SandScape
Eine beleuchtete Werkbank für Landschaftsdesign
2002
Hiroshi Ishii (US) (JP) Ben Fielding Piper Yao Wang Assaf Biderman Tangible Media Group Carlo Ratti (IT) (US)
"SandScape", ein taktiles Interface, erleichtert mit Hilfe verschiedenster Computersimulationen das Verständnis für die Entstehung von Landschaften. Die projizierte Landschaft kann interaktiv verändert werden, indem das reale Sandmodell manipuliert wird. Die Resultate werden in der Simulation computeranalysiert und -generiert und in Echtzeit auf die Sandoberfläche rückprojiziert. Dieses Projekt ist Teil einer Forschungsreihe für neue Computerinterfaces, die "Tangible User Interfaces". Es nutzt unser natürliches Verständnis für physische Formen, um die Arbeit mit Computermodellen und digitaler Simulation zu erleichtern.
"SandScape" ist eine materielle Schnittstelle, die es mithilfe verschiedener Computersimulationen ermöglicht, die Landschaft zu gestalten und zu erforschen. Die Benutzer sehen diese Simulationen, während diese auf die Oberfläche eines Sandmodells projiziert werden, das die Landschaft darstellt. Den Benutzern steht eine Vielzahl verschiedener Simulationen zur Verfügung, die Höhe, Neigung, Konturen, Schatten, Drainage oder Perspektive des Landschaftsmodells hervorheben.
Nun können die Benutzer die Form des Landschaftsmodells verändern, indem sie den Sand manipulieren. Dabei können sie die Auswirkungen der generierten Computeranalysen, die in Echtzeit auf die Sandoberfläche projiziert werden, unmittelbar sehen. Dieses Projekt zeigt eine alternative Form der Computerschnittstelle (die so genannte Tangible User Interface - TUI), die sich einerseits unsere natürliche Fähigkeit, physische Formen zu verstehen und zu manipulieren, und andererseits die Leistungskraft von Computersimulationen zunutze macht.
Die Funktion des Systems basiert darauf, dass es die Oberflächengeometrie des Sandmodells erfasst. Die Beleuchtung erfolgt durch eine (unsichtbare) starke Infrarotlichtquelle von unten. Eine monochrome Infrarotkamera, die über dem Modell montiert ist, zeichnet die Intensität des Lichts auf, das das Modell durchdringt. Anhand des Bildes des von der Infrarotkamera erfassten Sandmodells kann die Oberflächengeometrie des Modells bestimmt werden. Dieses Bild wird dann als Information für verschiedene Bildanalysefunktionen verwendet, die der Berechnung von Höhe, Neigung, Konturen, Schatten, Drainage und Perspektive des Modells dienen. Die so entstandenen Analysen werden auf die Sandoberfläche zurück projiziert.
Entstehungsgeschichte
"SandScape" wurde im Sommer 2002 von der Tangible Media Group am MIT Media Lab entwickelt. Als Grundlage dienten mehrere vorhergehende Forschungsprojekte wie "Urban Planning Workbench", "CADcast" und vor allem "Illuminating Clay".
"The Urban Planning Workbench" (Underkoffler und Ishii, Veröffentlichung CHI 99) bediente sich eines ähnlichen Ansatzes, bei dem physische Objekte als Hauptinteraktionsmittel mit den Computersimulationen der urbanen Landschaft verwendet wurden. Dieser Ansatz war jedoch insofern Einschränkungen unterworfen, als er keine Veränderungen der Form der physischen Objekte zuließ, die von dem System erkannt werden sollten.
Das Konzept von "CADcast" (Piper and Ishii, 01, unveröffentlicht) wurde entwickelt, um Veränderungen der zu erkennenden physischen Form zu ermöglichen, aber erst als in "Illuminating Clay" (Piper, Ratti und Ishii, veröffentlicht CHI 02) ein Laserscanner verwendet wurde, führte dieser Ansatz zu einer funktionierenden Schnittstelle.
"Illuminating Clay" ermöglicht es, die physische Geometrie jeder Form für Analysezwecke zu erfassen. Mit einem Preis von rund $45.000 erwies sich der Laserscanner jedoch für Vervielfältigungszwecke als zu teuer. Daher wurde für "SandScape" eine alternative und billigere Technologie der Hintergrundinfrarotbeleuchtung entwickelt.
Konzept
Ziel von "SandScape" ist es, die Leistungskraft der Computersimulation mit der greifbaren Unmittelbarkeit physischer Modelle zu kombinieren. "SandScape" vereinigt in sich viele Vorteile der physischen und der digitalen Darstellung.
Das physische Sandmodell vermittelt die räumlichen Beziehungen in der Landschaft und nutzt die inhärenten Fähigkeiten des Planers, von Hand Formen zu schaffen und zu manipulieren. Dieser Ansatz vermittelt den Benutzern einen unmittelbaren Überblick über höchst komplexe Topografien, deren Verständnis normalerweise zeitraubend ist und deren Darstellung mithilfe konventioneller CAD-Werkzeuge übermäßige Präzision erfordern würde.
Die projizierten Grafiken vermitteln dem Benutzer einen Echtzeiteindruck davon, welchen Einfluss geometrische Veränderungen der Landschaft auf komplexe Systeme wie Drainage, Sonnenlicht und Neigungsbedingungen haben. Während andere Projekte einen ähnlichen Ansatz zur Kombination physischer und digitaler Darstellungen verfolgen, bietet "SandScape" einen neuen Beitrag, indem es die Oberflächengeometrie des Modells selbst als Schnittpunkt für die Ein- und Ausgaben verwendet.
Intuition und Mathematik
Landschaftsdesigner zeichnen sich durch ein intuitives Verständnis von Erde, Wasser, Wind, Sonnenlicht und anderen natürlichen Systemen aus, das sie durch jahrelange Erfahrungen und Interaktionen mit der physischen Welt entwickelt haben. Trotzdem basieren ihre Annahmen über das Verhalten bestimmter Elemente auf Interaktionen, die sie anhand einer menschlichen Erfahrungsskala beurteilen. Es ist und bleibt ungeheuer schwierig, das Verhalten eines Elements im Maßstab einer Landschaft intuitiv vorauszusagen.
Weit effektiver ist die mathematische Darstellung dieser nicht-menschlichen Maßstabsysteme und die Anwendung von Analysen auf diese mathematischen Modelle. Diese Funktionen werden allgemein durch eine Gruppe gegebener Variablen kontrolliert, die numerisch angepasst werden können. Während dieser Ansatz die Vorteile der Genauigkeit und der quantitativen Kontrolle bietet, schränkt er den Wert mathematischer Modelle im Planungsprozess ein.
"SandScape" unterstützt die intuitive Interaktion durch die mathematische Darstellung von Landschaftselementen, indem es dem Planer die Möglichkeit bietet, die Ergebnisse einer direkten Manipulation der physischen Landschaftsmodelle zu beobachten. Durch die materielle Erlebbarkeit der mathematischen Modelle, die in Echtzeit auf greifbare Manipulationen reagieren, beginnt der Benutzer ein intuitives Verständnis nicht-menschlicher Maßstabsysteme zu entwickeln, die in der physischen Welt niemals erfahren werden können.
Soziale Interaktion
Aufgrund der gegebenen Größenordnung erfordert Landschaftsgestaltung die Zusammenarbeit vieler Experten. Dazu gehören Spezialisten der Bereiche Erdbau, Wassermanagement, Agrarmanagement, Bodenökonomie, Recht und Transportinfrastruktur, um nur einige wenige zu nennen. "SandScape" bietet eine Zusammenarbeitsplattform in Form eines Arbeitstischs. Darauf lassen sich zahlreiche Darstellungsformen zu einer einzigen Planungsumgebung zusammenfassen, die den vielen Spezialisten, die an einem bestimmten Landschaftsgestaltungsproblem arbeiten, Möglichkeiten zur intensiveren Zusammenarbeit geben.
Außerdem bietet "SandScape" Nicht-Experten die Möglichkeit, sinnvolle Beiträge zum Planungsprozess zu leisten. Landschaftliche Interventionen haben unvermeidliche Auswirkungen auf viele Menschen, die an dem betroffenen Standort oder in seiner Nähe leben. Dank der Einfachheit und Unmittelbarkeit der physischen Landschaftsmodelle, die für "SandScape" verwendet werden, können auch Nicht-Experten bei gemeinschaftlichen Planungsübungen direkt mit den Landschaftsplanern zusammen arbeiten.
Der zeitgemäße Arbeitsplatz
Der Computer ist heute in praktisch allen physischen Planungsbereichen als Planungshilfe akzeptiert. Die Faktoren, die zu dieser breiten Akzeptanz geführt haben, haben einerseits mit den Vorteilen der Digitalität und andererseits mit den Nachteilen der Nicht-Digitalität zu tun. Planer, die nicht wie ihre Konkurrenten sofort die neuesten Technologien einführen, müssen befürchten, verdrängt zu werden. Dabei spielen die Qualität der Planung oder die Wünsche der einzelnen Planer keine Rolle, da Marktkräfte, Effizienz und wirtschaftliche Einsparungen derzeit die stärksten Triebfedern der technologischen Entwicklung sind.
Heute ist es üblich, dass Planer fast den ganzen Tag lang vor dem Computer sitzen. Maus und Tastatur sind zu den wichtigsten Arbeitswerkzeugen geworden. Während dies auf der einen Seite kurzfristig Effizienz und Produktivität erhöht hat, ist klar, dass CAD auf lange Sicht die Erwartungen immer höher hinaufschraubt, so dass die Planer heute schneller, härter und effizienter arbeiten müssen als je zuvor. Die physischen Auswirkungen auf den Körper, ganz abgesehen von den weniger leicht quantifizierbaren Auswirkungen auf den Geist, sind gravierend.
Die Fluktuationsrate in den Firmen steht in einem Zusammenhang mit der Veränderungsgeschwindigkeit der Technologie, die sich exponentiell erhöht. Heute arbeitet ein großer Teil der Arbeitnehmer der westlichen Länder in einer Umgebung, die in einem starken Kontrast zu jener Umgebung steht, in der sich der Mensch biologisch entwickelt hat. Die Funktionen des Körpers, die es dem Menschen ermöglichen, sich durch die physische Welt zu bewegen und diese zu manipulieren, werden durch Technologien außer Kraft gesetzt, die es möglich machen, dass Teile der Gesellschaft ihre Existenz allein durch die Manipulation von Informationen bestreiten können.
Das hat der Gesellschaft zwar viele quantifizierbare Reichtümer gebracht, aber auch die Erfahrungsqualität des täglichen Lebens verarmen lassen. "SandScape" ist ein Schritt in Richtung des Ziels, Computerschnittstellen anhand von eher qualitativen Kriterien zu entwickeln, indem die Vielfalt und Reichhaltigkeit der physischen Welt in die Computerschnittstelle zurückgebracht wird. Es geht darum, die spezifischen Bedürfnisse einer Benutzergruppe – der Landschaftsgestalter – durch die Erhöhung der Produktivität und Effizienz anzusprechen, während gleichzeitig auf ein weiteres Ziel hingearbeitet wird: ein Werkzeug bereitzustellen, das anhand der Bedürfnisse der menschlichen Benutzer entwickelt wurde und das den Benutzern eine gewisse Zufriedenheit bringt.
Zusätzliche Analysefunktionen
"SandScape" demonstriert nur einige Landschaftsanalysefunktionen, die öffentlich verfügbar sind. Diese spezielle Gruppe wurde ausgewählt, um das Potenzial von "SandScape" als Methode der Echtzeitinteraktion mit Computeranalysen zu präsentieren. Aus diesem Grund haben wir stark vereinfachte Funktionen gewählt.
Analysen wie Local Drain Direction sind sehr ungenau und derzeit nur als grobe Darstellung der möglichen Wasserflüsse durch eine Landschaft brauchbar. Eine zukünftige Systemarchitektur mit einem schnelleren Analyseverfahren würde mehr Präzision und komplexere Funktionen ermöglichen, so dass schwierigere Systeme wie Gezeiten, Erosion oder Entwaldungsmuster dargestellt werden könnten. Die Erforschung der Visualisierung menschlicher Aktivitäten in der Landschaft könnte ebenfalls integriert werden.
Andere Anwendungsgebiete
"SandScape" wurde in Reaktion auf die Bedürfnisse des Landschaftsdesigners entwickelt, dynamische Simulationen auf Topografiebasis auf die Oberfläche physischer Modelle zu projizieren. Es gibt jedoch drei signifikante Methoden, um das System so zu verfeinern, dass sich auch Möglichkeiten für andere Applikationen eröffnen würden.
Erstens verwenden die derzeitigen Analysefunktionen nur die Geometrie des physischen Landschaftsmodells als Information; aber es gibt auch eine Fülle von Informationen über das Material der Landschaft selbst. In Zukunft könnte es möglich sein, Werte für diese Materialqualitäten wie die Wasserabsorptionseigenschaften verschiedener Steintypen, die bekannten Grundwasserspiegel und sogar die Einflüsse künstlicher Artefakte einzugeben, die wesentliche Auswirkungen auf Landschaftssysteme haben können.
Zweitens könnte ein Hybridsystem entwickelt werden, das mithilfe einer Art "Tagging" Objekteigenschaften für verschiedene Formen in der Landschaft beschreiben würde. Das derzeitige System kennt keinen Unterschied zwischen dem Gelände und Objekten, die eventuell auf diesem Gelände stehen. Es würde viele Vorteile bringen, die kontinuierliche, laserscannerbasierte Schnittstelle mit der Leistungskraft objektbasierter Erkennung zu kombinieren. So könnte zum Beispiel ein Objekt "Schule" oder "Fabrik" mit einem bestimmten Energieverbrauch in Zusammenhang gebracht werden, oder ein Objekt "Wald" könnte Eigenschaften zeigen, die Einfluss auf Grundwasserspiegel, Bodenchemie und andere simulierte Faktoren haben.
Schließlich könnte eine Schnittstelle zur Erforschung der digital dargestellten Volumina entwickelt werden. Die Benutzer könnten in einer ähnlichen Umgebung wie "SandScape" arbeiten, um dreidimensionale Darstellungen geologischer Studien, komplexer Industriedesignelemente oder der menschlichen Anatomie zu erforschen.
Indem "SandScape" die Probleme der Darstellung von Materialien, Objekten und Volumina in Angriff nimmt, könnte das System so erweitert werden, dass es für eine viel größere Zahl potenzieller Anwendungen geeignet ist.
Informationen über die Künstler/die Institution
Ben Piper
Ben Piper erwarb an der Universität Cambridge ein MA in Architektur und schloss vor kurzem seinen MSc am Massachusetts Institute of Technology ab. Er war an vielen Planungs- und interaktiven Projekten beteiligt und arbeitet derzeit als architektonischer Berater in Turin.
Carlo Ratti
Der Architekt und Ziviltechniker Dr. Carlo Ratti studierte an der Ecole Nationale des Ponts et Chaussees in Paris und an der Universität Cambridge. Nach einem Post Graduate-Studium am MIT eröffnete er vor kurzem ein Architekturbüro in Turin.
Assaf Biderman
Assaf Biderman ist derzeit Undergraduate-Student am Massachusetts Institute of Technology. Er wirkte bei mehreren großen öffentlichen Performances als Toningenieur mit und arbeitet derzeit an einigen innenarchitektonischen Projekten im Gebiet von Boston.
Yao Wang
Yao Wang studierte Architektur am Massachusetts Institute of Technology und erwarb 2002 seinen M.S. Er erforscht am Department of Urban Studies des MIT materielle Benutzerschnittstellen für die Landschaftsgestaltung.
The Tangible Media Group
Die Tangible Media Group befasst sich mit der Entwicklung menschlicher Computerschnittstellen, die unsere natürliche Gabe, physische Objekte zu verstehen und zu manipulieren, optimal nutzen. Die Gruppe zeichnet für die Entwicklung von über vierzig Schnittstellenprototypen und für viele Veröffentlichungen in der HCI-Gemeinde verantwortlich.
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