unitM - User Sensitive Information Architecture english | deutsch
Ars Electronica FutureLab

unitM entstand als Auftragsarbeit für eine medienkünstlerische Gestaltung des neugebauten Computertrainings-Centers am Wirtschaftsförderungsinstitut (WIFI) der österreichischen Wirtschaftskammer in Linz, Oberösterreich. Entwurf und Ausführung des Projektes erfolgte in enger Zusammenarbeit mit dem planenden Architekten und den Nutzern des Gebäudes.

unitM steht für ein interaktives, vernetztes Medienkunstprojekt als Schnittstelle zwischen Menschen, Medien und Maschinen. Ein kommunikatives Spiel aus Licht und Farbe, Sprache und Bewegung, das der Nutzung des Gebäudes als Ort der Vermittlung von Wissen und Zukunftskompetenz Rechnung trägt. Der ihm eigene offene, sich selbst modifizierende Charakter lässt unitM seine Umgebung erfassen, auf sie reagieren und mit ihr in Kontakt treten.

Über ein Netzwerk analoger und digitaler Sensoren werden Ereignisse innerhalb des Gebäudes, die Aktivität seiner Benutzer, Daten aus seiner unmittelbaren Umwelt und Aktionen von Internetbesuchern erfasst. Ein zentrales Computernetz ordnet und bewertet die eintreffenden Daten. Seine logisch-abstrakte Struktur, aufgebaut aus Regeln und Verhaltensmustern, befähigt unitM die Daten zu interpretieren und sich einen Eindruck von seiner Umgebung zu bilden. Die Interaktion verläuft indirekt über Sensoren und Werte, die der Zentralen Leittechnik des Gebäudes entnommen werden, oder direkt über Aktivitäten und Aktionen der Besucher.

Der Realisation von unitM liegt der Gedanke zu Grunde, die menschliche Wahrnehmung als Bestandteil der Architektur in die Konzeption eines Gebäudes mit einzubeziehen. Das Resultat ist ein Prototyp für ein interaktives Gebäude. Nachdem mit der Computerisierung Interaktivität in alle Lebensbereiche der Menschen vorzudringen scheint, war es an der Zeit, dieses Prinzip zumindest prototypisch auch in der Gebäudearchitektur anzuwenden. Aber auch gesellschaftspolitisch relevante Aspekte eines hochtechnologischen Umfeldes wie zum Beispiel Privacy und Surveillance werden von diesem Projekt thematisiert.

Moderne Gebäude werden, für den Benutzer unsichtbar, von einer Zentralen Leittechnik (ZLT) gesteuert. Durch zusätzliche Sensoren erweitert, erlaubt die Analyse der in der ZLT anfallenden Werte Rückschlüsse auf den Zustand und die Aktivitäten des Gebäudes und seiner Benutzer. Mit dem Projekt wird ein Zugang zu der Leittechnik eröffnet, wodurch diese Prozesse für den Besucher nachvollziehbar gemacht werden.

Zusätzlich fließen allgemeine Rahmenbedingungen wie Tages- und Jahreszeiten und passives sowie aktives Verhalten der Internet-User in diesen Prozess mit ein. Die Analyse basiert auf der Anzahl, der Frequenz und dem Wertebereich der Daten.

Matrixkonfiguration von unitM

unitM erkennt Aktivitätsmuster des Gebäudes und seiner Benutzer (wie z. B. "geordnet", "chaotisch", "herausfordernd" oder "abwartend") und ordnet diesen entsprechende Reaktionsmuster -"Systemzustände" - zu. Über seine Ausgabeelemente werden die interpretierten Zustände visualisiert und auf diese Weise den Besuchern und der Umgebung als Information angeboten. unitM übersetzt das entstandene virtuelle Stimmungsbild in ein Spiel aus Licht, Farbe, Text und Bewegung, das über Laufschriften, Lichtinstallationen, Zahlengruppen und Internetseiten verbreitet wird.

Den Tagesrhythmus von unitM bestimmen die Menschen. Mit dem Eintreffen der ersten Besucher wird das System aktiviert. Jedes Ereignis füllt den Speicher des Systems mit Energie. Nach Betriebsschluss werden Eindrücke und Informationen nur noch allgemein verarbeitet, das System beginnt sich zu entladen, die Lichtstäbe verlieren ihre Leuchtkraft, der bewegte Text friert ein und erlischt.

unitM operiert in unterschiedlichen Wirkungsradien: ausgehend vom System selbst über das Gebäude und seine Benutzer bis hin in den Stadtraum, der das Gebäude umgibt.

Durch die Leuchtkraft der aus dem Gebäude ragenden Lichtsäulen wird der Stadtteil in die Installation mit einbezogen. Durch Farbe und Rhythmus werden die Information über den Status innerhalb des Gebäudes in seine Umgebung ausgestrahlt. Ein Vergleich der Charakteristik der Information während der Hauptbetriebszeiten und den Ruhephasen (also Arbeitstage versus Wochenenden), eröffnet dem Betrachter die Zusammenhänge zwischen Aktivität und Lichtspiel.

Neben der Vermittlung des unmittelbaren Zustands spiegelt die Intensität des Lichtspiels auch das Energieniveau des Systems wieder. Seine Energie bezieht unitM aus der Benutzeraktivität. Die registrierten Daten werden den Tag über gespeichert und akkumuliert, bis sich der Energiespeicher am Abend entlädt. Hier findet Interaktion also analog zum Wirkungsradius, in relativ großen zeitlichen Intervallen statt.

Im Gebäudeinneren, dem nächstkleineren Wirkungsradius, verläuft der Informationsfluss wesentlich konkreter und wird durch direkte Interaktion zwischen Besucher und unitM auf eine weitere kommunikative Ebene angehoben. Die akustischen und visuellen Sensoren in der Decke des Verbindungsganges erkennen, wie dicht der Gang gerade benutzt wird und ob heftiger, hektischer Lärm oder angenehme Ruhe herrscht. Die Licht- und Farbsituation in diesem Gang wird analysiert und dem Datenstrom hinzugefügt. Das Stiegengeländer ist als Berührungssensor an die Computermatrix angeschlossen und liefert Low-Level-Informationen über die Besucher.

Neben diesen indirekten Interaktionen gibt es aber auch eine unmittelbare Zugriffs- und Kommunikationsebene für die anwesenden Personen. Deutlich wird diese Kommunikation am Beispiel der auf Sprache basierenden Bestandteile der Installation. An mehreren Stationen kann der Besucher spielerisch mit Sprache experimentieren. Die Interaktion verläuft an dieser Stelle direkt und einfach nachvollziehbar. Der Benutzer kann z. B. über ein Spracherkennungssystem gesprochene Worte an das System übermitteln. Die Textbotschaften fließen auf einer im Terminal integrierten Laufschrift scheinbar in den Fußboden, verbreiten sich anschließend im Labyrinth der Informationsdisplays in der Eingangshalle und werden schließlich in Form von Energie über die Lichtsäulen wieder abgegeben. Zusätzlich gehen die Texte in den Wissensspeicher des Systems ein.

Über das in eines der User-Terminals eingebaute Mikrofon können mittels Spracherkennung Botschaften in das Netz der Laufschriften eingespeist werden - die üblichen Übersetzungsfehler inbegriffen.

Ein weiterer direkter Interaktionskanal verläuft über eine Biofeedback-Station. Hier kann der Benutzer Puls, Hautwiederstand und Temperatur messen lassen und diese persönlichen Werte auf die überdimensionale Lichtinstallationen übertragen. Die Pulsfrequenz bestimmt für Augenblicke den Rhythmus des gesamten Systems.

Die in die Bar des Café integrierten Lichtelemente können einzeln und direkt angesprochen und ihre Farben gemischt werden. Der Zugriff der User hat immer Priorität gegenüber der Interpretation der aktuellen Datenströme durch das System. In Mitten der ubiquitären Computer- und Sensortechnologie erlangen die UserInnen dadurch immer einen selbstbestimmten Status der Teilnahme und werden vom Objekt zum gestaltenden Subjekt.

Auf der Computerebene, also dem Kern von unitM, verläuft die Interaktion unmittelbar und konkret, der Wirkungsradius beschränkt sich auf das System selbst. Sensordaten, die u. a. in die Ableitung der Zustände einfließen, werden hier reflexartig in numerischer Form auf Siebensegment-Anzeigen dargestellt. Die Zahlenwerte zeigen z. B. an, wie oft sich bestimmte Türen geöffnet und wieder geschlossen haben. So werden die systemimmanenten Vorgänge visualisiert, für den Besucher zählt hier nicht die Nachvollziehbarkeit der Bedeutung der Ziffern, sondern die symbolische Widerspiegelung der Vorgänge.

Je nach Art der verarbeiteten Informationen werden die Daten in unterschiedlichen Speichermodi abgelegt - vergleichbar etwa mit dem Kurzzeit- und dem Langzeitgedächtnis. Das Kurzzeitgedächtnis von unitM speichert die Interaktionen mit seinen Benutzern und die Nachrichten, die täglich aus dem Internet selektiert werden, um sie regelmäßig in das Laufschriften-Netz einzuspeisen.

Das Langzeitgedächtnis von unitM ist ein auf einer Datenbank basierender "Wissensspeicher". Die Datenbank beinhaltet zurzeit über 300 Dokumente, die sorgfältig aus dem WorldWideWeb ausgewählt wurden. Die gespeicherten Texte repräsentieren einen Querschnitt aus der Kulturgeschichte der vergangenen Jahrtausende. Liegt keine direkte Interaktion durch Besucher vor, werden auch diese Texte zu vorgegebenen Zeiten an das Laufschriften-Netz weitergegeben.

Die vollständigen Texte lassen sich über das Web-Interface abrufen. Über diese Schnittstelle kann jeder mit unitM - mit dem Gebäude - in Verbindung treten. So besteht z. B. die Möglichkeit der Einspeisung von Text in das Laufschriften-Netz, als Feed-back erhält der User eine Darstellung des aktuellen Inhalts der Laufschriften. Ereignisse im Haus werden für den User aufbereitet und dokumentiert. Hier erhält der Besucher auch Hintergrundinformationen über die komplexe Funktionsweise von unitM.

Credits
Realisierung: Ars Electronica FutureLab
Konzept: Gerfried Stocker, Dietmar Offenhuber, Joachim Smetschka
Künstlerische Projektleitung: Karin Pressl, Dietmar Offenhuber
Technische Projektleitung: Volker Christian, Roland Marschner
Design: Dietmar Offenhuber
Software-Entwicklung: Volker Christian, Robert Abt, Gerald Kogler
Architektur: Franz Kneidinger, Peter Minixhofer, Dietmar Offenhuber
Screen-Design: Helmut Höllerl, Martin Bruner, Sebastian Polin, Jürgen Hagler, Stefan Eibelwimmer
Technischer Support: Wolfgang Beer, Joris Gruber, Phillip Krammer, Martin Pichlmair, Robert Praxmarer, Gunther Schmidl, Werner Stadler
Redaktion Wissensspeicher: Martina Angerer
Besonderer Dank gilt: Walter Burgstaller, Felix Messner und all den anderen Mitarbeitern des WIFI, die dieses Projekt unterstützt haben.