Linz schaut über den Tellerrand: Kochevents von und mit Geflüchteten

Unmittelbar nach dem Ars Electronica Festival 2015 wurde die Festival-Location POSTCITY zum Transitlager für geflüchtete Menschen. Seit September letzten Jahres verbrachten über 50.000 Frauen, Männer und Kinder eine Nacht ihrer Flucht in Linz - an sie erinnern wir uns dieses Jahr mit genauso vielen Blumen, die von BesucherInnen gegen eine Spende mit nach Hause genommen werden können. Der Erlös geht an die Linzer Über den Tellerrand Community – wer das ist, erfahren Sie hier.

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Schon seit mehreren Wochen wachsen die kleinen Pflanzen langsam in den Stadtgärten Linz: Fast 60.000 Blumen werden hier für das Ars Electronica Festival 2016 gezüchtet. Damit wird dieses Jahr die große Konferenzhalle in der POSTCITY Linz begrünt. Jede Blume erinnert so an einen der Menschen, die hier seit September 2015 eine Nacht Sicherheit finden konnten, als der Ort noch als Transitlager für Geflüchtete genutzt wurde.

Beim diesjährigen Ars Electronica Festival können Besucher und Besucherinnen die Pflanzen gegen eine kleine Spende mit nach Hause nehmen. Der Erlös geht dabei vollständig an die Linzer Über den Tellerrand Community, die mit Kochevents und gemeinschaftlichen Aktivitäten, wie etwa dem Bemalen von „KulturSesseln“, die Flüchtlingsbetreuung in Linz bereichert.

Anlässlich der 2. HelferInnenkonferenz von ZusammenHelfen in Oberösterreich, einer Konferenz für freiwillige und hauptamtliche Helfer und Helferinnen für geflüchtete Menschen, kommt die Community von 8. bis 12. September 2016 zum Festival, um miteinander zu kochen und ein paar der Stühle zu gestalten. Beate Adam, Gründerin der Über den Tellerrand Community Linz, erzählt uns hier mehr über ihr Projekt.

Über den Tellerrand Linz Beate Adam Festival 2016

Beate Adam, Oranisatorin der Linzer Über den Tellerrand Community. Credit: Vanessa Graf

Um was geht es bei der Über den Tellerrand Community?

Beate Adam: Hier treffen sich Menschen, die sich gerne auf Augenhöhe begegnen möchten, die fest davon überzeugt sind, dass es wichtig ist, in einer Gesellschaft einen sozialen Zusammenhalt zu schaffen, dass man sich gegenseitig mit Respekt begegnet und dass Vielfalt eine Bereicherung ist.

Die verschiedenen Über den Tellerrand Communities schaffen Begegnungsmöglichkeiten zwischen Beheimateten und Flüchtlingen, Schutzsuchenden. Auf der ganzen Welt gibt ist das miteinander Kochen, das miteinander Essen,  so eine Art der Begegnung. Insgesamt gibt es 25 sogenannte Satelliten, also verschiedene Communities. Der Hauptort ist Berlin, eine meiner Herzensstädte, was Projekte anbelangt. Diese Satelliten gibt es in Deutschland, der Schweiz, Niederlande und Spanien und jetzt auch in Österreich.

Flowers Postcity Refugees Donation

Die Blumen wurden schon in die POSTCITY gebracht. Credit: Martin Hieslmair

Wie kam es zu der Gründung eines solchen Satelliten in Österreich?

Beate Adam: Es waren Divisionen, die mich angesprochen haben. Ich habe dann in meinem Freundeskreis viel von der Berliner Community erzählt, die ja mittlerweile schon das dritte Kochbuch veröffentlichen. Ich selbst habe auch eines der Kochbücher, wir haben uns also gemeinsam das Kochbuch angesehen und festgestellt: Das wollen wir auch.

Wirklich begonnen hat dann alles damit, dass ich seit Oktober 2015 eine Gruppe junger Afghanen in Linz betreue, gemeinsam mit einer Freundin, Elif. Elif begann dort zweimal in der Woche einen Deutschkurs abzuhalten, ich war Assistentin. Wir fingen damit an, einkaufen zu gehen, bis ich irgendwann sagte – kochen wir doch! Das war der erste Kochevent, im Mai 2016. Wir kochten mit unserer Gruppe junger Afghanen, die alle sehr gut kochen können. Wir luden Freunde und Freundinnen aus unserem Bekanntenkreis ein, um einfach einmal zu testen, wie es läuft. Es war für alle ein sehr bereichernder Nachmittag, wir hatten wirklich viel Zeit, uns kennenzulernen. Danach beschloss ich, nach Berlin zu schreiben. Ich schickte ein paar Fotos mit und sie antworteten sofort.

Ich bekam Material, wie zum Beispiel das Logo, zur Verfügung, wofür ich sehr dankbar bin. Relativ kurz danach fand schon der zweite Kochevent statt, wo wir den Kreis etwas erweiterten. Wir sind momentan noch in einer Phase, wo sehr viel über Mundpropaganda und persönliche Ansprache passiert. Ich arbeite seit 1998 mit Migrantenfamilien, von dort weiß ich auch sehr gut, wie wichtig es ist, dass man die Menschen bei der Hand nimmt und sagt: Ich lade dich ein, wir gehen gemeinsam dorthin, wir machen das gemeinsam. Das gibt ihnen enorm viel Sicherheit. Mit der Zeit wird das lockerer und sie erledigen Dinge auch alleine. Das ist bei Migrantenfamilien so und das verstärkt sich bei Flüchtlingen noch einmal. Der zweite Kochevent war auch wieder ein ganz toller Nachmittag, wir kochten viel, lachten viel. Den dritten Event hatten wir im Juni, mit Gästen aus Vorarlberg. Ein Soziologe, der mit einer Gruppe Pädagoginnen und Integrationsbeauftragten zu Besuch war, kam an dem Abend zum gemeinsamen Fastenbrechen. Damals waren wir schon 65 Personen, das war dann eine ganz andere Dimension.

Nach diesem Event entdeckte ich die Aktion „KulturStühle“ der Universität Göttingen. Ich fand das eine sehr nette Idee. Ich kontaktierte die verantwortliche Künstlerin in Göttingen, die mir nach einiger Zeit eine E-Mail zurück schrieb. Sie war hocherfreut, dass diese Idee der KulturStühle, bei uns KulturSessel, bis nach Linz gefunden hat. Sie freute sich wirklich sehr darüber und wünschte uns viel Erfolg. Außerdem begannen die Frauen bei uns, Taschen aus T-Shirts mit unserem Logo zu machen. Wir versuchen also auch, die Idee des Kochens auszuweiten.

Über den Tellerrand Community Linz Festival 2016

Credit: Über den Tellerrand Community Linz

Ihre Arbeit basiert auf freiwilligem Engagement, Sie sind sehr engagiert. Was ist Ihr persönlicher Zugang zum Thema?

Beate Adam: Ich begann im September 2015, als die Fluchtbewegung über die Medien auch zu uns kam, Dinge zu sammeln. Ich erfüllte mir dann einen großen Wunsch und besuchte das Flüchtlingsprojekt Ute Bock. Das war einer meiner Herzenswünsche, sie ist eines meiner großen Vorbilder. Wenn ich mir noch einen Wunsch erfüllen darf in meinem Leben, dann hätte ich gerne ein Haus wie die Ute Bock, wo ich wirklich bis an das Ende meiner Tage für Menschen da sein kann. Während dieses Besuchs nahmen wir, meine Tochter und ich, über das Radio wahr, dass am Wiener Hauptbahnhof Gewand und Wasser gebraucht wurden. Als wir hörten, es war genügen Versorgung vorhanden, fuhren wir stattdessen nach Nickelsdorf. Das war für mich ein sehr einschneidender Tag, für uns beide eigentlich. Ich würde uns als sehr starke Frauen bezeichnen, aber als wir in dieser Halle standen waren wir einfach fassungslos, irgendwie auch hilflos. Das war dann auch der Punkt, an dem wir uns überlegten – was können wir machen?

Beim Rückweg fuhren wir über Traiskirchen, wo sich Szenen abspielten, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Wir hatten einen Klein-LKW mit Spenden mit, den Rest brachten wir damals in die Tabakfabrik in Linz, ein Transit-Lager mit 500 Flüchtlingen. Ich wollte dann den ganzen Sommer über schon helfen. Seit September treffen wir uns regelmäßig mindestens einmal in der Woche mit der Gruppe junger Afghanen und unternehmen gemeinsam Freizeitaktivitäten. Letztes Mal waren wir mit dem Deutschkurs im Tiergarten. Wir zeigten ihnen auch den Wissensturm, wir waren im Ars Electronica Center, im Rathaus –wichtige Stützpunkte, die auch in ihrem Leben in Österreich relevant sind. In der letzten Zeit war eine unsere Hauptaktivitäten, die Menschen auf die Deutschprüfungen A1 und A2 vorzubereiten. Später können wir auch wirklich versuchen, eine Lehrstelle oder einen Praktikumsplatz zu finden.

Über den Tellerrand Linz Community

Credit: Über den Tellerrand Linz Community

Sie haben schon oft mit geflüchteten Menschen gekocht – welche sind für Sie die leckersten Gerichte?

Beate Adam: Meine Lieblingsgerichte sind Kofta, das sind afghanische, faschierte Bällchen, fast tennisballgroß, und das Biryani, ein pakistanisches Gericht. Es ist ein Reisgericht mit ein bisschen Schärfe, aber auch ein bisschen Süße. Das sind meine beiden Favoriten. Es waren aber auch alle sehr begeistert, als ich den ersten Apfelstrudel beim Kochen machte. Ich achte doch auch immer darauf, dass auch österreichische Gerichte vorkommen, denn diese sind ja auch etwas Neues für die Menschen. Es muss nicht immer nur aus den Herkunftsländern der Menschen gekocht werden, für sie ist ja auch alles andere spannend.

Wie läuft das Kochen ab – kochen alle gemeinsam?

Beate Adam: Das kommt ganz darauf an!  Die letzten Events waren so gestaltet, dass ein Teil kochte, ein Teil Sessel bemalte. Gegessen wurde natürlich gemeinsam. Ansonsten ist es so, dass wir gemeinsam kochen und gemeinsam schnipseln. Für das afghanische Gericht Qabuli zum Beispiel muss man ganz feine Stifte aus Karotten schneiden – das habe ich auch versucht und sofort eine Rüge erhalten, weil meine viel zu dick waren. Es gibt immer Hauptköche, das ist ihnen auch persönlich sehr wichtig. Bei den letzten paar Malen war das Wetter sehr schön, deshalb saßen wir Frauen draußen, schnipselten, bereiteten alles vor und tranken Tee, während drinnen gekocht wurde.

Über den Tellerrand Community Linz Festival 2016

Credit: Über den Tellerrand Linz Community

Beim Ars Electronica Festival 2016 wird man Blumen kaufen können, der Erlös dafür geht an Über den Tellerrand Linz. Wofür werden die Spendengelder verwendet?

Beate Adam: Verschiedene Dinge – wir erstellten zum Beispiel zehn Kochkarten gemeinsam, auf denen die Rezepte stehen. Die werden wir jetzt in den Druck geben. Gegen Weihnachten möchten wir unser Kontingent an Kochkarten noch ein bisschen erhöhen. Wir brauchen auch Werbemittel, damit wir in der Öffentlichkeit etwas präsenter sein können. Natürlich können auch für die Lebensmittel, die bis jetzt von einem sehr kleinen Kreis finanziert wurden, Kosten übernommen werden. Wir würden außerdem gerne die Taschenproduktion erweitern, da braucht es auch immer wieder Nähmaterialien. Das ist für einen Teil der Gruppe wirklich auch eine Beschäftigung, sie sind sehr stolz darauf, dass Leute diese Taschen kaufen und sie in Linz präsent werden.

Ich denke natürlich auch daran, was die einzelnen Menschen brauchen könnten. Für uns ist es unheimlich wichtig, dass unsere Burschen irgendwann einmal ein Notebook bekommen können, auch, damit sie besser Deutsch lernen können. Wir haben zum Beispiel in der Gruppe auch einen Journalisten aus Kabul, der gerade dabei ist, einen kleinen Film über Oberösterreich zu drehen – das muss dann geschnitten werden.

Die Über den Tellerrand Linz Community wird beim Ars Electronica Festival vom 8. bis zum 12. September 2016 gemeinsam kochen und „KulturSessel“ bemalen. Am Samstag, den 10. September, wird außerdem die 2. HelferInnenkonferenz in der großen Konferenzhalle stattfinden – die 60.000 Blumen, die diese Halle schmücken, können gegen eine kleine Spende mit nach Hause genommen werden. Der Erlös geht vollständig an die Über den Tellerrand Community! Für mehr Informationen besuchen Sie bitte unsere Website: https://ars.electronica.art/radicalatoms/de/