[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]
INFOWAR: Vom Kriegsspiel
---------------------------------------------------------
ARS ELECTRONICA FESTIVAL 98
INFOWAR. information.macht.krieg
Linz, Austria, september 07 - 12
http://www.aec.at/infowar
---------------------------------------------------------
Vom Kriegsspiel
Wahres Feldherrngenie ist von der Manoevrirkunst eben
so sehr verschieden, als die Muse, welche Oden und
Heldengeschichte eingibt, von der Wissenschaft verschieden
ist, welche lehrt, Sylben zu messen und Fuesse zu
zaehlen.
Berenhorst.
I.
Die Initiation eines Kriegstheaters, das gleichsam in zweiter
Potenz sich noch selbst simuliert und schon damit auf ersteres
zurueckwirkt, wenn nicht neu gruendet, faellt in die Zeit der
Befreiungskriege. Nomen est omen, sofern alle Emanzipation nur
erlaubt von einer Kriegsform zu anderen zu wechseln. Ort und
Szene einer solchen Abloesung laesst sich rekognoszieren: ein
Wirtshaus im Fruehsommer 1809 bei Wien.
Dort kuenden Vorboten von einem sich abzeichnenden Gefecht
zwischen Oesterreichs und Napoleons Armeen auf dem
nahegelegenem Schlachtfeld von Aspern. Doch auf dem
Nebenschauplatz des Wirtshauses sind die Akteure ein vormaliger
Seconde Lieutenant der Preussischen Leibgarde namens Heinrich
von Kleist, sein Freund und Historiker Lehmann, der Obrist und
Geheimnistraeger von Kriegsplaenen, Knesebeck, und dessen
Adjutant. Zu den Requisiten zaehlen ein Kriegsspiel und zwei
Pistolen. Der Pistolen nimmt sich Kleist an. Doch als er noch
ueber das Schlachtfeld und unter seine toten Soldaten gehen wird,
bringt er - von oesterreichischen Truppen aufgegriffen - dennoch
nichts als seine Verse in Anschlag und als Ausweis. Denn der
Dichter und nicht etwa der Soldat Kleist, der hier zum ersten und,
wie jeder der sein Ende kennt, nicht zum letzten Mal zwei Pistolen
laedt, legt sie einfach auf den Wirtshaustisch. Knesebecks
Adjutant ergreift eine solche ohne den leisesten Verdacht, “spannt
den Hahn und drueckt ab”[1]. Erleichtert stellt der Offizier fest,
dass die Kugel an Lehmanns Schlaefe vorbei geht. Doch dann
meldet sich Knesebeck. “Aber Gotts Donnerwetter, ich habe es
gekriegt.”[2] Ihm steckt die Kugel in der Schulter, wo sie auch ein
herbeigerufener Chirurg belassen muss. Die herbeigeeilte Polizei
gilt es von einem anderen Ablauf und eine andere, d.h. alte und
aufgehobene Ordnung, als die eines Duells, zu ueberzeugen.
Das Duell gab ja lange das Modell in miniature von Kriegsordungen
ab. Dabei war der Zufall, keine Frage, auch immer Thema von
Kriegstheorien und hoerte auf Kosenamen wie Siegespapa. Doch
die massgebliche, vielleicht epochale Differenz ist, allen Zufall nicht
mehr etwa durch Standarten in Ort, Zeit und Wirkung zu
kumulieren und zu umgrenzen, sondern umgekehrt Standards zu
schaffen, die dem Zufall allseitig die Bahn brechen. Was durchweg
berechenbar ist, lohnt erst gar nicht der Berechnung, ist
strategisch witzlos. Waffengattungen und ihren Regimentern ganz
anders geartete entgegenzustellen hat ja erst Napoleon
systematisch betrieben und die freioperierende Tirailleurs sind noch
die kleinsten Atome solcher Ausdifferenzierung. Dagegen und
bislang zeigtuen sich ueberlegene und innovative militaerische
Techniken - etwa persische Reiterwagen oder das Schiessen im
vollen Galopp der Indianer - nur und an gaenzlich Fremden.
Doch Kleist kreuzt im Wirtshaus die Pistolen nicht nur zum
Emblem neuer Ordnung, die erlaubt, dass Adjutanten auf ihre
Herren anlegen. Denn es hatte fuer eine Duellforderung zumindest
auch einen noetigen Streit gegeben. Denn Kleist war voellig in das
Kriegsspiel versunken und hatte kaum den Aufmarsch zur Kenntnis
genommen, noch Knesebeck, als dieser das Wirtshaus betrat, mit
gebuehrendem Respekt. Dieser mokierte sich daraufhin ueber
Kleists Spiel, dem das Wesen des Krieges abginge und
wuenschte ihn zum Teufel. Kleist fand fuer Knesebeck nur die
lakonischen Worte: "Es ist aber alles drin"[3]. Tags darauf sollte
der Wirt Kleist und Lehmann, die wieder oder immer noch im Spiel
Versunkenen, darauf aufmerksam machen, dass die Schlacht im
vollem Gange ist. Kleist und Lehmann eilten zum Schlachtfeld.
Kleists Annahme, dass das Kriegsspiel jeden erdenklichen Krieg
enthalte, mag ihre Radikalitaet noch aus dem ersten Aufscheinen
einer solchen Moeglichkeit ueberhaupt beziehen, was anders wird
in der Zeit zum Faktum: In die Entfaltung des Kriegsspiels vermag
nur der Krieg selber einzubrechen. Man mag die Zeiten klassisch
nennen und das aus ihnen entsprungene Kriegsspiel die Mutter
aller Kriegsspiele (wie noch zu zeigen, das von den Baronen von
Reiswitz), aber nur weil heute die Differenz von Simulation und
Exekution kein zeitliches Mass mehr am Menschen nimmt.
II.
Kleists Regimentskamerad und Kriegsspieloptimierer Ernst von
Pfuel - alsbald General, dann Preussischer Ministerpraesident und
schliesslich noch im hohen Alter Schrecken aller Berliner
Schachsalons - schrieb eine Szene dem Sinn nach richtig, als
Autograph aber faelschlich Kleist zu:
Die Hauptszene [...] des ersten Aktes war, wie die Ritter
Leopolds vor der Sempacher Schlacht wuerfeln, wer mit dem
Leben davonkommen wird, wer nicht. Die stolzen Herren sitzen
zechend beisammen, und sie beginnen das Wuerfeln wie ein
uebermuetiges Spiel. Drei schwarze Seiten haben die Wuerfel
und drei weisse; die schwarzen bedeuten den Tod. Die ersten
der Wuerfler werfen schwarz; man lacht und scherzt darueber;
das Spiel geht fort, auch die naechsten werfen schwarz, und
immer mehr und mehr -allmaehlich verstummt der kecke Jubel,
und ein nachdenklicher Ernst kommt ueber die Gesellschaft; -
zuletzt haben alle scharz geworfen. Wie dieser grausige
Vorgang Schritt fuer Schritt in dem hochfahrenden Kreise die
unheimlichste, zuletzt die fuerchterlichste Stimmung verbreitet,
das war, nach Pfuels Erinnerungen, mit ueberwaeltigender Kraft
geschildert.[4]
Eine Pappe, die ausgeschnitten und auf einen Wuerfel geklebt,
diesen in die reine Zweiwertigkeit von Weiss/Schwarz oder
Leben/Tod ueberfuehrt, zu beziehen, darauf sollten noch zur
Regierungszeit Friedrich Wilhelm III. alle Regimenter verpflichtet
werden. Die Pappe ist Teil eines Apparats, der fuer Buchbinder
eigens Anweisungen noetig werden liess und in dem Buch
Anleitung zum taktischen Kriegsspiel[5] des Baron von Reiswitz’
jun. eingebunden ist. Kein geringerer als der nach den
Befreiungskriegen in den Generalstab befoerderte von Mueffling
besorgte seine Propaganda. Den Grundstock zur Anleitung hatte
noch Vater Reiswitz gelegt. Zunaechst wertete dieser die
Telemeterie, d.h. Korrespondenz seiner Freunde aus, die, als sie
raeumlich getrennt wurden, ihre Partien im Kriegsspiel postalisch
fortsetzen. Spaeter wird dem Kriegsspiel - wie dem Krieg - das
zum Prinzip. Das Terrain wird dupliziert und den widerstreitenden
Parteien die Stellung des Gegners nur durch schriftlich ergangene
Aufklaerungsarbeit auf dem eignen Spielplan sichtbar.
Noch vom WK II. schreibt Thomas Pynchon in Gravity’s Rainbow,
dass mit Schreibmaschinen mehr Leichen zu produzieren sind als
mit jedem Waffensystem. Der Sachverhalt kuendigt sich schon bei
Reiswitz’ Kriegsspiel-Korrespondenten an:
Ein Schreibfehler, besage dieser Correspondenzacten beyder
Freunde, kostete einmal einen Infanteristen das Leben, ein Fall
der auch wohl sonst vorgekommen seyn mag.[6]
Eine militaerische Katastrophe hat zu Fixierungstechniken und
eidetischem Blick ohne Beispiel gefuehrt. Dem close reading der
Geschichte der Katastrophe scheint kein Massstab (1:8000) und
keine Anzahl der Karten gross genug und bezeichnet vor allem die
Gegend von Jena und Auerstaed. Zudem setzt bei der Durchsicht
militaerischer Karten von 1800 mit dem Jahr 1806 die Farbe ein. In
Zeiten der technischen Reproduzierbarkeit von Graphik muss eine
zunehmend obsolet gewordene Handarbeit fuer das Kolorit der
Karten sorgen, um Wiesen und Waelder hell- und dunkelgruen
anzuzeigen, nur langsam passierbarem Morast grau, schwarz
Wege, blau Gewaesser etc. Eine mittels des Cosinussatzes
bestimmte Dichte von Schraffuren lassen Huegel und Bergverlaeufe
den Grad ihrer Steilheit und damit ihre Ueberwindbarkeit ablesen.
Dabei ist der Fokus des Betrachters in eine neutrale Instanz
gezwungen, die nun Freund und Feind als rote und blaue
Truppenzeichen in der Topographie vermerkt.
Vater Reiswitz stellte Friedrich Wilhelm III. den taktischen
Kriegsspiel-Apparat zunaechst als das Symbolische einer Matrix,
auf der in Form von dreidimensionalen Modulen jeder Ort und jede
Gegend und damit das Reelle Einzug erhaelt. Der taktische Krieg
gilt nun dem Reellen gleichermassen, wie die durch die Standarten
bezeichneten feindlichen Truppen. Fuer beides haelt das Spiel
Typen bereit, fuer Morast wie fuer feindliche Scharfschuetzen.
Deckung durch die eingebrochene Nacht besorgen
Truppenverberger und am Tage schlicht das Gruen, das fuer
Waelder steht. Die sechzig Seiten Spielanleitung braucht nur der
Befehlshaber zu kennen. Denn alle Kommandos ergehen schriftlich
und konform der Exerzierpraxis. Doch die Verstaendigung steht
unter der Diktat der Echtzeit, weil pseudosynchron die
Bewegungen und Aktionen des Gegners auf dem Spielfeld
weiterlaufen. Dabei sind Marschtiefen und Waffenwirkungen der
verschiedenen Regimenter einfach massstabsgetreu umgerechnete
Daten, wie sie an Scharnhorsts Artillerieschule erhoben wurden.[7]
Um den Grad der Streuung der Waffen oder Toten zu bestimmen,
liegen Wuerfel bei.
Senior Reisweitz sagt von Friedrich Wilhelm III, er habe -
sekundiert von Prinz Wilhelm ( um nicht anachronistisch
Kartaetschen-Kaiser zu schreiben) - ab 1816 taeglich seine Zeit
mit dem Kriegsspiel zugebracht.
III.
Beim Einbruch der Zeit in das Spiel konnte jenes weder Kleist
noch Reiswitz davor bewahren, die Pistole auf sich selbst zu
richten. Kleists letzte und verbliebene Aussicht auf ein Amt
versprach die Leibgarde des Koenigs einzuraeumen. Kleists
wahrscheinlich engste Vertraute, Marie von Kleist, war zudem
zumindest auch eine enge der Koenigin. Sie schrieb in dieser
Sache mit bewundernswerter Schlaeue und unter rigoroser
Ausnutzung des Wissens, das sie aus dem inner-circle bezog,
wenn auch letztlich vergeblich an den Koenig. Denn als Referenzen
Kleists fuehrte sie an, er habe “seit einigen Jahre sich viel mit
Tacktick beschaefftiget, Krieges Spiele gespielt etc etc.”[8]
Dagegen wurde Reiswitz Junior 1826 der Vorwurf gemacht, er
waere seiner Befehlsgewalt als Offizier nicht <genuegend
nachgekommen, um Ausschreitungen seiner Mannschaft zu
verhindern. Man versetzte ihn von der Berliner Garde zur einer Linie
der Provinz. Reiswitz erschoss sich waehrend des Heimaturlaubs.
Zuvor hatte er allerdings die preussischen Prinzen, in St.
Petersburg Nikolaus I. und seine Offiziere beim Kriegsspiel geleitet
und d.h. im damaligen Kriegsspieljargon, er war der Vertraute. Und
darauf war es sein auf nur zwei Dimensionen
heruntertransformierter Apparat, der sich in ein Buch einbinden und
den Regimentern zur Einuebung in die Befehlsgewalt zu beziehen
anordnen liess.
Die Rede ist natuerlich vom Zugang zum Machthaber. Und der
verlief nach Carl Schmitt fuer Kleist ueber das Grab ins “Bett der
Kaiserin”[9]. Nur das Kleist eben umgekehrt schrieb, er ziehe dem
Grab jedes Bett einer Kaiserin vor. Es steht zu befuerchten, dass
wer in die unmittelbare Naehe der Souveraenitaet geraet, auf Leere
stoesst. Schmitt sagte vom 19. Jahrhundert und Kant, dass sie von
der Souveraenitaet, die sich in nur im Ausnahmefall zeige, jeden
Begriff verloren habe. Fuer die Politik mag das stimmen, fuer die
militaerische Strategie nicht. Ein Jahr nach Reiswitz Tod erscheint
ein Supplement zu seiner Schrift, das das Kunststueck fertig
bringt, sich als solches an Reiswitz’ Schrift anzuschliessen, ohne
diese oder ihn mit einem Wort zu erwaehnen. Zu den Neuerungen
gehoert der Ausnahmewurf und der Nothwuerfel. Um
[...] jedoch keinen im Kriege moeglichen, wenn auch noch so
unwahrscheinlichen Fall vom Spiel auszuschliessen, muss
auch das Spiel Ausnahmen von der Regel gestatten, die aber
wieder ihre eigenen Regeln haben muessen.[...] Als Regel gilt,
dass wer eine Ausnahme von der Regel zu machen wuenscht,
sich zuvoerderst das Recht dazu durch einen Wurf erwerben
muesse.[10]
Gelingt der Wurf zum Recht auf die Ausnahme, entscheidet der
Nothwuerfel, ob die Ausnahme greift. Reiswitz Kriegsspiel ist auch
die Anleitung zu einer mechanischen Vorrichtung, um
Souveraenitaet und Befehlsgewalt zu implementieren.
IV.
Eine alte Schreibschrift im Einband von Reiswitz’ Anleitung
kuendet vom kalten Blick eines Bibliothekars, der wohl moeglich
seinerzeit und kurzerhand Reiswitz’ Anleitung unter Technologie
rubrizierte. Eine nun anstehende, laengere Arbeit will diesen
Anspruch zu rekonstruieren gerecht werden. Dass Reiswitz auch
das Wesen der Bedienungsanleitung in ihrer Differenz zur
Bauanleitung erfunden hat, wird deutlich, wenn er darauf hinweist,
auf alle Graphiken verzichtet zu haben, um technologischem
Diebstahl vorzubeugen. Die Anleitung werde vollends verstaendlich,
wenn man den Apparat vor sich haette, so sein Hinweis.
Reiswitz’ Apparat konnte nun aufgetan und soll auf einer
Ausstellung praesentiert werden. Schon von daher ist die vorzeitige
Preisgabe von Funden solcher Art an dieser Stelle ja nicht ganz
ohne Risiko. Denn der Kulturbetrieb soll sich ja auch auf den
Infowar verstehen.
[1] Friedrich Christoph Dahlmann, zitiert nach Helmut Sembdner
(Hg.), Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte
der Zeitgenossen. Frankfurt am Main 1977, S. 276, (Nr. 317)
[2] ebenda, S.276
[3] ebenda, S.276
[4] Adolf Wildbrandt, zitiert nach Helmut Sembdner (Hg.), Heinrich
von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der
Zeitgenossen. Frankfurt am Main 1977, S. 63 f., (Nr. 78)
[5] Georg Heinrich Rudolf Johann Baron von Reiswitz, Anleitung zur
Darstellung militaerischer Manoever mit dem Apparat des Krieges-
Spielles. Berlin 1824
[6] George Leopold Baron von Reiswitz, Taktisches Kriegs-Spiel
oder Anleitung zu einer mechanischen Vorrichtung um taktische
Manoeuvres sinnlich darzustellen. Berlin 1812, S. IX
[7] Man lese nun das Moto und ersetze Sylben durch Typen, die
Zaehlung von Fuesse durch die von Soldatenfuesse pro Zeit also
Marschtiefe, um das Analogon einer Wissenschaft zuverstehen,
die des Feldherrngenies nicht mehr bedarf.
[8] Marie von Kleist , zitiert nach Helmut Sembdner, Zu Heinrich
und Marie von Kleist. In: Jahrbuch der deutschen
Schillergesellschaft. Hg. v. Fritz Martini, Herbert Stubenrauch,
Bernhard Zeller. (1957), S.157-178, hier S.65
[9] Carl Schmitt, Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947-
1951. Berlin 1991, S.250
[10] Anonym, Supplement zu den bisherigen Kriegsspiel-Regeln.
In: Zeitschrift fuer Kunst, Wissenschaft und Gedichte des Krieges.
Bd. 13, Heft 4. (1828), S. 68-105, hier S.78
---------------------------------------------------------------------------
You are subscribed to the German language version of INFOWAR
To (un)subscribe the English language version send mail to
infowar-en-request@aec.at (message text 'subscribe'/'unsubscribe')
To (un)subscribe the German language version of send mail to
infowar-dt-request@aec.at (message text 'subscribe'/'unsubscribe')
Send contributions to infowar@aec.at
--------------------------------------------------------------------------
[INFOWAR] [subscribe]