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Ars Electronica 1980
Festival-Programm 1980
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Linzer Klangstraße


'Michael Jüllich Michael Jüllich

Dienstag, 9. September 1980, bis Samstag, 13. September 1980
8.00 bis 20.00 Uhr, Linzer Hauptplatz

Michael Jüllich
LINZER KLANGSTRASSE

Die Linzer Klangstraße wurde von Michael Jüllich, Essen, in Zusammenarbeit mit der VOEST-ALPINE AG, Linz, gestaltet.


Die "Linzer Klangstraße" ist ein musikalisches Projekt der kreativen Ermunterung. Die "Linzer Klangstraße" auf dem Hauptplatz soll nicht nur die Bevölkerung zu kreativen Aktivitäten anregen, sondern gleichzeitig auch eine Verbindung zwischen der VOEST-ALPINE, dem in Linz ansässigen größten Industrieunternehmen in Österreich, und der Linzer Bevölkerung herstellen. Das gesamte Projekt ist in Zusammenarbeit mit der Stadt Essen und der VOEST-ALPINE, Linz, von Michael Jüllich aus Essen erstellt worden.

Die "Linzer Klangstraße" setzt sich aus drei Elementen zusammen.

  1. Fünf Volksmelodieorgeln aus der Essener Klangstraße
    "Am Brunnen vor dem Tore"
    "Tammerkosken sillalla"
    "Kein schöner Land"
    "Glück auf, der Steiger kommt"
    "Horch, was kommt von draußen rein".

    Die Röhrenglockenspiele bestehen aus herkömmlichem Stahlrohr (32,8 mm Durchmesser und 2,6 mm Wandungsstärke), verwendet als Wasserrohr, Gerüstrohr etc., und aus normalem U-Profileisen, also aus in der Industrie gebräuchlichen Werkstoffen. Sie wurden komplett verzinkt und somit für mehrere Jahre haltbar gemacht. Wenn die Röhren in der angegebenen Reihenfolge vom Publikum angeschlagen werden, ertönen bestimmte Volksmelodien.


  2. "Linzer Klangtunnel"
    In mehrwöchiger Arbeit im Verlauf des Jahres 1980 hat Michael Jüllich bei der VOEST-ALPINE, Linz, zusammen mit Ausbildungswesen–Lehrwerkstätte, den "Linzer Klangtunnel" als Originalinstrument aus der VOEST-ALPINE, entworfen und gebaut. In 32 Ständen hängen ca. 150 Bleche und Stahlplatten, große, kleine, dicke, dünne (0,5–10 mm Stärke, 175x175 cm groß oder so klein wie Xylophonstäbe). Der Klangtunnel besteht aus zwei gegenüber aufgebauten Ständerreihen. Er ist 30 m lang und ca. 3 m breit. Die Klangplatten werden in Farbtönen von dunkel (blau) bis hell (gelb) in den Regenbogenfarben lackiert. Die 0,5 mm starken Donnerbleche in der Mitte des Klangtunnels sind in ihrer Naturfarbe – Silber – ebenso wie alle Ständer lackiert. Der Passant macht auf dem 30 m langen Weg durch den Klangtunnel eine Klangerfahrung. Zuerst kommen die großen Bleche – dumpfe, undefinierbare Klänge. Dann die 5-Ton-Spiele (Gamelanmusik ähnlich) – erste Wiedererkennungswerte: "Das sind Töne, das ist Musik, hier fühl ich mich wohl." In der Mitte sind ganz kleine Stahlstäbe (dem Xylophon ähnlich), die sogar eine ganze chromatische Oktave wiedergeben (also all das, was wir durch Erziehung als Musik bezeichnen). Dann, als Signal, die Donnerbleche. Der Weg zurück – die Klangplatten (ab hier sind sie anerkannte Musikinstrumente) werden wieder größer, bis hin zu den wie am Anfang großen Blechen. Am Ende des Weges könnte die Erfahrung stehen, daß es nicht nur eine einzig wahre Musik gibt, sondern unendlich viele fantastische Möglichkeiten von Tönen, Klängen und Musiken.


  3. "Klanggasse" aus Essen – Musik mit den Füßen
    Dieses Instrument wurde von Michael Jüllich für die Spiel- und Klangstraße 1980 in Essen gebaut. Bei der "Klanggasse" können die Passanten einen Weg von 10 m Länge und 1 m Breite abgehen. Wenn verschiedene in den Boden eingelassene Pedale berührt werden, erklingen zwei chromatische Oktaven Gongs.
Michael Jüllich über die Zielsetzungen der "Linzer Klangstraße". Was möchte er mit der "Klangstraße" erreichen?

"Zuerst einmal möchte ich sagen, daß schon diese Fragestellung diktatorisch ist (Schulschema: Ziel erreicht – nicht erreicht; Operation geglückt – Patient tot). Natürlich habe ich eine Zielsetzung, die sich über die Jahre meiner musikalischen Arbeit aufgebaut hat und mir auch logisch erscheint. Aber, trifft das auch auf den zufällig am Hauptplatz vorbeikommenden Menschen zu? Hier ergibt sich schon das allen Kunstformen eigene Problem. Der Autor sieht sich und seine Arbeit als normal, natürlich und wichtig an. Derjenige, für den (oder für den auch nicht) diese Kunst gemacht ist, fragt sich wieso, weshalb, warum. WAS IST KUNST? Also kann mein Anspruch (= Ansprechen) nur ein möglicher Anspruch an die Mitmenschen sein ohne Erwartungshaltung den anderen gegenüber. Die Menschen, die vom 9. bis 13. September 1980 den Hauptplatz in Linz betreten, müssen nicht – sondern können – die dortige Klangstraße begehen, befühlen, sehen, hören, erfahren.

Nur zur Erläuterung der Möglichkeit: Vielen Künstlern wird es schon passiert sein, daß sie nicht verstanden werden – mir ebenfalls. Das führt meistens in die Isolation. Auf der einen Seite gibt es dann die 'Unterkunst' (tradierte Werte, Musiken, Bilder) – Unterhaltung. Auf der anderen Seite die 'Intellektuellen' (Suche nach Neuem, Verbesserung, Zerstörung, Infragestellen). Ich finde, beides hat seinen Wert. Das, was wir heute tun, basiert auf der Tradition. Unsere Lebenschance wäre aber vertan, wenn aus dem Zusammentreffen von Tradition und Mensch nicht ein neues Ding entstehen würde. Durch die Technisierung des Lebens haben aber die tradierten Werte ein quantitatives Übergewicht erhalten (Beispiel Musik: Schallplatten, Fernsehen, Hitparaden, Karajan, ja sogar 'Anton Bruckner'?!). Die Isolation der Kreativität ist umso größer. Hier muß nun etwas passieren. Und zwar müssen wir – die 'Künstler' – den ersten Schritt tun. Öffnung nach außen. Diskussion. Erklärung. Im optimalen Fall eigenes schöpferisches Tun. Ohne die Eigenbeteiligung des Passanten funktioniert die Klangstraße nicht. Hier wird nicht konsumiert, sondern selbst geschaffen – erschaffen).

Hieraus nun in ganz knapper Form die zwei Thesen:
EIGENES ERLEBEN = LEBEN – MACHEN – KÖNNEN – KUNST
EIGENES ERLEBEN = ERFAHRUNG FÜR FREMDES (ERLEBTES DES KÜNSTLERS = VERSTÄNDNIS."