LifeScience

I.

1979 begann mit dem ersten Festival für Kunst Technologie und Gesellschaft die Suche nach den kulturellen Entsprechungen des technologischen Wandels, das Unterfangen, den Prozeß der Kultur- (und wohl auch Kult-)werdung der neuen Technologien zu analysieren und Möglichkeiten seiner Gestaltung zu finden.

In den 20 Jahren seither hat sich das Projekt Ars Electronica - der ständigen Veränderung verpflichtet - in unterschiedliche gesellschaftliche Domänen ausgebreitet und damit Modellcharakter für den zeitgemäßen Umgang mit Kunst erlangt: einer Kunst, die für die Grenzüberscheitungen von KünstlerInnen steht, die in den digitalen Technologien gleichermaßen Werkzeug, Material und Thema ihrer Arbeit finden. Einer Kunst, die sich aber auch der Neuordnung unserer Gesellschaft annimmt, sich als eine ihrer unmittelbaren Folgen begreifend in die Transformationsprozesse einmischt, an ihnen beteiligt und sie als wesentlicher Faktor gesellschaftlicher Innovation vorantreibt.

Zum Festival kam 1987 der Prix Ars Electronica als Forum künstlerischer Leistungen und Innovationen sowie als Trendbarometer einer expandierenden und sich zunehmend diversifizierenden Medienkunstwelt. 1996 wurde das Ars Electronica Center eröffnet, als Antwort auf das steigende öffentliche Interesse und als Prototyp eines neuen Ortes der Kunst, als Strategie zur Entwicklung adäquater Formen ihrer Produktion, Vermittlung und Rezeption. Neben dem Museum der Zukunft als Anziehungspunkt einer breiten Öffentlichkeit kommt dabei vor allem dem Ars Electronica Futurelab eine besondere Rolle zu. Im Zusammentreffen von wissenschaftlicher und künstlerischer Kompetenz stellt es nicht nur die notwendige Infrastruktur für das "Ars Electronica Research and Residency Program", sondern ist auch ein erfolgreiches Experiment für die Praxis der Interdisziplinarität.

Diese 20 Jahre markieren aber auch das Entstehen einer globalen Informationsgesellschaft als bestimmenden Zustand unserer Zivilisation. Die Prozesse der kulturellen Assimilation und Adaption dieser neuen Realität bleiben eine stehende Herausforderung, deren vielfache Problemstellungen hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Neuordnung noch längst nicht alle formuliert sind. Dennoch, die Vektoren dieser Entwicklung sind bestimmt, und so sind 20 Jahre Ars Electronica natürlich auch Anlaß zur Archäologie der künstlerischen und technischen Entwicklung, aber vor allem auch Anlaß, darauf zu blicken, was der digitalen Informationstechnologie - auf ihren Errungenschaften aufbauend - folgen wird.

Im Windschatten der technologischen Neuerungen hat sich die Biologie an die Spitze der Schlüsseltechnologien der kommenden Dekaden katapultiert. Molekularbiologen und Gentechnik-Ingenieure haben, ausgestattet mit den infotechnischen Werkzeugen des Computerzeitalters, Tore aufgestoßen, deren Schwellen vielfach Grenzen und Tabus unserer Kultur markieren, auf deren Überschreitung sich aber zunehmend die Erwartungen und Hoffnungen auf die weitere Prosperität unserer Zivilisation orientieren.

Außer Zweifel steht das ernstzunehmende Gefahrenpotential, insbesondere da zu erwarten ist, daß sich über die wissenschaftliche Beschäftigung hinaus nun auch alle ökonomischen und industriellen Anstrengungen - und zwar in dem Ausmaß, in dem wir bisher damit beschäftigt waren, unsere materielle Um- und Außenwelt zu meistern, zu bearbeiten und zu bewirtschaften - auf das Leben, auf die Wissenschaft vom Leben konzentrieren werden.

Daß dabei die Grundlagen des Lebens in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gelangen, kann aber auch der Beginn einer neuen Kultur im Umgang damit werden. Die Vorstellung, (auch menschliches) Leben über die morphologische Ebene des Körpers hinaus formen und in seinen Anlagen und Talenten konstruieren zu können, erzwingt neue Perspektiven auf dessen Grenzen, seine soziale und metaphysische Konstitution. Eine Herausforderung auch an die Kunst.

Ars Electronica 99 wird unter dem Titel Life Science die Auseinandersetzung mit dieser neuen Herausforderung aufnehmen. Eine Auseinandersetzung, die - in der Tradition der Ars Electronica - vor allem auch zwischen den unterschiedlichen Konzepten von Künstlern und Wissenschaftlern stattfinden wird.


II.

LifeScience

Ideologie und Wissenschaft

Es bedarf keiner Trendforschung, um festzustellen, welches Thema zur Zeit die öffentliche Diskussion über Fortschritt und Zukunft bestimmt. Nach der industriellen und der digitalen Revolution - von der Dampfmaschine über die Atombombe bis zum Internet - wird nun die biologische Revolution ausgerufen. Angespornt von den Erfolgsstories der Informations- und Computertechnologien und den sagenhaften Börsengewinnen ihrer Protagonisten haben Meldungen aus Wissenschaft, Forschung und Technologie als Nachrichten aus der "Welt der Wunder" Schlagzeilenstatus erhalten und in ihrem Sensationswert mit Naturkatastrophen und Sportevents gleichgezogen. Verheißungsvolle Versprechungen, die nur zu genau die Träume unserer Hochleistungsgesellschaft vom gesunden, schönen und langen Leben treffen. Die weltweit prognostizierten Entwicklungen lassen den Verzicht auf diese Errungenschaften kaum als reale Option erscheinen, und viele postulieren es geradezu als moralischen Imperativ, angesichts von Hunger und Krankheit jedes technische Mittel zur Lösung dieser Probleme zum Einsatz zu bringen.

Und so gilt Life Science, der Begriff, unter dem man die modernen Gen- und Biotechnologien zusammenfaßt, nicht zu unrecht als sicherer Anwärter auf das Attribut, 'die' Schlüsseltechnologie der kommenden Dekaden zu werden. Molekularbiologen und Gentechnik-Ingenieure haben, ausgestattet mit den infotechnischen Werkzeugen des Computerzeitalters, Tore aufgestoßen, deren Schwellen vielfach Grenzen und Tabus unserer Kultur markieren, auf deren Überschreitung sich aber zunehmend die Erwartungen und Hoffnungen auf die weitere Prosperität unserer Zivilisation orientieren.

Außer Zweifel steht das gesellschaftspolitische und auch kulturelle Potential. Ist doch abzusehen, daß sich über die wissenschaftliche Beschäftigung hinaus auch alle ökonomischen und industriellen Anstrengungen in dem Ausmaß, in dem wir bisher damit beschäftigt waren, unsere materielle Um- und Außenwelt zu meistern, zu bearbeiten und zu bewirtschaften, nun auf das Leben selbst, auf seine konstituierenden Grundlagen, konzentrieren werden.

Die Vorstellung, (auch menschliches) Leben über die morphologische Ebene des Körpers hinaus zu formen und in seinen Anlagen und Talenten konstruieren zu können, erzwingt neue Perspektiven auf dessen Grenzen, auf seine soziale und metaphysische Konstitution.

Wie keine anderen Wissenschaften sind Genetik und Biologie immer auch als Werkzeuge für Ideologie und Machtansprüche gebraucht worden und in der Interpretation ihrer Erkenntnisse vorbelastet.

Bei den Bio- und Gentechnologien finden wir uns zudem mit einer Domäne konfrontiert, die hoch oben, in den luftarmen Regionen weniger Experten, angesiedelt ist. Eine Tatsache, die angesichts der nachhaltigen Dimension der anstehenden gesellschaftlichen und politischen Entscheidungen auch zu einem demokratiepolitischen Prüfstein werden wird. Zwischen der Arroganz der Wirtschaft und der Ignoranz der Politik bleibt der Mensch allein mit dem Dilemma, verführt von den Hoffnungen auf die Heilung aller Krankheiten und verunsichert durch die Ängste vor einem biologischen Armageddon (legitime Ängste angesichts von Bhopal, Tschernobyl, BSE ...).

Eine Situation, in der wir eine Wissenschaftskultur und -kritik brauchen, die sich vom Mythos der neutralen Erkenntnisse und Fakten verabschiedet.

Erfahrungen und Methoden der Medienkunst können uns dabei helfen.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit in einer modernen, pluralistischen Gesellschaft und künstlerische Intervention, die über moralisierende political correctness hinaus am gesellschaftlichen Diskurs über Fortschritt und Innovation teilnimmt.

Wenn Ars Electronica mit dem diesjährigen Festival beginnt, Themenschwerpunkte im Bereich der modernen Biotechnologien zu verankern, markiert dies eine Neuorientierung, aber auch die Fortführung einer langgeübten und erfolgreichen Praxis: das Augenmerk dorthin zu lenken, wo sich Konflikte im Spannungsfeld von Technologie und Gesellschaft entwickeln. Kunst als Interface und als Katalysator für die Interaktion von Öffentlichkeit und Wissenschaft zur Wirkung zu bringen.

 

Gerfried Stocker