Frankfurter Allgemeine Zeitung on Ars Electronica: Never wake?
Green - Reinhard Nestelbacher Once there has been a time where science fiction dreamt of a world, which seemed to be lightyears away. Now it has come very very close. Read Sabine Magerl's article in Frankfurter Allgemeine Zeitung (only in German).


Es gab eine Zeit, da träumte die Science-fiction noch von einer Welt, die Lichtjahre entfernt schien. Nun ist sie ganz nah gerückt ... schreibt Sabine Magerl in der Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Antennen-Ohren: Die Ars Electronica 2001 überholt die Zukunft
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Sabine Magerl, LINZ, im September

Es gab eine Zeit, da träumte die Science-fiction noch von einer Welt, die Lichtjahre entfernt schien. Eine Generation von Forschern wuchs mit Zukunftsromanen und -filmen auf, die ihre Arbeit im Labor begleiteten. Fiktion und Wissenschaft beschleunigten sich gegenseitig, als ob sie voneinander lernten. Bis die beschriebene Zukunft von der technischen Entwicklung eingeholt wurde. Nun ist sie ganz nah gerückt - an das andere Ende des Rastertunnelmikroskops.

Wenn Wissenschaftler bei guten Gelegenheiten wie dem Festival für Computerkunst Ars Electronica in Linz von der Gegenwart erzählen, dann klingt das wie ein Zukunftsroman (F.A.Z. vom 6. September). Wäre Stuart Bunt kein anerkannter Neurobiologe, könnte er auch der Ghostwriter des Zukunftsautors Neal Stephenson sein. Der Leiter des australischen Forschungslabors SymbioticA beugt sich über die Neuronen eines Goldfisches, die in einer chemischen Lösung schwimmen. Elektroden stecken in dem Zellklumpen, der an einen Haufen rosa Kaviar erinnert. Die Nervenzuckungen werden in digitale Signale umgewandelt und an einen Roboterarm weitergegeben. Der zeichnet die Impulse der Fischneuronen mit Filzstift auf ein Blatt Papier. Nach wenigen Minuten ist es vollgekritzelt mit fahrigen Strichen, als hätte ein Kind einen Wutanfall gehabt.

Die Kunst-Installation namens Fish & Chips unterscheidet sich wenig von einem wissenschaftlichen Labor, das vollgestellt ist mit Computern, Bildschirmen, auf denen molekulare Strukturen flimmern, Nährlösungen, Meßgeräte, Roboterarmen, nur daß hier alles miteinander verbunden scheint. Diese Fusion aus Bio- und Robotertechnik, die ein selbstschaffender Künstler sein soll, nennt Stuart Bunt 'ein halblebendiges Wesen'. Anerkennend und fast zärtlich sagt der Mann das, der in dieser Welt unter dem Mikroskop mehr sieht als andere Menschen. Allerdings sterben die Neuronen des Goldfisches nach dreißig Stunden in der Lösung. Auf Silizium angelegte Kulturen leben bis zu einem Jahr. Doch sein Traum ist es, ein quasibiologisches Material zu finden, das sich selbst reproduziert: 'Angenommen, mein Gürtel wäre nicht mehr aus totem Leder, sondern aus künstlich produzierter Biomasse: Er würde leben. Und wenn ich etwas zu viel esse, würde er einfach mit wachsen.' Fish & Chips ist erst eine Vorstufe für diese Nanowelt, die dann keine Computer und Roboter mehr brauchen wird.

Die Gegenwartskunst, das zeigt sich auf der Ars Electronica, wird heute von der Biotechnik geformt. Hatte die Pop Art alltägliche Massenartikel wie Dosensuppen und Waschmittelverpackungen zur Kunst erklärt, sind es nun die Produkte der Forschungslabors: Molekularhaufen, Bakterien, Viren. Vor über einem Jahre stellte der 'Transgenic Artist' Eduardo Kac ein genmanipuliertes Kaninchen, das grün leuchtete, der Öffentlichkeit vor. Er nannte es GFP-Bunny nach dem gleichnamigen Protein. Damit zum Zweck der Markierung zu arbeiten, ist für Wissenschaftler alltäglich. Auf der Ars Electronica zeigte nun der österreichische DNA-Forscher Reinhard Nestelbacher ein Bild, das aus grünleuchtenden Bakterien entstanden ist.

Je nach GFP-Dosis schimmern die Bakterien intensiver oder schwächer und ergeben ein Gesicht. So wird Naturwissenschaft zu Pop.

Die in London und Stockholm arbeitende Gruppe Smart Studio aus Künstlern, Architekten und Computerwissenschaftlern führt diese Fusion aus Technik und Pop konsequent fort. Ein Vorschlag für den Alltag, auf den sonst nur Science-fiction-Autoren hätten kommen können, ist die 'Brain-Bar'. Am Tresen sind Stirnbänder befestigt, die sich Trinklustige aufsetzten, um ihre Gehirnströme zu messen. Je nach dem Ergebnis wird automatisch ein Cocktail gemixt. Zunächst war das Projekt zusammen mit einem Homöopathen entwickelt worden, um ein Partypublikum mit Kräutertinkturen auf die gleiche Stimmung einzupendeln. Doch schmeckten die Getränke so schlecht, daß sie durch altbewährte alkoholische Rezepte ersetzt wurden.

Hier haben es einige mit dem Hirn: das Freizeitspiel Brainball der Firma Smart Studio erfaßt über ein ähnliches Biometrie-System die Gehirnwellen zweier Spieler, die durch Gedankenkraft einen Ball auf einem Tisch zwischen sich hin und her bewegen. Gewonnen hat, wer sich am besten entspannt. Ein Spiel, das vor allem auf internationalen Kongressen für Neurobiologen gerne ausgeliehen wird.

Jene Ideen, die unseren Alltag zum Science-fiction machen, verändern auch unsere Vorstellung von der Vergangenheit. Für Nostalgiker, die einem analogen Zeitalter nachtrauern, hat der japanischen Künstler Haruki Nishijima einen nostalgischen Apparat entworfen, der mit einem Schmetterlingsnetz Radiowellen einfängt, als würde man selten gewordene Schmetterlinge sammeln. Der elektronische Insektensammler wandert durch die Stadt, holt analoge Signale aus der Luft und kann sie dann in einem auf den Rücken geschnallten Kasten nach Hause tragen. Dort werden die Frequenzen freigelassen und summen als Lichtpunkte durch den Raum. 'Hätten wir Ohren so spitz wie Antennen', sagt der Nishijima, 'dann könnten wir all die Wellen hören. Das ist allerdings Science-fiction.'

Den Zukunftsautoren bleibt indessen nur noch, wenn auch unfreiwillig, die Möglichkeit, die Gegenwart zu beschreiben. Der deutsche Science-fiction-Autor Tobias O. Meissner las auf der Ars Electronica aus seinem Roman Neverwake. Der handelt vom unglaublichen Erfolg eines Computerspiels und professionellen Spielern, die wie Gladiatoren gegeneinander antreten. Doch so ein Spiel gibt es schon. Es heißt StarCraft und wird weltweit von Millionen Menschen im Internet gespielt. Vor allem in Südkorea ist es so beliebt wie anderswo Fußball. Die öffentlichen Show-Kämpfe am Computer werden zur besten Sendezeit im Fernsehen übertragen und hitzig kommentiert. Die Geschichte von , die 2001 geschrieben wurde, in dem Jahr, das selbst einmal für die Zukunft stand, sollte vom Jahr 2016 erzählen. Wenn sich die Science-fiction selbst abschafft, dann kann das nur bedeuten, daß Wissenschaft und Gegenwart zum Ort der Fiktion werden.


 
 



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