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INFOWAR: InfoWar. Erste und letzte Privatmeinung



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ARS ELECTRONICA FESTIVAL 98
INFOWAR. information.macht.krieg
Linz, Austria, september 07 - 12
http://www.aec.at/infowar
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Date sent:  Fri, 08 May 1998 16:05:15 +0200
From:  "Prof. Dr. Friedrich Kittler"
<friedrich.kittler@rz.hu-berlin.de>
Organization: Humboldt Universität zu Berlin
To: infowar-dt@aec.at
Subject: InfoWar. Erste und letzte Privatmeinung

Das Echo (um weder DIE Nymphe Echo noch DEN
Unix-Befehl echo heraufzurufen) das Echo auf die Eingangsstatements
ueberrascht. Das kann auch heissen, dass die Ars Electronica ihrem
Auftrag, Unerwartetes zu tun, 1998 wahrhaft nachgekommen sein wird.

Das Echo naemlich - mit wenigen Ausnahmen - aeussert Privatmeinungen.
Wie Mr. Rushkoff so unueberbietbar klar formuliert, heissen
Informationstechnologien gerade noch dazu gut, den menschlichen Geist
von Geist zu Geist zu transportieren. Weshalb es vollkommen
ueberfluessig waere, den Geisteraustausch durch Gedanken an die
militaerische Logik von Internet und InfoWar zu unterbrechen.
Privatmeinungen behaupten, vielleicht weil die Geschichte der
Medientechniken ihnen nur als Geschichte von Wunscherfuellungen
beigebracht worden ist, das Monopol von Privatmeinungen.

Honi soit qui bien y pense.

Meine Privatmeinung -abgesehen davon, dass ihr jeder 'menschliche
Geist' wie ein unrechtmaessig angeeignetes Attribut des christlichen
Gottes vorkommt -widerspricht aus einem ebenso doppelten wie
einfachen Grund: Das gesamte Internet ist nicht nur als Arpanet (also
in Pentagondiensten) zur Welt gekommen, sondern unterscheidet sich
bis heute einzig darin von herkoemmlichen Post- oder
Telephondiensten, dass es (im Unterschied zu Floppies oder
Ausdrucken) Bits und Bytes ebenso schnell wie korrekt uebertraegt.
Soweit mir bekannt, werden 30 % aller Internet-Geschaefte mit
Software gemacht - also nicht mit Alltagssprache oder Chat wie auf
dieser unserer Web-Seite. Bits und Bytes brauchen einfach das ihnen
adaequate, aber menschenabgewandte Medium.

Also koppelt das Internet mit seiner vom Nuklearkrieg diktierten
Paketlogik Computer mit Computern, Servers mit Clients,
'Verteidigungsministerien' (wie der Euphemismus seit 1945 lautet) mit
Eliteuniversitaeten; von irgendwelchen Mensch-Mensch- oder
Geist-Geist-Verbindungen ist keine Rede.

Auch Christen oder Humanisten stuende es daher an, der Frage nicht
auszuweichen, was unter hochtechnischen Bedingungen aus dem Vorrang
des 'menschlichen Geistes' ueber den Rest der Welt (Silizium,
Mikroben, Hochfrequenzen) geworden ist. Entweder es gibt eine ars
electronica (die Kunst, mit Elektronen ueber Hardware- und
Softwaredesign zu interagieren) oder aber Kunst (die Kunst, andere
mit den bescheidenen, vor allem aber nie garantierten Tricks von
Poetik und Rhetorik hereinzulegen).

Die Kunst des Hereinlegens ueberrascht immer wieder. Zumal ihre Opfer
tun alles, um sie nicht wahrzuhaben. 90 Prozent aller installierten
PCs laufen heute von vornherein, also sobald sie nur angeschafft
werden, unter Windows 95. Den Beitrag von Mr. Mann sollten daher alle
lesen, die, ohne es zu wissen, unter den Gesetzen von NDA (Non
Disclosure Agreements) und Quellcode-Unzugaenglichkeiten vegetieren.
Bill Gates, der (in einem internen Memorandum) sich Computer so
unauffaellig wie Waschmaschinen und Computerbenutzer so
programmierbar wie Computer wuenschte, hat seine Freude daran.

Nicht mehr und nicht weniger, Gott sei's geklagt, heisst InfoWar.
Keines der leidenschaftlich angegriffenen Eingangsstatements hat
leugnen wollen, dass Kriege moerderisch waren und sind. Ganz im
Gegenteil: sie mechanisieren (mit Ingeborg Bachmann und Michael
Geyer) die Todesarten. Wir alle - auch wenn wir ueber den Vorzug,
unter 30 zu sein, leider nicht alle verfuegen - haben im Fernsehen
gesehen, wie in Somalia, Ex-Jugoslawien usw. die "Wochenendkrieger"
(Heiner Mueller) zu Werk gehen. Die Frage bleibt nur, was es heisst,
etwas im Hochfrequenzbereich gesehen zu haben, wenn der Konsument
(und das ist kein Fluch ueber Leuten ueber 30) keinerlei
Programmiersprache beherrscht. Was es besagt, dass die Armee der
bosnischen Serben solange unbesiegbar schien, bis ein paar punktuelle
Angriffe auf ihr Radar-Vorwarnsystem den Krieg mit Kroaten und
Bosniern schlagartig wendeten.

Es mag ja sein, dass Hierarchien (auch bei Benutzung dieser unserer
Web-Seite) empfindsamen Seelen auf die Nerven gehen. Das muss aber
doch nicht gleich zur einigermassen paradoxen Legende fuehren, grosse
und kleine Kriege der absehbaren Zukunft seien saeuberlich zu
trennen. Hierarchien naemlich, ob es uns passt oder nicht, sind
mittlerweile in Silizium versenkt (Protected mode vs. real mode,
supervisor mode vs. user mode), also strategisch ebenso getrennt, wie
sie operational abschaltbar werden. Der einzelne GI laesst sich vom
grossen Krieg der Planungsstaebe trennen und auf seinen Kleinkrieg
beschraenken, aber per GPS auch wieder in die globale Lage einklinken
(fuer die das G von GPS ja steht).

Waere das nicht ein Modell, von dem auch unsere Differenzen zwischen
Grosslage und Privatmeinung lernen koennten?
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