Ars Electronica 99
Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft
LifeScience
4. - 9. 9. 99


english version Deutsche Fassung Pictures

Presse-Information
Linz, April 1999

Ars Electronica 99 Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft

20 Jahre Ars Electronica geben nicht nur Anlaß zu einer analytischen Rückschau auf 20 Jahre digitaler Medien- und Kunstentwicklung. Vielmehr ist das Jubiläum eine Aufforderung, einen Vorausblick zu leisten auf den nächsten großen Entwicklungsschritt. Was wird der digitalen Informationstechnologie folgen? Mit dem heurigen Festival beginnt die Ars Electronica, ihren Themenschwerpunkt im Bereich der modernen Bio- und Gentechnologie zu verankern. Damit folgt das Festival seiner Tradition, jene Zonen zu fokussieren, in denen sich Konflikte im Spannungsfeld von Technologie und Gesellschaft entwickeln.


LifeScience

An der Schwelle zum Jahr 2000 wird, ganz dem Selbstverständins der Ars Electronica entsprechend, der Blick in die Zukunft gerichtet. In bewährter Verschränkung von theoretisch-wissenschaftlicher und künstlerischer Auseinandersetzung richtet die Ars Electronica 99 unter dem Titel LifeScience ihr Augenmerk auf die Schlüsseltechnologien der kommenden Dekaden. Auf die Errungenschaften der digitalen Informationstechnologie aufbauend, steuern Bio- und Gentechnologie auf eine Neudefinition unserer Zukunft zu.

Life Science, ein Begriff, der für weite Wissenschaftsbereiche der Bio- und Gentechnologie verwendet wird, drückt in seiner Übersetzung "Wissenschaft vom Leben" sehr deutlich fundamentale Verbindungen zu kulturellen und philosophischen Fragestellungen aus. Neben dem Symposium als Kernstück der Ars Electronica 99 wird sich auch die Kunst in ihren unterschiedlichen Bereichen mit dieser Thematik auseinandersetzen.

Symposium LifeScience
5. - 6. 9. 99, Brucknerhaus Linz

Die Informationstechnologie, lange Zeit zukunftsweisende Leittechnologie, ist zum entscheidenden Werkzeug geworden, mit dem die Biologie in tatsächlich neue Bereiche vorstoßen kann. Speziell der Gentechnologie eröffnen sich, ausgestattet mit den Errungenschaften des Computerzeitalters, Möglichkeiten, die hart an die Grenzen und Tabus unserer Kultur stoßen. Keine andere Wissenschaft ist heute größerer Hoffnungsträger als die Gentechnologie - und gleichzeitig einer der kontroversiellsten Forschungsbereiche. Folgt auf die digitale Revolution die biologische Revolution? Das Symposium LifeScience lenkt den Blick auf die neuen Konfliktpotentiale und Konfliktzonen im Spannungsfeld von Technologie und Gesellschaft. Fokussiert wird das aktuelle Szenario der Wissenschaft und Wirtschaft rund um die Gene. Mit Wissenschaftlern und Künstlern erfolgt eine Annäherung an den weiten Bereich der Life Sciences aus verschiedenen Perspektiven sowie eine Auseinandersetzung mit den von der Gentechnologie aufgeworfenen kulturphilosophischen, gesellschaftspolitischen und metaphysischen Fragen.

Ideologie und Wissenschaft

Biologischer Determinismus
Wie keine andere Wissenschaft ist die Biologie immer schon als ideologisches Werkzeug mißbraucht worden, um Geschlechter- und Rassentheorien und daraus resultierende Machtverhältnisse zu rechtfertigen. In der derzeit praktizierten öffentlichen Rezeption der Bio- und Gentechnologie steckt die Gefahr einer Zementierung der Prinzipien des biologischen Determinismus. Die bedenklich vereinfachte Hochstilisierung der Gene als "Code des Lebens", der alle Eigenschaften eines Lebewesens vorbestimmt, verführt zu simplen Erklärungsmustern. So besteht bei der Frage "Vererbt oder anerzogen?" heute wieder die Tendenz zu einer Überbewertung der Vererbung. Aber wäre nicht die technologische Anwendung von Genetik im Sinne der manipulierenden Gentechnologie ein hervorragender Weg, den Ideologien des biologischen Determinismus Argumente entgegenzuhalten? Denn wenn es biologische Unterschiede (z. B. zwischen Männern und Frauen) tatsächlich gibt, gleichzeitig aber die technische Möglichkeit besteht, diese zu verändern, erlischt jeder Anspruch, daraus gesellschaftliche Ordnungs- und Machtverhältnisse abzuleiten. Nur etwa ein Prozent seiner Gene unterscheiden den Menschen von seinem "Vorfahren", dem Affen. Dies scheint zu untermauern, daß nicht die "natürliche" genetische Determinierung, sondern die kulturelle Prägung des Menschen hauptsächlich darüber entscheidet, was er ist und wie er ist.

Industrielle Bearbeitung des Lebens
Wurde bisher die materielle Umwelt "bewirtschaftet", stößt die Bio- und Gentechnologie nun in die industrielle Bearbeitung des Lebens selbst vor. So werden in einem industriell bereits bestens etablierten Sektor der Gentechnologie Enzyme manufakturiert und Mikroben designt, die einem ganz speziellen Zweck dienen sollen, so z. B. der Erdölförderung oder dem bakteriellen Abbau von Problemstoffen. Mit der Industrialisierung des gentechnologischen Zugriffs auf die Grundelemente des Lebens drängen sich grundlegende kulturelle und philosophische Fragen auf. Bedenkt man das Ausmaß der Veränderungen, die sich mit der Informationsrevolution (mit der verstärkten Auseinandersetzung mit Information statt mit Material) abzeichnen, kann man vielleicht erahnen, welche Auswirkungen eine industrielle Auseinandersetzung mit dem Leben und seine Vermarktung haben wird. Dies wird in bisher unbekannten Ausmaßen unsere Kultur verändern, unser Denken und unser Menschenbild.

Biobusiness
Die Gentechnologie entwickelt sich zu einem wesentlichen Wirtschaftsfaktor. Bestimmt vom Interesse, Gewinn zu erzielen, florieren die Life Science Bereiche Agribusiness (GenFood, Functional Food) und Pharmabusiness/Medizin. Die Logik der wirtschaftlichen Rentabilität fordert ein "Patentieren von Leben". Patentieren meint hier nicht nur die Copyright-Zuschreibung für Erfindung oder Entwicklung gentechnisch veränderter Lebensformen. Kritisches Potential enthält vielmehr die Patentierung von Lebensformen alleine durch ihre Entdeckung, aufgrund ihrer genetischen Entschlüsselung. So werden zur Zeit etwa Unsummen investiert in die wissenschaftliche Erfassung des Tier- und Pflanzenreichs der Regenwälder - mit der Option auf die Vermarktung der Stoffe, die sich als pharmazeutisch und medizinisch relevant erweisen. Patentiertes Leben als Garant der totalen Vermarktung? Internationale Großkonzerne drängen darauf, Ergebnisse kostspieliger Forschungs- und Laborarbeit durch Patentierung ökonomisch abzusichern. Vehement drängt sich dabei die Frage auf: Wer hat das Recht auf Leben?

Agribusiness - Gen Food
Die Landwirtschaft steuert zu auf eine Industrialisierung in ganz neuem Maßstab. Mit der agrikulturellen Anwendung von Gentechnologie zeichnet sich eine landwirtschaftliche Revolution von globalökonomischer Bedeutung ab. Die Patentierung gentechnisch manipulierter Pflanzen durch Agrochemie-Großkonzerne bringt diesen nicht nur höhere Gewinne, sondern auch wachsende Kontrolle über Saatgutmarkt und Lebensmittelindustrie. Neue ökonomische Abhängigkeiten entstehen, von denen Entwicklungsländer - die von gentechnisch verbessertem Saatgut gleichzeitig am stärksten profitieren könnten - besonders fatal betroffen sind. Gentechnologische Maßnahmen in der Landwirtschaft als größte Hoffnungspotentiale gegen den Welthunger erweisen sich im Lichte der Gen-Patentpolitik als zweischneidig. Umweltorganisationen warnen zum Teil grob pauschalisierend vor noch nicht abschätzbaren Langzeitfolgen und Nebenwirkungen gentechnisch manipulierter Organismen auf Gesundheit und Umwelt. Unkontrollierter Gentransfer stellt dabei eine der bedrohlichsten Gefahrenquellen dar.

Pharmabusiness - Medizin

Keine Anwendungsbereiche der Gentechnologie lassen euphorischere Hoffnungen aufkommen als Pharmazie und Medizin. Vielfach durch Medienberichte zum Wunderheiler mystifiziert, werden von der Gentechnologie neue Medikamente, neue Therapien und Behandlungen vor allem gegen Krebserkrankungen und AIDS erwartet. Die tatsächlichen Erfolge scheinen hinter den eröffneten Möglichkeiten allerdings nachzuhinken. Pränatale Gen-Test und eine bereits praktizierte Vorselektion potentieller Menschen nach künstlicher Befruchtung stoßen an die Grenzen dessen, was bisher als ethisch und moralisch vertretbar galt. Wie die Reproduktionsmedizin werfen auch Xenotransplantationen ethische, moralische und methaphysische Fragen auf. Wissenschaftlern ist es bereits gelungen, Haut-, Knochen- oder Muskelzellen im Labor wachsen zu lassen. Wo ist die Grenze zum Leben, wenn in Labors menschliche Organe - idealerweise aus eigenen Zellen der Patienten - erzeugt werden, die als Ersatzteillager für Transplantationen dienen? Oder wo sind die Grenzen der Verantwortlichkeit, wenn etwa Schweineherzen als Ersatzorgane für Menschen gentechnisch adaptiert werden? Wann wird der geklonte Mensch, der theoretisch bereits möglich ist, Realität? Der neue Mensch - nach Normen vorselektiert und aus sich selbst reproduzierbar - Horror oder Ideal?

Genetischer Fingerprint - Gläserner Mensch
Der Traum vieler Sicherheitskräfte und Kriminalisten, die Täterüberführung mittels DNA-Identität in Form des Genetischen Fingerprints, sorgt zur Zeit für sensationelle Meldungen. Verbrechen, die Jahrzehnte zurückliegen, können nun gelöst werden. Gendatenbanken von Straftätern produzieren Sicherheit, aber Sicherheit ist relativ. Sind die nationalen Gendatenbanken, die zunächst nur Kriminelle erfassen sollen, Ausgangspunkt für die genetische Erfassung der Gesamtbevölkerung? Als Mittel der Identifizierung und Überwachung stoßen Gendatenbanken nicht erst dann an Menschenwürde und Datenschutz, wenn potentielle Arbeitgeber oder Versicherungskonzerne Zugriff erhalten und die genetischen Profile mit anderen Daten verknüpft werden. Vehement stellt sich außerdem die Frage: Wie zuverlässig sind die Methoden der DNA-Analyse?

Wissenschaftskultur und Wissenschaftskritik
Das Potential für spektakuläre Schlagzeilen aus der Informationstechnologie läßt nach und hinterläßt einen Leerraum, den die Berichterstattung über Bio- und Gentechnologie mit Euphorie neu besetzt. Wie nie zuvor besteht eine öffentliche Gier nach Sensationsmeldungen aus der Wissenschaft, genährt durch die hoffnungsvolle Einstellung, daß Wissenschaft und Technologie die entscheidenden Lösungsansätze für die zukünftige Prosperität unserer Gesellschaft liefern werden. Euphorie auf der einen und Hysterie auf der anderen Seite medialer und öffentlicher Gentechnik-Rezeption erschweren einen rationalen Umgang mit der Thematik. Im Zeitalter der Beschleunigung, das die soziokulturellen Adaptionszyklen auf technologische Neuerungen mehr und mehr verkürzt, sind wir zunehmend gefordert, eine Kultur der Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Errungenschaften zu entwickeln. Die aktuelle Diskussion um Bio- und Gentechnologie zeigt, wie wichtig und gefordert ein transparenter und offener Diskurs ist. Ars Electronica 99 wird versuchen, diesen Diskurs an der Schnittstelle von Technologie, Gesellschaft und Kunst voranzutreiben.

20 Jahre Ars Electronica
Symposium: 4. 9. und 9. 9. 99

Kontinuierlich seit 1979 reflektiert und analysiert Ars Electronica den soziokulturellen Wandel, der von den digitalen Technologien ausgeht. 20 Jahre Ars Electronica sind Anlaß zu einer Archäologie der künstlerischen wie technischen Entwicklung digitaler Medien, markiert diese Zeitspanne doch das Entstehen der globalen Informationsgesellschaft, die längst bestimmender Zustand unserer Kultur ist.

Die analytische Nachzeichnung dieser Entwicklung stellt einen Schwerpunkt der Ars Electronica 99 dar. Anstatt einen nostalgischen Rückblick zu zelebrieren, werden kritische Fragen gestellt: Wie haben sich künstlerische Praxis und Theorie, das Selbstverständnis der Künstler und vor allem die Wahrnehmung der künstlerischen Arbeitsweisen im Zuge des technischen Wandels und der damit einhergehenden kulturellen Assimilation verändert? Diese Fragen sind Ausgangspunkt für theoretische und künstlerische Auseinandersetzungen in Form von Projekten, Ausstellungen und Sondersymposien. Am 4. 9. findet im Brucknerhaus ein Symposium mit Theoretikern und Künstlern statt, die wesentlich am Aufbau der Ars Electronica beteiligt waren. Zu einer Gegenüberstellung dieser "Pioniere" und der jungen Avantgarde der digitalen Medienkunst kommt es in Form eines Symposiums am 9. 9. 99.

LifeScience on the Web: http://www.aec.at/lifescience


Ars Electronica 99
Organization: Ars Electronica Center Linz and ORF - Upper Austrian Regional Studio
Co-organizers: Brucknerhaus Linz, O.K. - Center for Contemporary Art



Ars Electronica 99
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