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Talmud Project

2000

David Small (US)
Tom White (US)

David Smalls typografische Forschung wird von einer Mischung aus spirituellem Staunen und intellektueller Strenge angeregt. Small, ein Grafiker und Computerwissenschaftler, setzt dreidimensionale und dynamische Typografie zur Generierung komplexer Informationsblöcke ein. Seine visionären Versuche mit digitalem Text haben unglaubliche Ergebnisse gezeitigt – hinreißend in der Erscheinung und reich in der Konzeption. In seinen Projekten, von denen viele am MIT Media Lab umgesetzt werden, versucht er, komplexe Informationsblöcke in digitalen Landschaften zu schaffen, in denen der Besucher intuitiv navigieren kann.

Im "Talmud Project" (1998 – 1999) nähern sich Ehrfurcht und Intellekt mit besonderer Intensität aneinander an. Der Talmud ist eine Sammlung heiliger Schriften zur Torah, in der einzelne Bibelstellen kommentiert werden. Smalls "Talmud Project" enthält einen Ausschnitt aus dem Talmud und stellt eine zusätzliche Verbindung zu einem Essay des modernen französischen Philosophen Emmanuel Levinas her, der wiederum ein erweiterter Kommentar eines Abschnitts aus dem Talmud ist.

Smalls Projekt liegt die Vision eines neuen narrativen Raums zu Grunde, in dem unterschiedliche, aber miteinander verbundene Texte gleichzeitig in ihrer Gesamtheit verfügbar sind. Das "Talmud Project" setzt veränderliche Schriftgrößen, Fokus, Zeilenabstand und Transparenz ein, um die Aufmerksamkeit des Lesers auf den Text und wieder von ihm wegzulenken.

Um zwischen Levinas französischem Essay und der englischen Übersetzung zu wechseln, verändert der Leser z. B. den Abstand zwischen den englischen und französischen Zeilen, vergrößert und verkleinert ihn, um so von einer Sprache zur anderen zu wechseln oder beide gleichzeitig anzuzeigen. Eine Seite aus der Torah ist gestochen scharf, während die dazugehörige Seite aus dem Talmud im Hintergrund zu hängen scheint, gerade nur so weit verschwommen, dass der Haupttext noch lesbar ist. Tritt eine Textstelle in den Vordergrund, tritt eine andere in den Hintergrund; werden die Konturen der einen scharf, verschwimmen die der anderen.

Auch wenn einzelne Zeilen unleserlich werden, bleibt die Architektur des Texts, z. B. Absatz- und Abschnittwechsel, erhalten. Small wählt die Schriftgrößen teils so, dass der Text mit rund 500 bis 1000 angezeigten Wörtern noch lesbar ist. Teils greift er zu – wie er sie nennt – "kontextuellen Schriftgrößen", wo eine Million oder mehr Wörter sichtbar, aber nicht mehr lesbar sind. Durch die Gestaltung des Texts als Block – vollständig, doch unentzifferbar – schafft Small sublime typografische Räume, in denen die geschriebene Sprache ihre Größe den Sinnen und nicht dem Intellekt aufdrängt.

Sublim zu sein heißt unglaublich zu sein, Ehrfurcht und Erstaunen im Kontext rationaler Struktur zu erwecken. Diesen Effekt ruft diese Studie des Talmuds hervor, die in diesem beeindruckenden Typografieprojekt in andere Dimensionen erweitert wird.

(Text von Ellen Lupton)