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Sperm Race

Ein ungewöhnliches Projekt bei der Ars Electronica 2000

Die Gründung der Ars Electronica vor 21 Jahren war mit der Absicht verbunden, neuen gesellschaftsrelevanten Technologien eine öffentliche Präsentations- und Diskussionsplattform zu bieten. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, zu dem die Auswirkungen der damals aufkommenden Informationstechnologien noch bei weitem nicht abzuschätzen waren. Einer der Grundpfeiler in der Konzeption des Festivals war von Beginn an die Vernetzung von Kunst und Wissenschaft. Linz hat sich mit der Ars Electronica nicht nur international etabliert, sondern konnte sich durch die kontinuierliche Themenvorreiterschaft als seriöses und kompetentes Diskussionsforum zu technologieinduzierten gesellschaftlich-kulturellen Fragen und Problemstellungen positionieren.

Die rapide Entwicklung der Biotechnologien in den letzten Jahren hatte für die Veranstalter des Festivals die logische Folge einer Neuorientierung in der Themenstellung. Dies geschah 1999 mit dem Festivalthema LifeScience und wird heuer fortgeführt mit NEXT SEX. Damit stellt Ars Electronica 2000 in Vorträgen, Künstlerarbeiten und wissenschaftlichen Präsentationen ein Thema in den Mittelpunkt, das jeden Menschen in seinem Innersten berührt.
Bedeutet der Eingriff in die Bausteine menschlichen Lebens dessen Einmaligkeit? Wird in Zukunft die Zeugung menschlichen Lebens losgelöst von der Sexualität zu sehen sein und diese somit zur reproduktionstechnischen Überflüssigkeit?

Ars Electronica löst damit bewusst einen öffentlichen Diskurs aus und fordert die Wissenschaft auf, sich diesem zu stellen.

Das diskutierte Projekt Sperm Race ist dabei nicht isoliert zu sehen, sondern im Kontext mit dem hochkarätig besetzten Themensymposion, mit Kunstprojekten und dem auf dem Linzer Hauptplatz öffentlich gemachten Labor, in dem Besucher die heute bereits alltäglichen Methoden künstlicher Befruchtung im Versuch aus der Nähe kennen lernen können. Darüber hinaus haben männliche Besucher die Möglichkeit, das eigene Spermium untersuchen zu lassen. Die Samenprobe kann mitgebracht oder in einem eigenen abgeschlossenen Containerabteil unter den üblichen klinischen Bedingungen abgegeben werden.

Dieses Labor wird für Ars Electronica von Wissenschaftern und Medizinern der Universität Salzburg und der Donauuniversität Krems geführt und entspricht strengsten hygienischen und medizinischen Bestimmungen. Die Spermienanalyse erfolgt nach wissenschaftlichen Methoden und gibt - kostenlos - fundierten Aufschluss über die Qualität des jeweiligen Spermas und individuelle medizinische Beratung. Mit diesem - nur auf den ersten Blick - provokanten Projekt bringt Ars Electronica wissenschaftliche Methoden und Praktiken, die jeden Menschen betreffen, an die Öffentlichkeit und will damit- abseits von spekulativen Klischees und Voyeurismus - einen längst erforderlichen Diskurs auslösen.

            Christine Schöpf, Gerfried Stocker - Direktorium der Ars Electronica


Sperm Race und der Laborcontainer am Linzer Hauptplatz
- Die Hintergründe -


Die moderne Molekularbiologie, die Erforschung des Human Genome und die Entwicklungen im Bereich der Reproduktionsmedizin haben Wissenschaft und Technologie in einem bislang ungekannten Ausmaß direkt an den innersten Kern des Menschen herangeführt.

Es geht wie nie zuvor um uns selbst, um die Art und Weise, wie wir uns fortpflanzen, wie wir uns definieren - biologisch, moralisch, metaphysisch.
Die Erforschung des Menschen wird zum Prüfstein für unsere Vorstellung vom menschlichen. Humanismus, und Religionen sind gleichermaßen gefordert wie politische und soziale Weltanschauungen.

In dem Jahr, in dem das menschliche Genom entschlüsselt wurde, in dem Großbritannien das Klonen menschlicher Embryos freigibt, hat die Ars Electronica die Zukunft der menschlichen Reproduktion ins Zentrum der künstlerischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung gestellt.

Mit den Projekten Sex i(n) Motion und Sperm Race geht es um die Öffentlichkeit von Wissenschaft. Tagtäglich werden wir über die Medien mit Informationshülsen über Gentherapie, Präimplantationsdiagnostik, künstliche Befruchtung etc. etc. versorgt, doch die wissenschaftlich-technischen Abläufe bleiben hinter den Türen der Forschungslabors verborgen. Samenbanken, IVF und Leihmutterschaft zählen in vielen reichen Ländern mittlerweile zu einer äußerst verbreiteten Formen der Fortpflanzung und haben durch Pop-Ikonen wie Madonna und Jody Foster einen elitären Luxus-Kultstatus erreicht. Angesehene Forscher wie z. B: Carl Djerassi, der Erfinder der Anti-Babypille, sprechen sich dafür aus, dass Männer in jungen Jahren ihr Sperma einfrieren lassen sollten, um zum Zeitpunkt, zu dem sie sich ihren Kinderwunsch erfüllen wollen, auf "bestes Material" zurückgreifen zu können.

Eine aufgeklärte Auseinandersetzung mit diesen Entwicklungen (die wie nie zuvor wirklich jeden von uns unmittelbar angehen) kann nur stattfinden, wenn wir auch in der Lage sind, sie kennen zu lernen und damit in Berührung zu kommen. Mit dem Labor-Container der Ars Electronica wird es zum ersten Mal einer breiten Öffentlichkeit möglich, diese Schlüsseltechnologien kennen zu lernen. Wir gehen damit in die Öffentlichkeit, um eine öffentliche Auseinandersetzung damit in Gang zu bringen.

Natürlich stößt dies (wie fast alles, wenn es um moderne Gentechnologien etc. geht) an Tabus, aber "die Wissenschaft zu vermitteln heißt auch, die ganze Realität dieser Wissenschaft zu sehen, nicht nur hübsche Bilder davon ...", wie Mag. Reinhard Nestelbacher, Genetiker und wissenschaftlicher Leiter dieses Projektes, betont. Und weiter meint er: "Nur so können die Leute den Kontakt zu Wissenschaft knüpfen und einen Zugang finden."

Sperm Race, eines der Experimente im Laborcontainer am Linzer Hauptplatz, befasst sich mit der weithin bekannten Tatsache, dass die Spermienqualität (vor allem die Beweglichkeit und Geschwindigkeit als ganz wesentliche Faktoren der Fortpflanzungsfähigkeit) in den letzten Jahren deutlich sinkt. Die Spermienkonzentration ist in den vergangenen vier Jahrzehnten sogar bis zu 70 Prozent zurückgegangen. Die Einflussgrößen sind noch umstritten, vielfach werden jetzt Industriechemikalien und Pestizide vermutet.

Unter wissenschaftlich-medizinischen Rahmenbedingungen besteht die Möglichkeit, eine eigene Samenprobe analysieren und sich medizinisch beraten zu lassen. Diese Probe kann man mitbringen, aber selbstverständlich ist es auch möglich, im Labor selbst (unter strengen hygienischen Bedingungen) eine Samenprobe abzugeben.

Dabei geht es in keinster Weise um ein voyeuristisches Inszenieren von Intimität und Privatsphäre, sondern um eine aufgeklärte Auseinandersetzung mit höchst aktuellen Problem- und Fragestellungen. Keine Provokation durch sexuelle Aktion oder Zurschaustellung findet hier statt, keine Verunglimpfung von Menschen und ihren moralischen Werten, sondern die Konfrontation mit unserer hoch technologisierten Welt, die auch vor dem Menschen nicht halt macht. Wir müssen uns der Realität unserer modernen technologischen Gesellschaft stellen, denn nur so können wir aus der Sackgasse des Verklärens oder Verdammens des medizinischen Fortschritts herauskommen.
Wissenschaft muss enttabuisiert werden. Auch dann, wenn es sich um Themen wie Sexualität und Fortpflanzung handelt.

Sperm Race geht aber bewusst einen Schritt weiter und bietet die Inszenierung eines "Wettlaufs der Spermien" als eine künstlerische Strategie zur Beschreibung gesellschaftlicher Problembereiche.
Viele Forscher haben in letzter Zeit auf die Bedeutung der evolutionsbiologischen Grundlagen des Menschen für sein Verhalten hingewiesen. Männliche Potenzängste, sexistisches Imponiergehabe, Promiskuität, ja, sogar Vergewaltigung werden als evolutionsbiologisch bedingte Verhaltensmuster beschrieben (z. B: von Robin Baker, Randy Thornhill oder Dean Hamer). Diese Forschungen sind sehr umstritten, stellen sie doch gewissermaßen in Frage, wie weit wir durch unsere Kultur unsere Triebe zähmen können.

Im Zeitalter von Viagra und Silikon ist es an der Zeit, die gängigen Vorstellung vom sexuellen Wettkampf auch einmal mit etwas Ironie ins Visier zu nehmen. Was ist denn nun wirklich entscheidend für den sexuellen Wettbewerb: der soziale Status, die Muskelpakete aus dem Fitnessstudio, die PS-Zahl des Autos oder gar, ob man gratis Hormone bekommen hat?

Sperm Race wird zeigen, dass viele der gängigen Vorurteile und Meinungen rund um die Manneskraft nur sehr wenig mit der Wirklichkeit zu tun haben.

Das Projekt wird geleitet von Mag. Reinhard Nestelbacher (Molekularbiologe Univ. Salzburg), in Kooperation mit der Donau Universität Krems (Dr. Gunter Schultes, Vorstand des Zentrums für Reproduktionsmedizin) und wird medizinisch betreut von Dr. Andreas Jungwirth (Urologe, Androloge / Landeskliniken Salzburg)



Dr. Andreas Jungwirth, Urologe, Androloge / Landeskliniken Salzburg

Für Dr. Jungwirth, der das Projekt medizinisch begleitet, geht es geht darum, den Menschen die Angst davor zu nehmen, sich mit reproduktionstechnischen Maßnahmen auseinander zu setzen und sich ihnen bei Bedarf auch zu unterziehen. Eine Transparentmachung und Aufklärung ist in diesem Zusammenhang dringend notwendig - gerade in einer Zeit, in der immer mehr Menschen mit medizinischen Problemen rund um Kinderwunsch und Fortpflanzung persönlich konfrontiert sind."

"Was wird dabei gemacht: Die drei wesentlichen Parameter - die Zahl der Spermien, ihre Beweglichkeit und ihre Morphologie - werden analysiert und es wird den Menschen erklärt, wie das zu verstehen ist und welche Zusammenhänge wichtig sind. Und das geschieht auf höchstem technischen Niveau."

"Die Inszenierung als Wettbewerb erfüllt dabei die Funktion der Enttabuisierung und sollte es leichter machen, sich dem Thema zu nähern und auch einmal ganz entspannt darüber zu reden."



Dr. Gunter Schultes, Vorstand des Zentrums für Reproduktionsmedizin der Donau-Universität Krems

"Man kann einen großen Unterschied darin feststellen, wie z.B. im angloamerikanischen Raum mit Fragen der Reproduktionsmedizin umgegangen wird und wie das in Österreich geschieht. Im angloamerikanischen Raum stößt man auf eine sehr normale, fast selbstverständliche Umgangsweise, und die Betroffen bekennen sich auch dazu und können ganz normal über künstliche Befruchtung (IVF = In-vitro-Fertilisation) sprechen, wohingegen man bei uns meist versucht, das zu verbergen und zu verheimlichen. Ein eigentlich sehr harmloses medizinisches Problem, für das es sehr effiziente Behandlungsmethoden gibt, wird tabuisiert und fast dämonisiert. Es wird als Makel gesehen, und damit wird es Betroffenen noch schwerer gemacht, sich damit auseinander zusetzen und eventuell auch helfen zu lassen.

Durch die Diskussion um die Gentechnik ist dies noch verschärft worden, weil nun noch stärker polarisiert und die Technologie zur Bedrohung stilisiert wird.
Aber angesichts der rasanten Entwicklung neuer medizinischer Möglichkeiten ist eine breite Auseinandersetzung mit dem Thema wichtiger denn je.
Es hat sich ja z. B. 1992 anlässlich des Fortpflanzungsmedizingesetzes gezeigt, dass sich das Fehlen einer offenen Diskussion und Meinungsbildung sehr negativ auf die Entwicklung der Rahmenbedingungen dieser neuen Technologien auswirkt.

Um Themen diskussionsfähig zu machen, braucht es natürlich auch Spannungsfelder, und diese Wettbewerbsidee ist eine gute Möglichkeit, die Diskussion darüber in die Öffentlichkeit zu bringen und dem Thema jene Aufmerksamkeit zu verschaffen, die es braucht. Es scheint ja ein Gesetz unserer Mediengesellschaft zu sein, dass auf Probleme nur reagiert wird, wenn sie auch spektakulär sind. Als Wissenschaftler kämpfen wir immer darum, unsere Anliegen auch wirklich an die Betroffen heran zubringen und die Ars Electronica kann uns dabei helfen.




SPERM RACE Sa So - Mo
science education team/A 2. 9. 2000 3. - 4. 9. 2000
  18.00 - 20.00 10.00 - 19.00

Presse Information

Gabriele Hofer

T: +43.732.7272-780
F: +43.732.7272-77

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Ars Electronica 2000
Hautpstrasse 2
A-4040 Linz