Project Fumbaro Eastern Japan – Hilfe, die ankommt

Takeo Saijo, Gewinner der Goldenen Nica, gelang es, mit seiner digitalen Communitiy Tausende Freiwillige zu mobilisieren und den Betroffenen der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe in Japan 2011 gezielt zu helfen.

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Fotos: Project Fumbaro Eastern Japan, fumbaro.org

Den 11. März 2011 wird Japan sicher nie wieder vergessen, als das schwerste Erdbeben seit Beginn der Aufzeichnungen den Osten des Landes heimgesucht hat. Zehn bis mehr als 30 Meter hohe Wellen überrollten infolge eines Tsunamis die ostjapanische Küste, Unfälle in gleich mehreren Kernkraftwerken wie am Standort Fukushima lösten weitere Katastrophen aus. Rund 18.000 Menschen starben, 470.000 wurden auf einen Schlag obdachlos. Zu dieser Zeit war Takeo Saijo hauptberuflich Lehrender im MBA-Programm der Graduate School of Commerce an der Waseda-Universität.

Dass die Hilfe viel zu langsam und ineffizient für die Menschen vor Ort anlief, und dass er ein Familienmitglied durch die Katastrophe verlor, brachte ihn dazu, das „Project Fumbaro Eastern Japan“ zu starten – eine auf Crowdsourcing basierte Online-Plattform, die es auf revolutionäre Weise schaffte, die akuten Bedürfnisse der Opfer gezielt mit den Hilfeleistungen der UnterstützerInnen zu verbinden. Takeo Saijo, Gewinner der Goldenen Nica 2014 in der Kategorie „Digital Communities“ spricht mit uns im Interview über die Potentiale der digitalen Vernetzung bei Katastrophen wie diesen und seinen Erfahrungen, die er bei der Etablierung dieser größten Freiwilligeninitiative Japans gemacht hat – und darüber, worauf es wirklich ankommt: Danke zu sagen.

“Project Fumbaro Eastern Japan” zeigt auf eindrucksvolle Weise, welches Potential in heutigen digitalen Communities steckt. Welche wesentlichen Vorteile stecken Ihrer Meinung  nach in dieser Technologie?

Takeo Saijo: Dieses System kann Hilfslieferungen direkt an die Menschen ausliefern, die sie benötigen – in der gewünschten Menge und in Echtzeit. So wurde dieses System tatsächlich im Jahr 2012 während der beispiellosen Regenkatastrophe in Kyushu eingesetzt, und auch im Jahr 2013 nach der Erdrutschkatastrophe auf der Insel Oshima. Gerade, wenn man sich Amazons „Wunschlisten“-System zunutze machen kann, funktioniert das ganz gut: Die SpenderInnen konnten die Dinge auf der Wunschliste der Betroffenen kaufen und diese wurden umgehend zu den Evakuierten geliefert. In Summe wurden mehr als 55.000 Artikel wie Kettensägen, Fahrräder und Haushaltsgeräte aus der ganzen Welt gespendet. Dieses System wird jetzt auch von einem Tierrettungsteam verwendet: Wenn jemand etwas spenden möchte, kann man sich Produkte wie Tierfutter aussuchen, die die Personen für die Pflege und den Erhalt der Tiere benötigen: fumbaro.org.

Wann und wie haben Sie die Community gegründet und warum?

Takeo Saijo: Der riesige Tsunami in Japan verwüstete die Küstengebiete und hier insbesondere die Tohoku-Region. Ich komme aus Sendai in der Präfektur Miyagi, wo ich leider einen Verwandten aufgrund des Tsunamis verlor. Es war extrem schwer für die Regierung und die bestehenden Hilfsnetzwerke, all die betroffenen Gebiete zu identifizieren und zu bestimmen sowie die notwendige Unterstützung bereitzustellen. Dazu kam noch, dass Häuser, Gebäude, Autos, Straßen, Züge, Eisenbahnschienen, Arbeitsplätze und Kommunikationsnetzwerke in den betroffenen Gebieten dem Erdboden gleichgemacht wurden. Für die Überlebenden war es deshalb schwierig, sich dort zu bewegen oder einen Zugang zum Internet zu erhalten. Ihre Möglichkeiten waren stark eingeschränkt. In solchen Ausnahmesituationen funktionieren herkömmliche Top-Down-Lösungen nicht ausreichend. Um mit diesen anspruchsvollen Umständen zurechtzukommen, entwickelte ich umgehend auf ein bestimmtes Prinzip aufbauende Strukturen, um die HelferInnen mit den Bedürfnissen der Opfer zusammenzubringen.

“Die Wirksamkeit einer Methode hängt ab von der Zielsetzung und der Situation“, so lautet das Prinzip, auf das ich mich stütze.

Es gibt keine allgemein gültige Methode, die in allen Situationen angewandt werden kann. Aber dieses Prinzip ist universell. Wir können auf diesen Grundsatz immer wieder zurückgreifen, um eine geeignete flexible Methode zu entwickeln.

Zuerst besuchte ich das Gebiet mit meinem Vater und meinen Freunden, um die nötigen Hilfsgüter zu verteilen und mir ein Bild von der Lage zu machen. Wir sahen, dass die Hilfeleistungen weder kleine Behausungen noch Menschen in ihren beschädigten Häusern erreichten. Die großen Zufluchtsorte waren zwar ausreichend versorgt, aber unter diesen Umständen gab es keine weiteren Ressourcen, um alle Menschen mit Gütern zu versorgen, die diese ebenso dringend benötigten. Obwohl die Anforderungen je nach ihren unterschiedlichen Umständen variierten, konnten viele Überlebende Mobiltelefone nutzen und die Paketdienste ihre Arbeit schon sehr schnell wieder aufnehmen. Das war die Ausgangslage, die ich nach meinem Besuch in den betroffenen Gebieten beobachten konnte.

Um die Überlebenden zu unterstützen, richteten wir sofort eine einfache Homepage ein, auf der wir die Bedürfnisse für die kleinen und inoffiziellen Zufluchtsorte publizierten und die wir dann mit meinem Twitter-Account verlinkten. Auf der Homepage konnten wir die Information in Echtzeit aktualisieren. Darum bat ich die UnterstützerInnen, uns über ihre Spenden umgehend zu informieren. Sobald die angegebenen Wünsche erfüllt werden konnten, wurde dies im Web bekanntgegeben. Dies vermied Ungleichgewichte in der Versorgung mit Hilfsgütern. Alle auf der Homepage aufgelisteten Dinge wurden innerhalb von 24 Stunden angeliefert. Das zeigte mir, dass das System sehr erfolgreich war. Deshalb entwickelte ich eine weitere Version, das die Hilfsgüter nun direkt zu den richtigen Personen in der gewünschten Menge lieferte. In Anlehnung an dieses Prinzip verband ich bestehende Infrastrukturen zu einem neuen Hilfsnetzwerk. Somit konnten über 1.000 Notunterkünfte innerhalb einer großen Fläche beliefert werden – die Unterstützung war für mehrere Monate gesichert und das System konnte letztendlich mehr als 35.000 Lieferungen im ersten Jahr ermöglichen.

Was haben Sie gelernt als Sie eine solch große Community auf die Beine gestellt haben?

Takeo Saijo: Danke sagen, das ist ganz besonders wichtig für alle Menschen und Organisationen. Chefs neigen dazu, es für selbstverständlich zu betrachten, dass ihre MitarbeiterInnen gute Arbeit machen, und MitarbeiterInnen erwarten sich von ihren Chefs, dass sie als Dank ihre Gehälter bekommen. Aber sie alle liegen falsch, denn es gibt unzählige MitarbeiterInnen, die nicht hart arbeiten, und es gibt Chefs, die keine Gehälter zahlen können, weil sie in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten geraten sind. Wir sind unbewusst in einen Zustand der Selbstverständlichkeit geraten – symbolisch gesprochen, ist es für uns selbstverständlich, dass wir ohne Probleme atmen. Vorgesetzte, die hart arbeiten, neigen dazu, ihre Untergebenen zu kritisieren und nicht anzuerkennen. Alle Menschen benötigen doch eine Form an Bestätigung. Durch solche Kritik könnte die Motivation der Untergebenen schnell auf ein niedriges Level fallen – gerade bei Hilfsorganisationen, die von Freiwilligkeit abhängig sind, würde das viele Freiwillige vertreiben.

Dankbarkeit hat viele bejahende Funktionen. Wenn wir anderen dankbar sind, fühlen wir uns bestätigt. Darüber hinaus, wenn wir anderen danken, fühlen auch sie sich bestätigt. Wenn wir ein Gehalt bekommen, sind wir froh, und in gleicher Weise sind wir glücklich, wenn wir von jemandem ein „Danke“ erhalten. Nur damit können wir auf die Unterstützung von Hunderttausenden an Freiwilligen zählen.

Eine ideale Organisation ist eine mit Dankbarkeit erfüllte.

Aber man sollte diese Ausdrucksform nicht als Methode verwenden, um Menschen zu beeinflussen, so wie es Vorgesetzte leider oft falsch verstehen. Weil Menschen dazu fähig sind, diesen Unterschied genau zu erkennen, geht die ursprüngliche Bedeutung der Anerkennung meist völlig verloren. Menschen wollen anerkannt sein, nicht beeinflusst werden.

Welches Potential haben soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook, wenn es darum geht, Hilfe zu finden? Wie könnten diese ihre Rolle als unterstützende Online-Dienste verbessern?

Takeo Saijo: Unser System nutzt soziale Netzwerke, um UnterstützerInnen aus ganz Japan und dem Rest der Welt miteinander zu vernetzen. Etwa 3.000 MitgliederInnen der Facebook-Gruppe warten und unterstützen unsere Aktivitäten. „Project Fumbaro Eastern Japan“ besteht aus über fünfzig verschiedenen Gruppen in unterschiedlicher Größe, jede einzelne mit unterschiedlichen Zielsetzungen; Verbände gibt es in den Präfekturen Miyagi, Iwate und Fukushima; mehrere Verbände auf Kommunalebene in Tohoku und in anderen Gebieten sowie als projektbasierte Individualgruppen und Verwaltungsgruppen.

Die Verwendung von Facebook-Gruppen war sehr nützlich, um über 50 verschiedene Gruppen effizient zu verwalten. Darüber hinaus entwickelten wir ein System, um den MitgliederInnen ein autonomes Handeln zu ermöglichen – es besteht aus einer einfachen flachen Struktur, mit einer Leiterin oder einem Leiter an der Spitze und verschiedene Projekte, Ortsverbänden und Verwaltungsgruppen direkt darunter. Je tiefer die hierarchische Struktur einer Organisation ist desto weniger effizient ist der Prozess der Entscheidungsfindung. Deshalb verschoben wir nach mehreren organisatorischen Umstrukturierungen in den vergangenen Jahren die administrativen Aufgaben wie das Rechnungswesen oder die Verwaltung vom Zentralbüro hin zu einzelnen Projekten und Ortsverbänden.

Als Folge dessen konnten mehr als 3.000 Freiwillige für über 30 Projekte mobilisiert werden, darunter Haushaltsgeräte, Lizenzen für Schwermaschinen, Lernhilfen für Kinder, Unterhaltung, PC- und Internetnutzung, das Schreiben von Unterstützungsbriefen, die Bedienung von Geigerzählern, handgefertigte Waren, Nähmaschinenjobs, Gartenbau, Berufshilfe, Tierrettungsteams, Handwerk, Fischereiprojekte. Das „Project Fumbaro Eastern Japan“, von einer Person entwickelt, hat damit etwas erreicht, das das Japanische Rote Kreuz mit Spendengeldern von über 330 Milliarden Yen nicht konnte.

Die Ausstellung „CyberArts“, die am 4. September 2014 während des Festival Ars Electronica 2014 in Linz eröffnet wird, rückt die GewinnerInnenprojekten des Prix Ars Electronica 2014 ins Licht. Weitere Informationen dazu finden Sie unter ars.electronica.art/c. Weiters empfehlen wir den Artikel: „What Makes a Flexible and Functional Organization? Project Fumbaro Eastern Japan driven by Structural Constructivism“ von Takeo Saijo.