Gewappnet mit uralten Trieben und kulturellen Nippes aus Jahrtausenden
der biologischen und sozialen Evolution tritt die Menschheit in
das 21. Jahrhundert ein, und die schöne neue Welt der Reproduktion,
die hier auf uns wartet, unterscheidet sich gewaltig von der, die
wir hinter uns lassen. Stellen wir uns folgende Szenen vor: Eine
Frau überzeugt ihre im Teenager-Alter befindliche Tochter, sich
sterilisieren und ihre Eizellen zum Zwecke der späteren Fortpflanzung
mittels In-vitro-Fertilisation (IVF) in einer Eizellenbank aufbewahren
zu lassen. Mutter und Sohn sitzen in einem Repro-Restaurant und
wählen aus einer Internet-Datenbank die ideale Gametenpartnerin
für ihn aus. Ein Mann, der keine Spermien produzieren kann, zeugt
am anderen Ende der Welt ein Kind - mit einem anderen Mann. Ist
das die Zukunft der menschlichen Fortpflanzung? Wird das passieren,
wenn uralte Triebe auf künftige Technologien stoßen?
"Uralte Triebe" - ein mächtiges Schlagwort, das die Vorstellung
von ausschweifender Promiskuität und öffentlichem Geschlechtsverkehr
heraufbeschwört. Natürlich läuft der Liebesakt bei den meisten von
uns nicht nach dieser Vorstellung ab - doch das Tier in uns, ein
jahrmillionenaltes sexuelles Erbe, existiert noch heute, obgleich
es im 21. Jahrhundert zu den bedrohten Arten zählt. Wie soll es
mit Entwicklungen fertig werden, die nun praktisch ohne Vorwarnung
Teil unseres reproduktiven Schicksals werden: mit IVF, Klonen, Leihmüttern,
Leihhoden, Nukleustransfer, Gametenbanken und tiefgefrorenen Embryos
bzw. mit simplen Vaterschaftstests und gesetzlichen Unterhaltsansprüchen?
Diese Entwicklungen werden voraussichtlich eine gesellschaftliche
Revolution auslösen, die es in Umfang und Wirkung mit jeder bisherigen
Revolution der Menschheitsgeschichte aufnehmen kann.
Es sind hauptsächlich zwei Entwicklungen zu erwarten. Erstens werden
Familien mit nur einem Elternteil - sowie gemischte Familien, die
durch das Zusammenleben von AlleinerzieherInnen entstehen - zur
gesellschaftlichen Norm werden. Und zweitens wird man die - heute
bereits "vorläufige" - Trennung von Sex und Fortpflanzung endgültig
vollziehen.
Die Gesellschaft der AlleinerzieherInnen - eine neue Ära in der
sozialen Evolution des Menschen
Mit der Alleinerzieher-Familie brachte das 20. Jahrhundert eine
Institution hervor, die das Erscheinungsbild der Gesellschaft verändern
sollte. In Großbritannien und den USA lebt bereits jedes fünfte
Kind in einer solchen Familie. Die Tendenz ist allgemein steigend,
und hält sie an, so werden Alleinerzieher-Familien - von denen über
90 Prozent von allein erziehenden Müttern geführt werden - bald
die traditionelle Kernfamilie als gesellschaftliche Norm verdrängen.
Es stimmt, dass Gesellschaft und Politik AlleinerzieherInnen derzeit
negativ gegenüberstehen. Es stimmt auch, dass die Alleinerzieherschaft
derzeit für Mutter und Kind(er) im Allgemeinen unerwünschte Auswirkungen
auf Überlebensraten, Gesundheit, Fruchtbarkeit, schulische Leistung
und Kriminalitätsraten hat. Doch trotz vergangener und gegenwärtiger
Schwierigkeiten kann die Zukunft durchaus rosig sein. Biologisch
gesehen verändert sich unsere Umwelt - und zwar dergestalt, dass
Alleinerzieher-Familien ein mindestens ebenso großer Erfolg beschieden
sein wird wie anderen Institutionen zuvor.
Um diese Veränderung zu verstehen, müssen wir uns fragen, weshalb
allein erziehende Mütter bislang kaum mit den Kernfamilien mithalten
konnten. Die Antwort liegt auf der Hand - schlechtere finanzielle
Lage und inadäquate, zu teure Kinderbetreuung. Berücksichtigt man
diese Faktoren in der Statistik, so verschwinden die negativen Aspekte
der Alleinerzieherschaft. Probleme entstehen nicht durch die Alleinerzieherschaft
per se, sondern durch Geldmangel und fehlende Unterstützung. Die
bloße Abwesenheit eines Mannes im selben Haushalt wirkt sich noch
nicht negativ auf ein Kind aus. Wenn Kinder von einer finanziell
abgesicherten Mutter oder von Mutter und Großmutter aufgezogen werden,
gibt es keine negativen sozialen oder psychologischen Konsequenzen.
Auch macht es keinen Unterschied, wie lange es keinen erwachsenen
Mann im selben Haushalt gibt.
Das sollte uns nicht überraschen; der traditionelle Beitrag des
Mannes zur Kindererziehung darf nicht überschätzt werden. In 18
von 80 nicht-industriellen Kulturen waren die Väter laut einer weltweiten
Untersuchung "selten" in der Nähe ihrer Kinder; nur in drei Kulturen
waren sie ihnen "nahe". Und auch dann verbrachten sie nur drei Stunden
pro Tag mit ihnen. In industriellen Gesellschaften verbringen manche
Väter nur 45 Minuten pro Woche in direkter Interaktion mit dem Kind.
Der Hauptbeitrag des Mannes zur erfolgreichen Elternschaft besteht
nicht in seiner Anwesenheit, sondern in den von ihm erwirtschafteten
Ressourcen.
Alleinerzieher-Familien und Kernfamilien sind biologische Institutionen,
die unter bestimmten Bedingungen entstehen und sich unter anderen
wieder auflösen - unabhängig von den Wünschen der Moralisten, Traditionalisten
und Gesetzgeber. Aus Sicht des Romantikers leben und schlafen Männer
und Frauen aus Liebe miteinander. Aus der Sicht des zynischen Biologen
jedoch tun sie dies, um ihren Partner von Sex mit Dritten abzuhalten.
Wie bei den meisten biologischen Institutionen hängt die Entstehung
bzw. Auflösung der Kernfamilie von bestimmten Bedingungen ab. Kernfamilien
entstehen, wenn Frauen die Hilfe eines im selben Haushalt lebenden
Mannes brauchen, um ihre Kinder großzuziehen, und wenn Männer nur
durch "Kontrolle" der Partnerin Zugang zu Sex haben und sicher sein
können, dass ihre Kinder tatsächlich von ihnen stammen. Bei Menschen
besteht für Mütter das Risiko, mittellos zurückgelassen zu werden,
und für Männer das Risiko, Hörner aufgesetzt zu bekommen. Diese
gegenseitige Verwundbarkeit - Angst vor Untreue bzw. Verlassenwerden
- ist der biologische Kitt, der Paare zusammenhält. Unabhängigkeit
wirkt dem entgegen und schwächt die biologischen Bande zwischen
den Partnern. Ab einem bestimmten Punkt verschwinden diese Bande
überhaupt - und genau dorthin führt unsere moderne Lebensumwelt.
Auf Grund von Unterhaltsgesetzen werden Frauen keine Mittellosigkeit
mehr befürchten müssen. Routinemäßige Vaterschaftstests wiederum
werden Männern die unterschwellige Angst davor nehmen, unwissentlich
das Kind eines anderen aufzuziehen. Auf dieser Basis wird es möglich
sein, individuelle Ambitionen unabhängig von anderen zu verfolgen,
was den Niedergang der Kernfamilie beschleunigen und den Aufstieg
der Alleinerzieher-Familie begünstigen wird. Wir stehen an der Schwelle
zu einer neuen Ära der menschlichen Sozialevolution - einer Ära,
in der nicht Kernfamilien, sondern Familien allein stehender Eltern
und gemischte Familien die Gesellschaft dominieren werden.
Es gibt zwei Hauptgruppen allein erziehender Mütter: solche, die
vergewaltigt oder verlassen wurden bzw. eine Trennung hinter sich
haben, und solche, die finanziell unabhängig sind, sich bewusst
für die Alleinerzieherschaft entscheiden, mit ihrer Situation zufrieden
sind und es sich leisten können, ihre Kinder sorgenfrei aufzuziehen.
Momentan ist die erste, sensiblere Gruppe in der Mehrheit. Im Laufe
der nächsten Jahrzehnte jedoch sollte sich die zweite Gruppe rasch
vergrößern, da sich der Hauptfaktor - die finanzielle Abhängigkeit
der Frau vom Zusammenleben mit dem Mann - seit neuestem geändert
hat und sich weiterhin ändern wird.
Das bringt uns direkt zu einer Ironie unserer Zeit. Der Kampf um
den gesetzlichen Unterhaltsanspruch enthielt eindeutig ein strafendes
Element, das Männer für das Verlassen ihrer Familie büßen lässt.
Bei aller Polemik wurde erwartet, dass Kernfamilien unter dem Druck
des Unterhaltsgesetzes eher zusammenbleiben würden. Im Zusammenspiel
mit biologischen Trieben haben das Unterhaltsgesetz und die immer
öfter damit verbundenen Vaterschaftstests jedoch die gegenteilige
Wirkung. Keine Frau wird mehr gezwungen sein, einen unfähigen, womöglich
gewalttätigen und zunehmend lästigen Mann zu ertragen, nur um nicht
mittellos zu werden. Dafür sorgt das Unterhaltsgesetz. Umgekehrt
werden Männer ihr Leben nicht mehr mit einer Frau verbringen müssen,
bloß um sicherzustellen, dass sie nicht die Gehörnten sind. Das
erledigt der Vaterschaftsnachweis. Der biologische Kitt wird zerbröckeln,
und Paare werden sich ganz einfach trennen, sobald die anfänglichen
Liebes- und Lustgefühle vergehen.
Heute vertritt die Lobby der AlleinerzieherInnen nur eine Minderheit
- doch ihre Stimme wird sich immer mehr Gehör verschaffen und bald
im Crescendo ertönen. Mit der Zeit werden allein stehende Eltern
den Großteil der Wählerschaft stellen und die Regierungen als Geiseln
nehmen. Ab dann werden AlleinerzieherInnen und gemischte Familien
die gesellschaftliche Norm darstellen und so eine neue Ära der sozialen
Evolution des Menschen einleiten.
Trennung von Sex und Fortpflanzung
Doch der Zusammenbruch der Kernfamilie ist nur der Beginn der gesellschaftlichen
Revolution. Die neue Gesellschaft der AlleinerzieherInnen wird entdecken,
dass technologische Entwicklungen die Fortpflanzung erheblich erleichtern,
was wiederum die neue Gesellschaftsstruktur eher verstärken als
untergraben wird. In erster Linie führen diese Entwicklungen direkt
zu problemloser Empfängnisverhütung und der endgültigen Trennung
von Sex und Fortpflanzung, und so werden immer weniger Kinder durch
Geschlechtsverkehr gezeugt werden.
Die Chance, Sex gänzlich von der Fortpflanzung abzukoppeln, ist
der Geniestreich der künftigen Reproduktionsmedizin. Sex kann dann
zum reinen Freizeitvergnügen werden - und die Fortpflanzung zu einer
klinischen Angelegenheit, zu einem Produkt der In-vitro-Fertilisation
(IVF). Schon mehr als eine halbe Million Menschen - der älteste
ist jetzt 22 - verdankt ihre Existenz einer Retorte und nicht dem
elterlichen Geschlechtsakt, und wie die ersten Schwalben des Frühlings
sind auch sie Vorboten eines neuen Sommers. Die moderne Reproduktionstechnik
führt uns direkt in eine neue Phase der sozialen Evolution des Menschen.
Wie werden wir damit klarkommen? Ist das nun das Ende der Beziehung,
wie wir sie kennen?
Zweifellos werden wir damit klarkommen - genau so, wie wir im 20.
Jahrhundert schon mit Anti-Baby-Pille, künstlicher Befruchtung und
IVF klargekommen sind. Tatsächlich erfordert die Trennung von Sex
und Fortpflanzung rein psychologisch keine Umstellung. Sie ist nichts
Neues. Die menschliche Psyche konnte diese Trennung schon immer
vollziehen; der Zusammenhang zwischen Sex und Fortpflanzung schien
so gering, dass es unseren Vorfahren schwerer fiel, die beiden Phänomene
gedanklich zu verbinden, als sie zu trennen. Der Grund dafür ist
leicht ersichtlich. In Kulturen, die keine Empfängnisverhütung kennen,
werden in rund 3.500 Geschlechtsakten durchschnittlich ca. 7 Kinder
gezeugt - also ca. eines alle 500 Mal. Kein Wunder, dass vielen
unserer Vorfahren hier ein Zusammenhang absurd erschien.
Unsere eigene Gesellschaft weiß schon seit einigen Jahrtausenden,
dass zwischen Geschlechtsverkehr und Fortpflanzung ein gewisser
Zusammenhang besteht. Dennoch akzeptieren wir, dass unser Sexualtrieb
vom Fortpflanzungstrieb getrennt - und weitaus häufiger - auftritt.
Daher die weit verbreitete Ansicht, Sex sei eine Freizeitaktivität.
Doch jeglicher Anspruch darauf, die einzige Spezies zu sein, für
die Sex eine Freizeitbeschäftigung darstellt, ist biologischer Unfug.
Löwen etwa haben zur Zeugung jedes einzelnen Löwenbabys 3.000 Mal
Sex, und unsere zwei nächsten Verwandten, die Schimpansen und Bonobos
- vor allem Letztere -, haben überhaupt Sex ohne Ende. Für sie ist
Sex praktisch eine Grußform - ein Händeschütteln. Schon lange vor
dem Eingriff der Technik wurde die Verbindung zwischen Sex und Fortpflanzung
durch die natürliche Auslese eindeutig geschwächt. Das Potenzial
der modernen Technik besteht lediglich darin, diese Verbindung vollständig
zu durchtrennen - was der natürlichen Auslese wohl nie gelungen
wäre.
Die Techniken der assistierten Reproduktion - IVF, Leihmutterschaft,
Leiheierstöcke und Leihhoden, Gametenmanufaktur und Klonen - künden
vom Ende der Infertilität. Und genau dafür wurden sie auch entwickelt.
Doch genau so, wie das Babyfläschchen als "Behandlung" für Fälle
gedacht war, wo Mütter nicht stillen konnten, und dann rasch zu
einem "Gebrauchsartikel" für diejenigen wurde, die nicht stillen
wollten, werden AlleinerzieherInnen die assistierte Reproduktion
für sich beanspruchen und so von einer Behandlungsform in einen
Gebrauchsartikel verwandeln. Dieser Prozess hat bereits begonnen
- und es wird nicht lange dauern, bis aus den zaghaften Anfragen
allein stehender Frauen bei Samenbanken und IVF-Kliniken ein wahrer
Ansturm wird.
Das BlockBanking-System
Die künftige Trennung von Sex und Fortpflanzung wird der technologische
Endpunkt des im letzten Jahrhundert immer stärker gewordenen Strebens
nach problemloser Kontrazeption und Familienplanung sein. Dieses
Streben wurzelt jedoch auch tief in unserer biologischen Vergangenheit.
Das Leben glich schon immer einer Achterbahnfahrt mit Höhen und
Tiefen, guten und schlechten Zeiten - und Elternschaft war schon
immer eine anspruchsvolle Aufgabe. Ein effizientes System der Familienplanung,
das für unsere Vorfahren unter den Primaten durch die natürliche
Auslese gegeben war und das wir geerbt haben, bestand aus der Abfolge
von Perioden stressbedingter Unfruchtbarkeit während der schlechten
Zeiten und Perioden hoher Fruchtbarkeit während der guten Zeiten.
Bis ins 20. Jahrhundert war Stress das einzige Verhütungsmittel
für die meisten Frauen - und zu einem gewissen Grad auch für Männer.
Heute verlassen sich Paare lieber auf die Biotechnologie als auf
Stress. Doch das hat seinen Preis: Moderne Verhütungsmethoden sind
entweder dezidiert "unfreundlich", ineffizient, oder bergen ein
Gesundheitsrisiko für den Benutzer. Man könnte behaupten, dass Barrieremethoden
nie benutzerfreundlich und auf der Veränderung des körpereigenen
Hormon- oder Immunsystems basierende chemische Methoden nie frei
von Gesundheitsrisiken sein werden.
Eines der Probleme der Kontrazeptionstechnologie war schon immer
das primäre Bedürfnis, zur Erfüllung eines späteren Kinderwunsches
die Fortpflanzungsfähigkeit zu erhalten. Die moderne Reproduktionstechnik
könnte dies überflüssig machen und so einen völlig neuen Zugang
zu Verhütung und Familienplanung eröffnen. Verbindet man die Nachfrage
nach assistierter Reproduktion mit der nach einer kinderleichten,
benutzerfreundlichen, risikofreien Verhütungsmethode, so erhält
man das *BlockBanking*-System.
Spätestens ab Mitte des 21. Jahrhunderts werden Männer und Frauen
in jungen Jahren (durch Kryokonservierung oder Tiefkühlung) bei
Samen- bzw. Eizellenbanken Gametenkonten anlegen und anschließend
ihre Ei- bzw. Samenleiter durchtrennen, abklemmen oder anderweitig
verschließen bzw. blockieren lassen. So lassen sich unerwünschte
Schwangerschaften, Abtreibungen - und auch Unterhaltszahlungen -
garantiert vermeiden. Gleichzeitig steht es einem frei, zu jedem
erwünschten Zeitpunkt und immer häufiger auch mit (fast) jedem erwünschten
Partner eine Familie zu gründen. Um ein Kind zu zeugen, brauchen
nur die eigenen Keimzellen (Gameten) durch IVF mit denen der erwünschten
Person vereinigt werden. Die uralte Suche nach einem Gametenpartner
(dem zweiten genetischen Elternteil des nächsten Kindes) bekäme
eine radikale neue Bedeutung, und mit der wachsenden Kompetenz der
künftigen Medizintechnik gingen größere sexuelle Freiheit und eine
immer größere Auswahl an Fortpflanzungsmöglichkeiten einher.
So werden Alleinstehende eine Familie gründen können, indem sie
Kinder bestellen, wann und von wem sie es wollen bzw. es sich leisten
können. Man könnte die Gameten eines/einer Bekannten oder - je nach
den finanziellen Möglichkeiten - von Vertretern der High Society
erwerben und dann sie dann via IVF mit den eigenen Gameten vereinigen
lassen. Somit kann man ohne Einschränkungen Familienplanung und
Partnerwahl mit einer erfolgreichen Karriere kombinieren.
Wenn man Keimzellen nur bestellt und nicht unbedingt mit dem anderen
Elternteil zusammenlebt, besteht kaum ein Anlass, jedes Kind mit
demselben Gametenpartner zu zeugen. Die Kinder künftiger AlleinerzieherInnen
werden immer öfter Halbgeschwister sein. Und weil die Gametenmanufaktur
die Befruchtung von Spermien mit Spermien und Eizellen mit Eizellen
ermöglichen wird, könnte man homosexuelle Reproduktion bei Bedarf
ebenso einfach bestellen wie heterosexuelle - wenn auch vielleicht
nicht ganz so preisgünstig.
Natürlich werden dennoch häufig zwei (oder mehr) AlleinerzieherInnen
aus Liebe, Pragmatismus oder dem Bedürfnis nach Gesellschaft heraus
zusammen leben und ihre Kinder in gemischten Familien großziehen
- wie das heute schon viele tun. Und ebenso wie heute werden diese
Paare wahrscheinlich sexuelle Beziehungen haben, jedoch auf Grund
des BlockBanking-Systems nicht unbedingt "gemeinsame" Kinder zeugen.
In Verbindung mit der Computertechnologie wird die Trennung von
Sex und Fortpflanzung eine verwirrende Auswahl an Möglichkeiten
bieten.
In den USA sind Spendersamen und -eizellen bereits relativ einfach
zu beziehen, und auch Paare aus dem Ausland nutzen diesen Vorteil.
Manche Services kombinieren Express-Zustellung mit Websites, wo
die künftigen Eltern die Spendereigenschaften nach Kriterien wie
Größe, Gewicht und Augenfarbe abfragen können. Dank des Kräftespiels
von Angebot und Nachfrage ist die assistierte Reproduktionstechnik
in den USA bereits zu einer Wachstumsindustrie geworden.
In Zukunft wird wohl ein Großteil der Gametenauswahl über das Internet
ablaufen, nicht zuletzt deshalb, weil eine weltweite Regulierung
des Selektionsprozesses erforderlich sein wird - z. B. um unbeabsichtigten
Inzest und seine biologischen Folgen zu verhindern. Die Einrichtung
eines internationalen Gameten-Marketing-Board (GMB) wäre wohl unumgänglich.
Und so wie das 20. Jahrhundert das Internet-Café hervorgebracht
hat, könnten im 21. Jahrhundert auf der Basis des genannten Bestellsystems
Repro-Restaurants entstehen: Lokale, wo man essen, trinken und seine
Fortpflanzungsmöglichkeiten durchbrowsen kann - und wo man vielleicht
bei einem Gourmetdinner und einer guten Flasche Wein ein Kind von
der GMB-Website bestellt.
Man stelle sich die Optionen vor! Soll man sich mit jemandem fortpflanzen,
den man kennt - ein Joint Venture? Oder soll man im Alleingang die
Keimzellen einer prominenten Persönlichkeit - oder gar eines bereits
Verstorbenen - erwerben? Sollte man sich angesichts der technischen
Machbarkeit der gleichgeschlechtlichen Befruchtung mit einer Person
desselben oder des anderen Geschlechts fortpflanzen? Sollten Frauen
ihr Kind selbst austragen, eine Leihmutter engagieren oder eine
künstliche Gebärmutter mieten? Wann soll frau ihr erstes Kind bekommen
- als Teenager, oder mit 20, 30, 40, 50 oder gar mit 60? Werbung
im Internet, Browsen in Repro-Restaurants: die Auswahl wird schier
endlos sein - ebenso wie, zwangsläufig, der Bedarf nach Beratung.
Durch Beschaffung einer Eizelle vom GMB und das Engagieren einer
Leihmutter werden Männer ebenso eine Familie bestellen können wie
Frauen. Biologisch gesehen ist jedoch das Tier im Manne eher mit
einem sexuellen Wandertrieb ausgestattet als auf langfristige aufopfernde
Vaterschaft programmiert. Für die meisten Männer wird Fortpflanzung
daher Verhandlungssache sein - sie werden Frauen im Gegenzug für
den Erwerb ihrer Spermien finanzielle Unterstützung (nach erfolgtem
Vaterschaftstest) anbieten. Prominente hingegen werden sich solche
Verhandlungen sparen können. "Ihre" Familien werden überall verstreut
sein, weil VerehrerInnen auf der ganzen Welt im Austausch für die
Gameten berühmter Persönlichkeiten auf jeglichen Unterhaltsanspruch
verzichten werden.
Dieser Prozess wirft etliche faszinierende Fragen auf. Werden die
genetischen Eltern mit ihrer globalen Familie in Kontakt bleiben?
Wird man sich nur für Kinder interessieren, die man selbst bestellt
und großzieht - oder auch für die, die andere von einem bestellen?
Welche finanzielle Absicherung, welche Notfall-Vorsorge werden zur
Erziehung und zum Schutz dieser "Kinder auf Bestellung" erforderlich
sein? Sollte man zum Unterhalt von Kindern, die andere von einem
bestellt haben, verpflichtet sein, oder nur zum Unterhalt selbst
bestellter Kinder? Würde die gesamte Fortpflanzung auf finanzielle
Verhandlungen vor der Zeugung reduziert?
Im Prinzip stellt das BlockBanking-System die perfekte Form der
Familienplanung dar: keine ungewollte Schwangerschaft, dafür Babys
auf Bestellung. Laut Erfahrungen mit Personen, deren Samen- bzw.
Eileiter bereits blockiert wurden, sollten außerdem keine der bisher
mit Verhütungsmitteln assoziierten Nebenwirkungen auftreten. Dies
war eigentlich zu erwarten, da der Verschluss von Ei- bzw. Samenleitern
im Gegensatz zu anderen modernen Verhütungsformen zumindest in einer
Hinsicht "natürlich" ist: Er kommt auch in der Natur vor. Rund 3
Prozent aller Männer und Frauen ziehen sich durch urogenitale Infektionen
einen derartigen Verschluss zu. Und bis zur Feststellung der Fortpflanzungsunfähigkeit
lässt sich weder aus ihrer Libido noch aus ihrer sexuellen Leistungsfähigkeit,
Gesundheit oder ihrem allgemeinen Verhalten ableiten, dass tatsächlich
ein Ei- bzw. Samenleiterverschluss vorliegt.
Natürlich lassen sich Probleme mit dem BlockBanking-System ohne
weiteres vorstellen - aber sind sie realistisch oder entstehen sie
nicht vielmehr aus unserem reflexartigen Misstrauen gegenüber allem
Neuen? So wie viele ihr Geld nicht auf die Bank tragen wollen, könnten
sich z. B. manche Menschen weigern, den Gametenbanken ihre Keimzellen
anzuvertrauen. Was, wenn die Gameten verschiedener Personen verwechselt
werden oder im Bedarfsfall unauffindbar sind? Theoretisch sollte
das Risiko solcher Missgeschicke dank des DNA-Fingerabdrucks, der
Strichcode-Kennzeichnung und der Computertechnologie relativ gering
sein - dennoch ist hundertprozentiges Vertrauen angesichts unserer
Erfahrungen mit herkömmlichen Banken nicht angebracht. Absicherungen
werden unumgänglich sein - z. B. DNA-Tests zur Bestätigung der genetischen
Elternschaft vor der Implantation eines Embryos in den Uterus der
Leihmutter.
Was geschieht z. B., wenn man mit der Zahlung seiner Prämien für
die Gametenlagerung in Verzug gerät oder wenn die Gametenbank ihre
Geschäfte einstellt? Zweifellos werden Vorkehrungen zur Gewährleistung
der Zahlungen ebenso unerlässlich sein wie Regierungsgarantien für
private Gametenbanken. Was passiert, wenn Gameten wirklich verloren
gehen? Oder, noch schlimmer, wenn eine verbrecherische Regierung
die Gameten einer Person zerstört - als Strafe für angebliche gesellschaftliche
Vergehen? Kein Grund zur Panik. Keine dieser Katastrophen ist endgültig;
es gibt immer ein Sicherheitsnetz. Schließlich produzieren Männer
und Frauen auch nach der Blockierung der Samen- bzw. Eileiter weiterhin
Keimzellen - nur gelangen diese nie in einen Bereich, wo tatsächlich
eine Befruchtung stattfinden kann. Wenn also das Guthaben eines
in der Jugendzeit angelegten Gametenkontos tatsächlich verloren
geht oder zerstört wird, kann man dieses im späteren Leben wieder
auffüllen.
Wer jeden noch so trivialen medizinischen Eingriff ablehnt, wird
am BlockBanking-System nicht sofort Gefallen finden. Derzeit ist
zur Blockierung der Ei- bzw. Samenleiter ein, wenn auch kleiner,
chirurgischer Eingriff notwendig. Zusätzlich müssten zur ersten
Eizellenspeicherung bei Frauen Eisprung und Eizellengewinnung künstlich
eingeleitet werden. Befruchtete Eizellen wiederum müssen direkt
in den Uterus implantiert werden - ebenfalls eine lästige Prozedur.
All diese Eingriffe sind unangenehm und wirken sich in der Endbilanz
eindeutig negativ auf die Benutzerfreundlichkeit aus.
Wird man - bzw. frau - also in Zukunft im Namen der Verhütung und
Familienplanung solche Unannehmlichkeiten auf sich nehmen wollen?
Allem Anschein nach schon. Schließlich unterziehen sich Frauen im
Namen der Gesundheit schon seit Jahren der unangenehmen Prozedur
des Gebärmutterhalsabstrichs und lassen sich im Namen der Familienplanung
z. B. Intrauterinpessare (IUPs) einsetzen - und später wieder entfernen.
Sie sind sogar nach wie vor bereit, ihr Leben bei einer heimlichen
Abtreibung durch einen Kurpfuscher aufs Spiel zu setzen. Im Namen
der Fortpflanzung unterziehen sich unfruchtbare Männer und Frauen
einer Vielzahl unangenehmer Behandlungen wie testikulärer Spermienextraktion
(TESE) und IVF. Und im Namen der Kontrazeption sind erstaunlich
viele Männer und Frauen schon heute bereit, ihre Ei- bzw. Samenleiter
blockieren zu lassen. In Großbritannien sind 15 Prozent der Frauen
im gebärfähigen Alter und 16 Prozent ihrer Partner bereits sterilisiert,
wobei die meisten Männer die Vasektomie zwischen dem 30. und 40.
Lebensjahr vornehmen lassen. In Asien entscheidet sich die Hälfte
aller verhütungswilligen Paare für die Sterilisation eines der Partner;
allein in Indien sind es drei Viertel.
Wenn also das BlockBanking-System bereits heute zur Verfügung stünde,
würde sich auf der Suche nach einer hundertprozentig sicheren und
risikofreien Verhütungsmethode aller Wahrscheinlichkeit nach eine
beachtliche Anzahl an Personen für dieses System entscheiden. Für
die Freiheit, sich ohne das Risiko eines Zwischenfalls oder Missgeschicks
fortpflanzen zu können, wann und mit wem man will, würde man einige
kurze Momente des Unbehagens in Kauf nehmen. Und mit der steigenden
Benutzerfreundlichkeit, Verlässlichkeit und gesellschaftlichen Akzeptanz
der einzelnen Komponenten dieses Modells scheint die Zukunft des
BlockBanking gesichert: Es wird für die meisten Menschen zur bevorzugten
Form der Familienplanung werden.
BlockBanking erfolgt im günstigsten Fall in jungen Jahren - etwa
kurz nach der Pubertät. Einerseits ist so durch die Blockierung
der Samen- bzw. Eileiter in einem höchst sensiblen Alter ein Verhütungsschutz
gegeben, andererseits sind in jungen Jahren gespeicherte Keimzellen
von besonderem Wert. Erstens bieten sie eine frühe Sicherheit bei
Unfällen oder Erkrankungen, die die individuelle Fortpflanzung gefährden
könnten, wie etwa Eierstock- oder Hodenkrebs. Zweitens lassen sich
während der Jugendzeit produzierte Keimzellen in der IVF viel erfolgreicher
einsetzen als solche aus späteren Lebensabschnitten. Speziell bei
Frauen besteht ein weitaus geringeres Risiko, Kinder mit genetischen
Behinderungen, wie dem Down-Syndrom, zur Welt zu bringen, wenn die
verwendeten Eizellen in jungen Jahren produziert wurden. Sobald
einmal das Vertrauen der Öffentlichkeit gewonnen ist, werden daher
viele Eltern ihren postpubertären Nachwuchs dazu drängen, so rasch
wie möglich ins BlockBanking einzusteigen. Auch wenn solch elterlicher
Druck auf den ersten Blick lieblos scheinen mag, ist dieser Akt
weitaus verantwortungs- und liebevoller als etwa der Akt der Beschneidung,
den Eltern in vielen Kulturen, einschließlich unserer eigenen, ihren
ahnungslosen Söhnen und Töchtern ohne weitere Bedenken schon seit
Jahrhunderten zumuten.
Wer würde das BlockBanking-System angesichts der zweifellos hohen
Kosten für Ei- bzw. Samenleiterblockierung, Keimzellenlagerung und
IVF finanzieren? Führt uns dies nur erneut vor Augen, dass in der
Gesellschaft der Zukunft die Vorteile der Technik nur den Reichen
zur Verfügung stehen werden? Vielleicht - vielleicht aber auch nicht.
Schon heute verursachen kostenlose Empfängnisverhütung und die Bekämpfung
der medizinischen und sozialen Probleme, die aus deren Vernachlässigung
bzw. Versagen resultieren, den Regierungen enorme Kosten. Das BlockBanking-Modell
zu unterstützen und so für einen größeren Bevölkerungsquerschnitt
zugänglich zu machen, könnte im Vergleich dazu durchaus rentabel
sein.
Die Zukunft der Liebe
Viele Menschen sorgen sich schon heute um die potenziellen Konsequenzen
dieser gesellschaftlichen Revolution - oder fürchten sich gar davor.
"Unnatürlich" sagen die einen; "erniedrigend", "eine Bedrohung der
Menschenwürde" oder "gegen Gottes Willen" die anderen. Widerstand
gegenüber Veränderung ist eine unmittelbare, beinahe instinktive
Reaktion - wie der Kniesehnenreflex.
Ähnliches Aufsehen erregten im 17. Jahrhundert jene Frauen, die
sich weigerten, ihre Kinder selbst zu stillen - und im 20. Jahrhundert
der Einsatz des Fläschchens, die künstliche Befruchtung und IVF.
Aber gerade auf der Basis solch "schändlicher" Neuerungen hat die
Gesellschaft überlebt und sich sogar weiterentwickelt. Der Mensch
ist sehr anpassungsfähig und verfügt über die unermüdliche Fähigkeit,
soziale Veränderungen zu meistern, sowie die noch größere Fähigkeit,
hinsichtlich seiner Ansichten über Natürlichkeit und Menschenwürde
eklektisch zu sein. Schließlich sind auch Kleidung, Rasierer, Enthaarungscremes,
Deodorants und die Verwendung von Babyfläschchen "unnatürlich".
Ebenso wie Supermärkte, Autos und Flugzeuge. Aber wie viele Menschen
laufen wirklich im Namen der natürlichen Menschenwürde tagtäglich
nackt, unepiliert, unrasiert und unparfümiert hinaus ins Freie,
um in Wald und Flur auf Nahrungssuche zu gehen?
Es wäre einfach, die Zukunft pessimistisch zu sehen und das Vergehen
des Vertrauten zu beklagen. Doch dazu besteht vielleicht gar kein
Anlass. Die menschliche Spezies wird sehr wohl fortbestehen und
durch die zu erwartenden Veränderungen wahrscheinlich noch bereichert
werden. Die Angehörigen künftiger Gesellschaften werden auf unsere
Gesellschaft als eigenartig und unterprivilegiert zurückblicken,
so wie wir heute auf vergangene Gesellschaften zurückblicken. Wenn
uralte Triebe und künftige Technologien zusammentreffen, sollte
es weder Sieger noch Verlierer geben. Vielmehr werden Trieb und
Technik mit vereinten Kräften, und mit Unterstützung der unvergänglichen
Macht der natürlichen Auslese, die menschliche Fortpflanzung mit
Erfolg, und nicht mit Schrecken, durch die nächsten hundert Jahre
der Evolution tragen. Soweit die Prognose.
Und wie sieht es mit Beziehungen aus? Was hält die Zukunft für den
ewigen Zauber der Liebe, für Fortpflanzung und Kindersegen bereit?
Das Leben - vor allem das Familienleben - wird sich zwar in Zukunft
zwangsläufig ändern, doch werden die Menschen auch weiterhin ungehindert
sexuelle und elterliche Gefühle erleben. Diese Gefühle sind tief
in uns verwurzelt - durch Jahrtausende der natürlichen Auslese genetisch
in Körperchemie und Psyche einprogrammiert. Dennoch wird die Trennung
von Sex und Fortpflanzung zweifellos viele biologische "Bremsen"
lösen, wenn man sie vor dem künftigen sozialen Hintergrund einer
steigenden Anzahl von Alleinerzieher- und gemischten Familien und
vor dem künftigen medizinischen Hintergrund der wachsenden Kontrolle
sexuell übertragbarer Krankheiten betrachtet. Noch dramatischer
und nachhaltiger als nach dem revolutionären Siegeszug der Empfängnisverhütung
in den sechziger Jahren werden vor allem Frauen von den Zwängen
ihrer Geschlechterrolle befreit sein. Beziehungen werden zwangsläufig
kürzer werden, die Promiskuität wird ansteigen; es wird die Norm
sein, Kinder von mehr als einem Partner zu haben. Die Zahl der Halbgeschwister
wird steigen, und immer öfter werden Familien als die einer Person
und nicht als die zweier Partner angesehen werden. Doch selbstverständlich
werden die Menschen auch weiterhin die gesamte Gefühlspalette des
Lebens durchlaufen. Sie werden sich weiterhin verlieben und weiterhin
erleben, wie Liebe vergeht, sie werden weiterhin in ihre Kinder
und Eltern vernarrt sein - und mit ihnen streiten. Die Trennung
von Sex und Fortpflanzung wird eine gesellschaftliche Revolution
ohnegleichen auslösen - doch die uralten Triebe, die uns überhaupt
erst zu Menschen machen, kann sie nicht auslöschen.
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