Rezipienten verschieden lang empfunden.
Das akustische Ereignis wird von einer sichtbar angeordneten Elektronik life produziert und über vier oder fünf Kanäle (bzw. speziell entwickelte Lautsprecher) im Raum abgestrahlt.
Die "Konzertmaschine" ist eine der letzten Arbeiten von Walter Giers, mit denen er sich als Bahnbrecher der "kybernetischen Kunst" erwiesen hat. Seine Skulpturen sind interaktive Schaltsysteme, zugleich aber auch visuell reizvolle Skulpturen, in denen sich die Schaltelemente der Elektronik zu funktionalen wie auch ästhetischen Aggregaten verbinden. Walter Giers schrieb kürzlich über die Basis seiner Arbeit:
Die technologische Entwicklung ermöglichte, daß in der bildenden Kunst der Schritt von der illusionistischen in die reale Bewegung gemacht wurde. Mittels der Elektronik war es mir möglich, jede denkbare Bewegung im optischen wie im akustischen Bereich innerhalb eines Objektes zu realisieren. Die statische Struktur meiner Objekte ist darum nicht das Endresultat meiner Kreation, sondern Ursache für dynamische Prozesse wie Rhythmus, Lichtverformung, Lichtbewegung.
Die bleibende Faszination an Bewegung und Veränderung erreichte ich durch den Einsatz von Zufalls-Generatoren, die den Objekten erst ein Eigenleben gaben. Der additive Aufbau von Stimulanzien potenziert die Aussagen derart, daß ich als Macher oft von mir unerklärlichen Aktionen und Varianten überrascht werde. In meiner Arbeit geht es also weniger um das Kultivieren bestimmter Materialien und Techniken, als um das generelle Erarbeiten von Bewegungen und Veränderungen mit adäquaten Mitteln.
Waren dynamische Prozesse ursprünglich Selbstzweck, so benutze ich sie jetzt öfters innerhalb eines umfassenderen Konzeptes-Bewegung als veränderlicher Codeträger zur gezielten Steuerung meiner Psyche. Inaktiv müssen die Objekte konventionell-ästhetischen Anforderungen genügen. Das Endprodukt gleicht oft früheren Arbeiten, doch ist meine Motivation zur Ideenfindung eine andere: Ziel ist nicht das Produkt an sich, sondern das, was es bewirkt.