Das Symposium "Im Netz der Systeme"
    diskutierte aktuelle Standpunkte in Philosophie,
    Ästhetik und neuerer Systemtheorie.
    Der Soziologe Dirk Baecker erweiterte die
    Luhmannsche Systemtheorie, Eva Meyer beleuchtete
    das Thema "Systeme" aus einer feministischen Perspektive
    und nahm vor allem auf "Selbstbeobachtung" und
    "Sprache als System" Bezug, Mario Perniola
    ging es um neue Aspekte der zeitgenössischen Erfahrung
    und ihre Umsetzung in neuen Medien.
    Weiters diskutierten Peter Gente, Peter Weibel, Adelheid Paris,
    Laszlo Beke, Annetta Pedretti und Franz Pichler.
    
    Das Projekt POOL PROCESSING von Idensen/Krohn
    dokumentierte das Symposium '89 im Hypertext-Stil.

        Dirk Baecker

        DIE UNTERSCHEIDUNG DES BEOBACHTERS

        Beobachter dieser Welt sehen sich vor ganz unterschiedlichen Anforderungen, je nachdem, ob sie Objekte, Ereignisse oder Unterscheidungen beobachten wollen. Die Objekte haben es gelernt zurückzuschauen. Die Ereignisse ziehen es vor zu verschwinden. Und Unterscheidungen sind den Beobachtern jeweils einen Schritt voraus. Kein Wunder, daß sich die Beobachter dieser Welt ertappt fühlen, daß sie sich ausmanövriert vorkommen und hinters Licht geführt glauben. Was können Sie tun? Was können wir tun? Die Beobachter dieser Welt sind wir selbst, beobachtet von uns selbst, den Beobachtern dieser Welt. Die Objekte und die Ereignisse helfen ihnen nicht weiter. Die Beobachter können die Dinge beim Namen nennen, doch sagen ihnen die Namen kaum noch etwas. Sie können die Geschehnisse um sie herum strategisch verfolgen, doch glauben sie nicht mehr an Geschichten und Karrieren. Der Verstand und die Sinne der Beobachter dieser Welt scheinen darin übereinzukommen, daß ihnen das Unbekannte und das Zufällige teurer sind als alle tradierten Referenzen, denen nicht mehr zu trauen ist. Aber hilft das weiter? Und wogegen hilft es?

        Kein Fischzug könnte erfolgreicher sein als jener, in dem das "Netz der Systeme" ausgeworfen wurde. Zwar schlüpfen Objekte und Ereignisse durch die Maschen, etwas zögernd gefeiert von den zunehmend Wenigen, den Sudern, die sich schon entronnen glauben. Doch alle Beobachter schweigen. Im Netz verfangen, ja in das Netz verwoben, finden sich alle Unterscheidungen, die Beobachter je verwenden können, um zu sehen, was in dieser ihrer Welt passiert. Das Netz besteht aus Unterscheidungen. Und Beobachter, die gelernt haben andere Beobachter zu beobachten, wissen das. Aus dem, was sie sehen, können sie auf sich selbst schließen. Sie können wissen, daß sie nicht sehen. Ein neues Spiel wird ausgerufen. Das Spiel heißt: Zeig mir Deine Unterscheidung, und ich sage Dir, wer Du bist. Aber das Spiel ist schwer zu spielen. Denn gerade die Unterscheidung, die ein Beobachter verwendet, um etwas zu beobachten, ist der blinde Fleck seiner Beobachtung. Er kann die Unterscheidung nicht sehen, die ihm erlaubt, überhaupt irgendetwas zu sehen. Darum wird der Beobachter überrascht, wenn ihm ein anderer sagt: Das ist die Unterscheidung, die Du verwendest. Für einen Beobachter ist der Beobachter immer ein anderer als für sich selbst. Unmut macht sich breit, wer läßt sich schon gerne mit Kenntnissen über sich selbst überraschen. Unsere Welt ist eine Welt der Beobachter.