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Marcus Neustetter
For The Trinity Session


Pixels, Position und Populärkultur: Notizen zum
Verständnis einer neuen digitalen Ästhetik in Südafrika

Die Position Südafrikas als Tor zu vielen Destinationen innerhalb des Kontinents hat
dem Land eine starke Position als Schmelztiegel nicht nur lokal unterschiedlicher Kulturen
und Gemeinden, sondern auch des Zustroms von Gemeinschaften der meisten
afrikanischen Staaten gebracht.

Die digitale Kultur in Südafrika entwickelt sich rapide, zumeist in Form digitaler Aktivitäten
als Antwort auf die internationalen Teilnehmer aus der Konzernszene, die sich
diverser Räume wie etwa des WWW bemächtigt haben. Das Internet wird wie jeder
Raum von jenen kolonialisiert, die wissen, wie man das Medium zum eigenen Vorteil
nutzen kann. Wenn auch vereinzelt Unabhängigkeitskämpfer auftreten, die sich um die
Zerstörung dystopischer Arrangements bemühen, wie sie sich im Diktat der Online-
Mächte manifestieren, zeigen sich doch erste neokolonialistische Ansätze, vor allem,
was die kommerzielle Macht des Internet betrifft. Die Machtlosen und Ohnmächtigen
sollten sich nun dieses Mediums annehmen und als aktive Teilnehmer auftreten, doch
das ist leider nicht immer der Fall. Während in Südafrika die Design-Industrie und Entwicklungen
in Richtung Online-Empowerment langsam Gestalt annehmen – etwa in Form
von Unternehmen, die unterprivilegierte Gemeinschaften an das WWW anbinden –, regieren
doch immer noch Minderheiten das Feld der Online-Interaktion. Zwar gibt es bisweilen
Versuche, eine Integration multikultureller und multiethnischer Studiopraktiken zu
fördern (hauptsächlich in der Werbung, um spezielle Zielgruppen anzusprechen), doch
derzeit scheint die Web-Umgebung von Bemühungen dieser Art weitgehend unberührt.
Natürlich üben der Zugang zum Medium und die Schulung in geeigneten und integrativen
Wissenssystemen einen starken Einfluss aus. Die kurze Geschichte des kreativen
Einsatzes von Technologie in Südafrika (so wurde das Fernsehen beispielsweise
erst 1975 eingeführt) und der Apartheid-Kampf mit seinen negativen Auswirkungen
auf die kreative Entwicklung durch den kulturellen Boykott haben dazu geführt, dass
verschiedene Kreativbranchen mit ihren internationalen Kollegen aus der industrialisierten
Welt Fangen spielen, ihnen hinterherlaufen. Vor allem aber war die nicht weiße
Bevölkerung lange radikal von einem Bildungsprozess ausgeschlossen, der lokale Kreativpraktiker
ermutigen hätte sollen, und außerdem war die öffentliche Stimme der lokal
integrierten Identität mit weit reichenden Folgen zum Schweigen gebracht worden.

Ethnische Gruppen, die durch die Unterdrückung während der Apartheid besonders
betroffen waren, entwickelten eine öffentliche Präsenz im lokalen Kontext, vor allem
in den letzten Jahren, nachdem ihnen zuvor ein Zugang in Form von Bildung und Chancengleichheit verwehrt worden war. Diese Präsenz ist nicht nur Reaktion auf die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit – diese Phase haben wir bereits überwunden –, sondern
eher eine Präsenz in Form einer öffentlichen kulturellen Identität, die gerade dabei
ist, ihre Form zu finden. Dies wird deutlich sichtbar in der urbanen Jugend-Musikszene,
die gegenwärtig das dichteste Kulturphänomen auf dieser Plattform ist.

Musikradio als populäre Medienplattform trägt sehr zur Entwicklung populärer Kulturbewegungen unter den Gemeinschaften bei, die noch nicht direkt in die Nutzung oder das Design neuer
Medien eingebunden sind. Vor allem trifft dies auf die urbane, schwarze Jugend zu. Gemeinschaften, die früher ohne jedes Empowerment waren, hinterlassen nun ihre Spuren und werden häufig zu Antriebsfaktoren für die Gemeinschaften, indem sie Identität als
Imagebildung wie auch als kulturelle Identität für ihr Publikum fördern. Zugleich wird diese Identität zur Motivation von Unternehmen, womit wir dann und wann das Reich des Entertainment und Business verlassen und politisches Terrain betreten. Ein Beispiel dafür ist
eine Einstellung, ein Phänomen namens Kwaito. Es handelt sich hierbei um eine urbane Hybridmusik und Modekultur, die zeitgenössischen Pop, House und HipHop mit Pantsula, Jazz und
anderen urbanen Straßenkulturen der fünfziger und sechziger Jahre mischt und der
urbanen Jugend eine Stimme gibt, so wie auch die lokale Slam-Poetry und ihre Beziehung
zu HipHop und Rap. Es hat massive Entwicklungen zur Veränderung des Images
und der Kultur rund um die Musik hin zu einer größeren und umfassenderen Bewegung
gegeben. www.rage.co.za ist ein solcher Fall: Er repräsentiert die „South
African Street Culture Online“ und umfasst einen Teil der Black Rage Productions,
die eine Reihe von Projekten zur lokalen Verbreitung urbaner Kultur beinhaltet. Während
sich die Popularität der musikbestimmten Popkultur in bestimmten E-Zines und Internet-
Werbekampagnen manifestiert, besteht Unsicherheit darüber, ob sich im Web-
Design ein lokalisierte Kultur soiegelt oder ob es selbst zeitgenössischen internationalen
Designkriterien oder Trends zuarbeitet.

In ähnlicher Weise orientierten sich die Bildungssysteme bis vor kurzem an den Stars
des internationalen Designs, die jene Vorgaben diktierten, die dem lokalen Praktiker
oder Lernenden in der internationalen Szene eine Chance geben könnten. Der aktuelle
Diskurs setzt den Schwerpunkt jedoch zurück auf den lokalen Kontext, um auf seinem
Potenzial aufbauen zu können. Gegenwärtig wird mit lokalen Kampagnen rund um
den südafrikanischen Nationalstolz (bestimmte Produkte erhalten den Markenbeinamen
„Proudly South African“) der Interessensschwerpunkt zurück auf heimischen Boden
gelenkt, wobei wichtige internationale Ereignisse wie das jährliche Design Indaba in
Kapstadt und öffentliche Kunst- und Designinitiativen zur Wiederherstellung der Innenstadt
von Johannesburg zu nennen sind. Weniger kulturell orientierte, trotzdem aber
wichtige Ereignisse, die ebenfalls erwähnt werden sollten, sind etwa der Weltgipfel
für eine Nachhaltige Entwicklung 2002 in Johannesburg und nationale Kampagnen
zur Hebung des sozialen Bewusstseins, um beispielsweise gegen Ignoranz und die
Verbreitung von HIV/AIDS aufzutreten.

Wenn man sich aus südafrikanischer Sicht an die „unplugged“ Communities wendet,
wird man ständig an die digitale Kluft erinnert, die in dem Maße wächst, in dem sich
Wissen und Komplexität der Online-Kultur und ihrer globalen Machtkämpfe erweitern.
Die Gemeinschaften, die von dieser digitalen Kultur weit entfernt zu sein scheinen, werden
jedoch nach und nach von verschiedenen Medien in den Prozess involviert, so dass
sich die Parameter dessen, wer nun „unplugged“ ist und was das tatsächlich bedeutet,
verschieben. Bedenkt man die hohen Kosten für Computer und die Verfügbarkeit
der zugehörigen technologischen Kenntnisse und Ausbildung in Südafrika, so scheinen
Mobiltelefone ein passendes Glied in der Kette zur digitalen Kommunikation und
zu einer vernetzten, computerkundigen Kultur zu sein. Dies zeigt sich vor allem in der
Jugendkultur, wo Fragen nach Status und Identifikation im Zusammenhang mit der aktuellen
und künftigen mobilen Funktion der Technologie auf massiv kompetitivem Niveau
funktionieren. Mobile Telekommunikation ist in Südafrika ein Medium, das bereits einen
Großteil der Bevölkerung in den Städten angepeilt und erreicht hat. Die Bevölkerung
anzusprechen, würde bedeuten, sich in ihre Systeme einzuschalten und auf ihren Plattformen
zu kommunizieren. Wenn man sich Unternehmen wie exactmobile und individuelle
Kampagnen der Mobilfunk-Provider ansieht, so haben sie diesen Markt ganz offensichtlich
bearbeitet, indem sie Inhalte und Strategien verwenden, die spezifisch auf Technologie
und Zielpublikum zugeschnitten sind, aber auch beispielsweise auf große Einzelhandelsketten,
die den Wert von SMS-Updates und Kommunikationsdiensten für ihre
Kunden sehr wohl sehen. Wo die Technologie ein so großes und bunt gemischtes Publikum
wie in Südafrika betrifft, stellt sich die Frage, wie diese Vielfalt effektiv angesprochen
werden kann und wie die Inhalte nicht nur für unterschiedliche kulturelle Hintergründe
und Rassen entworfen, sondern gegen Sprachschwierigkeiten (es gibt elf offizielle
Sprachen in Südafrika) und einen massiven Analphabetismus eingesetzt werden
können.

SEARCH in der electrolobby

Für die electrolobby des Festival Ars Electronica präsentieren The Trinity Session und
ihr Projekt _sanman (Southern African New Media Art Network) das Programm SEARCH.
Es handelt sich dabei um ein Programm, das mit Recherchen und Workshops seinen
Ausgang in Südafrika nimmt, dann mit der Einladung von Gästen auf Linz übergreift
und schließlich zu einem gemeinsamen Projekt oder einer gemeinsamen Produktion führen
soll. SEARCH möchte bestimmte Prozesse zeigen, die sich in Südafrika entwickeln und
dazu beitragen können, sich in der digitalen kulturellen Praxis eine globale Sprache anzueignen,
wie etwa reaktive Kommunikation, Design und subversive Strategien. Nachdem
Rassenfragen in Südafrika auf politischer, akademischer und theoretischer Ebene
bereits endlos diskutiert wurden, besteht das Ziel von SEARCH auch darin, die historischen
Ereignisse und ihre Auswirkungen nicht noch einmal zu verhandeln, sondern
stattdessen die gegenwärtige Position starker Kulturen und der Chancen, die sie für
die Entwicklung einer Online-Präsenz und eines Online-Ausdrucks bieten, herauszustellen.
Zu den eingeladenen südafrikanischen Teilnehmern gehört eine Reihe von Kandidaten
wie Web-Designer und Programmierer, Komponisten von Digitalmusik, kritische
Kommentatoren und Theoretiker der digitalen Kultur in Südafrika wie auch zeitgenössische
Netz- und Populärkultur-Aktivisten. Mitglieder dieses SEARCH-Teams
präsentieren ihre Praktiken und Einstellungen zur digitalen urbanen Kultur, wie sie in
Südafrika besteht, sie debattieren über Prozesse und entwickeln Strategien mit dem
Ziel der Zusammenarbeit an einem Projekt. Dieses Projekt manifestiert sich in
Südafrika, erstreckt sich anschließend in die electrolobby hinein und besteht schließlich
als Produkt von SEARCH. Letztlich wird es zur Marke, nach seiner Fertigstellung
zur Implementierung in Südafrika abgepackt und vermarktet. Mit Unterstützung des
Ars Electronica Festival und Trinity Session (_sanman) sowie mit Ressourcen von The
| PREMISES soll seine Implementierung Workshops, Foren und Veranstaltungen mit
verschiedenen „unplugged“ Gemeinschaften überall in Südafrika und möglicherweise
bis ins weitere südliche Afrika hinein umfassen.

Aus dem Englischen von Regina Berger