Sintflut ist ein Videotriptychon mit Orchester und Elektronik, welches
in einer ersten
Fassung bei den Donaueschinger Musiktagen 2001 uraufgeführt wurde
und nun in
modifizierter Form präsentiert wird. Das Orchester ist in drei Gruppen
aufgeteilt und
steht in wechselnder Korrespondenz zu drei parallel laufenden Filmen (ähnlich
dem
triple ecran von Abel Gance). Die fünfkanalige Tonbandzuspielung
bildet eine direkte
Referenz zu den Filmen und Orchestergruppen. Die Filme selbst haben über
weite
Strecken gleiche oder ähnliche Motive, diese allerdings in unterschiedlichen
Einstellungen.
In den gezeigten Szenen wechseln Abschnitte extremer Langsamkeit mit Teilen
extremer Geschwindigkeit. Die auf den zusätzlich aufgestellten Monitoren
laufende
Version zeigt die Fernsehfassung, die eine Verräumlichung behauptet.
Die Filme wurden
in Österreich, Deutschland, Ungarn und Italien gedreht, die Postproduktion
wurde beim
SWR Baden-Baden und dem ZKM Karlsruhe (hier auf Inferno) realisiert.
Mit dem Video-Triptychon Sintflut versucht Detlef Heusinger, fußend
auf dem apokryphen
Buch Henoch, eine Verknüpfung akkadischer, hellenistischer und jawhaistischer
Sint-/Sündflutsagen. Henoch, der Schreiber Gottes, Vorfahre und Stammvater
Noahs,
begibt sich auf eine Traumreise, auf welcher ihm die mythologischen Figuren
Philemon
und Baucis, Andromeda und der Säulensteher Simeon wie Chimären
erscheinen, welche
von menschlicher Hybris künden. Offensichtlich befinden wir uns bereits
in einer Zeit
nach einer globalen Katastrophe, da von den wirklichen Menschen ihm als
Begleitung
nur ein Findelkind geblieben ist, welches ihm in einem Kahn zutrieb. Dieser
Kahn
wird zur vermeintlichen Rettungsinsel, da eine stetig steigende Flut nach
dem Sterben
der Menschheit auch noch die Landschaften verschlingt. Die Reise endet
in der
Unterwelt, mit einem Gang ins Licht, der alle Fragen offen lässt.
Der Film stellt den Versuch dar, die Ästhetik Tarkowskys mit den
Möglichkeiten der
Videokunst zu verbinden. Bei aller Problematik des Unterfangens entsteht
zumindest
ein neuartiger Umgang mit den Parametern Farbe und Rhythmus, auch im musikalischen
Bezug.
Ein Kieswerk im Gegenlicht. Die Sonne strahlt sich durch das Spinnenförderband.
Himmel
in Überblendung vom wirklichen zum unwirklichem Wilhering-Fresco.
Über Kreuz zu
Jesus mit Corona. Ein Schaf wächst ins Bild, Lamm Gottes oder Klonschaf
Dolly. Am
Horizont ziehen Schäfchenwolken. Und im Schafauge fokussiert sich
die Welt.
Der MANN geht. Findet die tote Taube im Kies. Taube Noahs wie Friedenstaube.
Close-up zu den Maden. Alles kreist. Er weiter. Setzt sich dann in den
Kies und wirft
Steinchen. Vor sich, nicht hinter sich wie Deukalion etwa. Dieser ein
Demiurg, er ein
Zähler und Erzähler, ein Schreiber Gottes vielleicht, wie Henoch.
Nun weiter, mit nackten
Füßen über karstigen Boden. Sieht dort die Schlange, fast
verendend. Untersucht
sie, spielt mit ihr und legt sie auf einen Baumstumpf. Dann im Lager.
Der MANN haucht
eine Scheibe an, malt eine Zahl auf diese und tritt ein, hinein in den
Grünspanraum.
Geht durch die Leere, stellt sich ans Fenster. Sieht: Mauern, Türme,
Stacheldrähte,
alles stürzt auf ihn ein. Er spürt die Kälte Lykaons, des
Vorfahren der Meister
aus Deutschland. Climax.
Jetzt im nebligen Wald, hin zur Kate von Philemon und Baucis. Die beiden
Alten, erstarrt
auf dem Tisch sitzend, dem steigenden Wasser ausweichend, warten auf ihre
Baumexistenz. Unter ihnen schwimmt eine Kinderarche, die Tiere herausgepurzelt.
Er nimmt eines. Spielzeug, überflüssig für kinderlose Traumpaare.
Er hinaus. Draußen
schaukelnde Kirchenschiffe. Er watet weiter durch überschwemmte Landschaften.
Am Himmel zeichnet der Erzengel das Unheil. Der Drache umschlingt den
Teufel.
Knietief im Wasser, entdeckt er Andromeda, gefesselt am Baum, nicht am
Felsen. Er,
anstatt Perseus, befreit sie. Sie bittet gebärdend um eine Münze.
Legt sie sich in den
Mund für Charon. Steigt in die Fluten und versinkt. Nur Wellenringe
zurück lassend.
Ein Kind in einer Zille. Allein. Ausgesetzt, verlassen? Etwa für
Elpis stehend? Es spielt
mit kaputter Puppe und Schaf. Das Boot treibt steuerlos die überschwemmte
Straße
entlang, vorbei an halb versunkenen Verkehrsschildern, welche, überflüssig
geworden,
keine Richtung mehr weisen können. Der MANN hält das Boot an,
das KIND
reicht ihm ein Ruder. Er hinein in die Zille. Zusammen treiben sie dahin,
der Strömung
folgend. Am Friedhof vorbei, vorbei an versunkenen Kreuzen mit ertrinkenden
Heilanden. Genagelte schreiten nicht übers Wasser. Darüber bricht
sich der barocke
Himmel. Groteskes Farbenspiel.
Das Boot gleitet eine Allee entlang. Er rudert. Sein Blick wandert über
den Dachfirst
eines versunkenen Hauses. Überschwemmte Landschaft mit Telefonmast
ohne
Grund. Das Boot treibt, mit MANN und KIND, auf den Lebensbaum zu. Dieser
erscheint
in Dreifaltigkeit. Und wieder kreisen Kirchenhimmel.
Aus den Wolken heraus, Sicht auf die Zille vor sinkendem Kirchturm. Im
Wasser die
tote Taube, ihr Gefieder zerfetzt, inwendig von Maden zerfressen. Das
Boot verschwindet
hinter dem Turm. Der wird vorn Blitz getroffen. Zero. Die Katastrophe
bricht herein.
Weltenbrand und Sintflut in einem.
Im U-Boot Bunker, der Unterwelt. Der MANN, heraus aus dem Boot, nimmt
das KIND
auf den Arm. Schreitet durch das Betonland. Auf Bunkerwänden erscheinen
Baum, Kirche
und der Gekreuzigte. MANN und KIND rasten bei einer Schaukel. Er schreibt.
Dann
die beiden weiter zu einem Wasserbecken, eingeschlossen von einem Feuerkreis.
In diesem Simeon, der Säulensteher, nackt, wirr gestikulierend. Das
Ende: Ein Gang
durch ein brennendes Tor, hin zum Licht.
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