STARTS-Prize 2016: Kunst als Katalysator

Dieses Jahr wurde der angesehene STARTS-Prize der Europäischen Kommission erstmals von der Ars Electronica ausgeschrieben. Prämiert wurden Projekte an der Schnittstelle von Wissenschaft, Technologie und Kunst. Einen Überblick über die Gewinner sowie ein paar der Auszeichnungen und Nominierungen finden Sie hier.

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STARTS, das steht für Science, Technology und ARTs, und der Name ist Programm: bei dem prestigeträchtigen Preis, der mit zweimal 20.000 Euro dotiert ist, werden Projekte am Knotenpunkt der drei Bereiche Wissenschaft, Technologie und Kunst gewürdigt. Durch das Aufeinandertreffen der verschiedenen Disziplinen entsteht großes Potential für Innovation – genau die Innovation, die Europa dringend benötigt, um kommende Herausforderungen zu meistern. KünstlerInnen wird hier eine Rolle als KatalysatorInnen zugesprochen, denn sie sind es, die wissenschaftliche und technologische Konzepte einer größeren Öffentlichkeit zugänglich machen und dadurch sozialen Wandel erst wirklich ermöglichen.

Die teilnehmenden Projekte hatten in zwei Kategorien die Chance, ausgezeichnet zu werden: zum einen wurden künstlerische Arbeiten prämiert, die unsere Sichtweise auf Technologie verändern oder beeinflussen. Zum anderen hatten auch Zusammenarbeiten zwischen Industrie bzw. Technologie und Kunst und Kultur die Chance auf eine der heiß begehrten Prämierungen. Die beiden Gewinner-Projekte stehen schon seit diesem Frühling fest – die offizielle Preisverleihung findet bei der großen Prix Ars Electronica Gala am 9. September 2016 in Linz statt.

Nicht nur die beiden Sieger-Projekte sind spannend, auch die übrigen Auszeichnungen und Nominierungen können sich sehen lassen. Wir zeigen Ihnen hier schon vor der offiziellen Preisvergabe eine kleine Auswahl der diesjährigen STARTS-Projekte.

Eines der neun Projekte von Artificial Skins and Bones: Shortcut.

Kunst, Körper und Prothesen: Artificial Skins and Bones

Das Gewinner-Projekt für innovative Zusammenarbeit zwischen Industrie oder Technologie und dem Kunst- und Kulturbereich heißt Artificial Skins and Bones und kommt aus Deutschland. Genauer gesagt entstanden die verschiedenen Arbeiten, die das Projekt beinhält, in einem Seminar an der Weißensee Kunsthochschule Berlin. In Kooperation mit dem Prothesenhersteller Ottobock entstanden neun Werke, die sich alle um künstliche Körper und unsere Beziehung zu ihnen drehen: darunter sind Textilien, die ihre Farben und Muster verändern können; ein tragbares System, das Bewegungen vertont und somit das Geh-Training für ProthesenträgerInnen vereinfacht; ein Armand, das Muskelimpulse auffasst und sie in Computerbefehle übersetzt; oder auch eine Untersuchung darüber, bis zu welchem Grad Materialien für Prothesen realistisch aussehen dürfen, bevor wir Menschen sie als unheimlich, weil: zu echt anmutend, empfinden.

Mehr über die neun Projekte finden Sie in unserem Interview mit einem der beiden Seminarleiter, Prof. Wolf Jeschonnek, am Ars Electronica Blog.

Magnetic Motion Iris van Herpen Ars Electronica STARTS Prix

Credit: Morgan O’Donovan

Mode mit Anziehungskraft: Magnetic Motion

Den zweiten STARTS-Preis, für künstlerische Erforschung und Werke, die unsere Sicht auf Technologie maßgeblich beeinflussen, erhielt die Mode-Kollektion Magnetic Motion von Iris van Herpen. Die niederländische Modeschöpferin lässt sich regelmäßig von anderen Disziplinen inspirieren, so auch für Magnetic Motion: nach einem Besuch des Large Hadron Collider am Forschungszentrum CERN nahm sie sich dessen Magnetfeld zum Vorbild und schuf eine Kollektion, die stark von den wissenschaftlichen Themen Magnetismus und Chaos beeinflusst ist. Die Kleidungsstücke werden nicht mit der Nähmaschine, sondern mit Spritzgießen, Laserschneidern und 3D-Druckern gefertigt, während die auffälligen Accessoires mit Magneten geformt wurden.

Einzigartig: die WCMC Discovery Wall

Die WCMC Discovery Wall der beiden britischen Unternehmen Squint/Opera und Hirsch & Mann ist keine Wand wie jede andere: sie besteht aus 2800 Minibildschirmen, vor denen jeweils eine kreisförmige Acrylscheibe angebracht ist. Steht man nah vor der Wand, erscheinen die individuellen Bilder auf den Monitoren fast wie in einer Kugel. Entfernt man sich hingegen etwas, verschmelzen die verschiedenen Einzelbilder zu einem großen, neuen Bild zusammen. Die gezeigten Bilder und Animationen wechseln ständig – und können auch vom Benutzer stets weiterentwickelt und angepasst werden. Die WCMC Discovery Wall steht im Weill Cornell Medical College in Manhatten und dient als Hommage an die Forschungsarbeit der Universität.

Fliegende Lampen und ein Funke Magie: SPARKED

In der Zusammenarbeit zwischen Verity Studios, ETH Zürich und Cirque du Soleil ist etwas Magisches entstanden: der verspielte Kurzfilm SPARKED, bei dem Lampenschirme fliegen lernen und Technologie wie Zauberkraft aussieht. Ein Reparateur sitzt in seinem Büro und arbeitet an einer kaputten Lampe, als er plötzlich einen Kurzschluss verursacht. Er sitzt im Dunkeln – bis die Lampen um ihn lebendig werden und zu tanzen beginnen. „Any sufficiently advanced technology is indistinguishable from magic“, wird der Autor Arthur C. Clarke zu Beginn des Films noch zitiert. Wie wahr das ist, sieht man erst beim Abspann: dort steht nämlich der Hinweis, dass die Lampenschirme ohne jegliche Animationstechnik tanzen, sondern vielmehr präzise gesteuerte Drohnen sind.

Bunte Farbenspiele: RGB | CMY KINETIC

Vor dem Werk RGB | CMY KINETIC von ART+COM Studios aus Deutschland könnte man Stunden verbringen, so faszinierend sind die fünf verspiegelten Scheiben, die durch den Raum schweben. Sie reflektieren Licht von drei Scheinwerfern in den Primärfarben Rot, Grün und Blau und werfen damit ein stets wechselndes Farbenspiel auf den Boden. Die Scheiben hängen an dünnen Schnüren und scheinen somit fast zu fliegen – gemeinsam mit der Hintergrundmusik ergibt sich ein gut durchdachtes und koordiniertes Schauspiel.

FairyLightsinFemtoseconds Ars Electronica STARTS Prix

Credit: Yoichi Ochiai

Licht, das greifbar ist: FairyLightsinFemtoseconds

FairyLightsinFemtoseconds von dem japanischen Medienkünstler Yoichi Ochiai lässt Vorstellungen Wirklichkeit werden, und zwar nicht mithilfe von Bildern oder Statuen, sondern mit Licht. Durch holografische Synthese entstehen winzig kleine Grafiken, die in der Luft schwirren. Das Besondere an dieser Licht-Projektion? Die leuchtenden Mini-Bilder reagieren auf Berührungen und sind somit nicht nur sicht-, sondern auch greifbar. Dadurch entsteht die Möglichkeit für Interaktionen – ein ganzes Herz wird durch Berührung zu einem gebrochenem, die Buchstaben LOVE verwandeln sich in HATE, und Logos drehen sich nach einem kurzen Anstoß mit dem Finger im Kreis. Feenlicht nennt der Künstler seine neue Technik, der Name ist stimmig: so fein und winzig wie die Projektionen ist Feenstaub vermutlich auch…

Zwischen Wahn und Wirklichkeit: Cold Stares

Das Musikvideo des Künstlers Nosaj Thing und des Musikers Chance The Rapper ist Tanzstück, Videokunst und Musikstück zugleich. In dem Lied Cold Stares geht um die Suche nach Existenzgründen, um Erinnerungen, um das Verschwimmen von dem, was wirklich ist, und dem, was nur in unserer Vorstellung existiert – ein tiefsinniger Text, der Ausdruck in dem dunklen Video findet. Die wirkliche Welt wird dabei von den beiden Tänzerinnen dargestellt, während die Welt des Wahns und der Illusion von Computeranimationen hinzugefügt wurden. Sie sind nicht unabhängig voneinander, sondern gehen vielmehr ineinander über – manchmal so schnell, dass man selbst den Unterschied nicht mehr merkt.

Halb Garten, halb eigenständiges Fahrzeug: Hortum machina, B

Eine Pflanze, die durch die Gegend rollt – das ist, simpel ausgedrückt, Hortum machina, B. Die begrünte Konstruktion von dem britischen Interactive Architecture Lab sieht aus wie eine Kugel und rollt ganz von selbst immer in die Position, in der die Pflanzen gerade am besten Sonne bekommen. Wenn also mehr Licht benötigt wird, dreht sich Hortum machina, B zur Sonne, wenn es zu heiß ist, wird Schatten aufgesucht. Das funktioniert, weil elektrochemische Stimuli der einzelnen Pflanze gemessen und die Resultate dann vernetzt und gebündelt werden. Die Pflanzen „denken“ also gemeinsam darüber nach, welche Position gerade die beste für alle ist – fast wie ein Lebewesen.

Ein Arm zum Selber-Bauen: HACKberry

Nominiert wurde auch HACKberry, ein bionischer Arm für Personen mit Handamputation. Verantwortlich dafür ist die japanische Gruppe exiii, bestehend aus Genta Kondo, Hiroshi Yamaura und Tesuya Konishi. Die Pläne für HACKberry sind online als Open-Source-Daten unter einer Creative-Common-Lizenz verfügbar und können mit einem 3D-Drucker ganz einfach selbst umgesetzt werden. SoftwareentwicklerInnen rund um die Welt können die motorisierte Hand nicht nur nachbauen, sondern sogar nach ihren eigenen Wünschen weiterentwickeln. So entstehen Projekte, die zwar denselben Ursprung haben, aber alle einzigartig sind und individuell an ProthesenträgerInnen angepasst werden können.

Spiel mit Licht und Schatten: Floating Points – Silhouettes

Das RegisseurInnen-Duo Hamill Industries und der Regisseur und Illustrator Junior Martinez haben für das Musikvideo für Silhouettes von dem Musiker Floating Points eigens eine Lichtfarbmaschine entwickelt. Diese zeichnet fesselnde Formen in eine träumerische Landschaft und kann gleichzeitig auch noch den Auslöser, verschiedene Lichter, Nebelmaschinen und ein ebenfalls selbst gebautes Bewegungskontrollsystem steuern. Die technisch sehr anspruchsvolle Arbeit erstreckte sich über sechs Monate – herausgekommen ist ein Video, das den Sound von Floating Points bildschön illustriert.

Nicht nur die hier vorgestellten Projekte, sondern auch die restlichen Nominierungen und Auszeichnungen des STARTS-Prizes sind spannend. Erfahren Sie mehr über die Arbeiten des STARTS-Prize 2016 auf starts-prize.aec.at, und merken Sie sich schon jetzt das Ars Electronica Festival 2016 von 8. bis 12. September 2016 in Linz vor, denn auch hier wird der STARTS-Prize in Form von Ausstellungen und Vorträgen sichtbar. Die genauen Ausstellungsorte finden Sie hier: https://starts-prize.aec.at/de/presentations/ .

This project has received funding from the European Union’s Horizon 2020 research and innovation programme under grant agreement No 732019. This publication (communication) reflects the views only of the author, and the European Commission cannot be held responsible for any use which may be made of the information contained therein.