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What Will Remain of These

1997

Chris Dodge (US)

Als Infomaten getarnt, lauern drei Rechner- und Kameraeinheiten auf neugierige Besucher, um ihnen erst den Spiegel vorzuhalten und dann das Spiegelbild in einem Schleier herumschwebender Pixel aufzulösen. So wie Heisenbergs These von der Unschärferelation besagt, dass es unmöglich ist, selbst kleinere komplexe Systeme ganz zu verstehen (weil die Anwesenheit des Betrachters das System grundlegend verändert), so gibt es auch keinen "richtigen" Standpunkt, um Chris Dodges Arbeit zu betrachten. Das Bild auf dem Monitor zerfließt durch die Bewegungen des Betrachters, die ihre anonym gewordenen Spuren im mathematischen Algorithmus hinterlassen.

Wir alle führen ein Leben zwischen zwei Polen: der Welt der Bewegung und der Welt der Bewegungslosigkeit. Die Dialektik zwischen diesen beiden Extremen erzeugt eine Spannung, die nicht leicht zu lösen ist, da es sich hierbei um zwei deutlich verschiedene Formen repräsentativer Ästhetik handelt. Die Welt der Bewegung ist gekennzeichnet durch Selbstbeherrschung, kurzfristige Ziele, Leistung und Tatendrang. Wer dieser Welt verhaftet ist, ist unfähig, sich selbst als Teil einer größeren Gruppenstruktur zu sehen. Man ist in einem gnadenlosen zeitlichen Jetzt gefangen, das einen vorwärts treibt. Entsprechend zeichnet sich die Welt der Bewegungslosigkeit durch Passivität, Narzissmus, Unentschlossenheit, Unsicherheit und Angst aus. Wer diesem Reich verhaftet ist, ist unfähig zu handeln und in einer Selbstreflexion ohne Ende gefangen. Ersteres bedeutet Vergänglichkeit, letzteres Dauer. Zwischen diesen beiden Extremen existieren wir Menschen.

In mancher Hinsicht sind physische und digitale Architekturen das Ergebnis dieser für die menschlichen Lebensumstände bezeichnenden Dualität. Die von uns geschaffenen großen, dauerhaften Strukturen – z. B. Gebäude und Denkmäler – sind Ausdrucksformen einer Gruppenidentität, die die Zeit überdauern. Die statische Schöpfung aus Stahl, Stein und Bronze ist die höchste Erscheinungsform der Dauer, sie formt die soliden Grundlagen, auf denen unsere Gesellschaft aufgebaut ist. Diese architektonischen Gebilde – Landstraßen, Bahnhöfe oder Kirchen – bestimmen, wie wir uns in unseren täglichen Rhythmen und unseren Glaubensvorstellungen zurechtfinden. Im Gegensatz dazu stellen Computer und digitale Netze den ultimativen Ausdruck der Vergänglichkeit dar. Mit dem Computer hält ein rasches und hektisches Tempo Einzug, denn der technologische Kontext ist immer in Bewegung. Hier ist das Leben schnell und flüchtig, ein kurzes, aber strahlendes Aufblitzen. Tod in der digitalen Welt ist gleichbedeutend mit Obsoleszenz (Stillstand des Fortschritts).

Die von mir gezeigte Arbeit "What Will Remain of These" verbindet die Körperbewegungen von Menschen in einem architektonischen Raum mit grafischer Aktivität und dem Datenfluss über ein lokales TCP/IP-Netz. Auf den ersten Blick ist die Installation eine große kinetische visuelle Skulptur, die sich über mehrere, miteinander vernetzte Computerstationen erstreckt. Diese Arbeit lotet die Möglichkeiten aus, die Welt der Bewegung und die Welt der Bewegungslosigkeit in Metaphern darzustellen, die für den Kampf zwischen der Identität des einzelnen und der Identität der Gruppe stehen. Wir sind Teil eines kollektiven Ganzen, doch der Beitrag, den wir leisten, ist bescheiden. Er gewinnt erst im Laufe der Zeit an Bedeutung. Die Muster, die wir in unserem täglichen Leben schaffen, tragen zwar dazu bei, die Gesamterscheinung der Gesellschaft zu prägen, doch nur, wenn wir genug Ausdauer an den Tag legen. Dieser Prozess muss nicht bewusst ablaufen, ebensowenig wie der einzelne an der sich herausbildenden Gruppenidentität "beteiligt" sein muss, denn unser Beitrag zu dieser Dauerhaftigkeit ist für uns nicht sichtbar. Ebenso bedarf es der Bewegungslosigkeit, um Erfahrungen mit anderen teilen und den Reichtum und die Ähnlichkeit in unserem Leben erkennen zu können. Die Arbeit untersucht also den Begriff der Beteiligung an einer interaktiven Installation: In beiden Fällen gehört das Publikum einer dieser Welten an, ist aber nicht unbedingt an der interaktiven Umgebung beteiligt. Die Installation ermöglicht beide Formen der Beteiligung: die entsetzte Abwendung von der Installation ebenso wie die kontemplative Anerkennung des Systems.

Wir alle führen im Großen und Ganzen sehr ähnliche Leben, was zu einer Gruppenidentität führt, die sich aus diesen einzelnen, isolierten Verhaltensweisen ergibt. Obwohl diese Gruppenmuster auf den ersten Blick chaotisch erscheinen und die Individuen auf ihre eigene Identität begrenzt bleiben, lässt sich aus einer genügend großen Distanz vom lokalen Kontext feststellen, daß wir kaum Einfluss auf das Entstehen des kollektiven Ganzen haben. Was sind nun die Eigenschaften der kollektiven Identität? Oder, wie der Titel nahelegt, was bleibt von uns allen im Laufe der Zeit?

Adaptive Schnittstellen und die Unschärferelation

Das Faszinierende an interaktiver VR-Computerkunst ist für mich, dass das Individuum erneut egozentrisch in den Mittelpunkt einer konstruierten Welt gestellt wird, wobei der Benutzer durch eine Eins-zu-Eins-Abbildung von Reiz und Reaktion Zugriff auf die Datenstrukturen hat. Jeder Befehl des Benutzers, sich "nach rechts zu wenden", löst in der virtuellen Umgebung eine entsprechende Bewegung aus. Ironischerweise bildet eine derart unmittelbare Beziehung zwischen Ursache und Wirkung, auch wenn sie gut erforscht ist und ihre Umsetzung bei gegenwärtigen Computerschnittstellen gut funktioniert, nicht die "Wirklichkeit" ab, die mir vertraut ist. In meiner Wirklichkeit staune ich immer wieder über das, was ich sehe, ich werde verführt durch die scheinbar endlosen Möglichkeiten und bin verwirrt durch das, was ich nicht verstehen kann. Meiner Meinung nach steht die VR-Technologie im Gegensatz zum historischen Wachstum der modernen Kunst, da sie das Auge des Betrachters erneut in den perspektivischen Mittelpunkt des Universums stellt und uns so zu den Imperativen der Renaissance zurückführt. (1)

David Rokeby (2) und Perry Hoberman (3) haben sich mit dem Thema Subjektivität und Kontrolle in der interaktiven Computermedienkunst auf sehr elegante Art und Weise auseinandergesetzt. Ich möchte hinzufügen, daß wir – angesichts eines Computer-Postmodernismus, in dem das Absolute nicht mehr existiert, sondern von sich ständig ändernden Oberflächen ersetzt wird, die jeder von uns anders interpretiert – unsere Vorstellungen von der Rolle des interaktiven Künstlers neu überdenken müssen. Diese Installation verwendet die wirkliche Welt autonom, um eine glänzende Oberfläche zu erzeugen, die unser tägliches Verhalten an uns zurückspiegelt – und sie tut dies in viel höherem Maße als ich, der Schöpfer dieses Werkes, der versucht, künstliche Welten zu schaffen. Eine unverfälschte, leibhaftige Wirklichkeit enthüllt sich uns, keine virtuelle Ersatzwelt. Nicht der Benutzer muss die Regeln der digitalen Umgebung erlernen, sondern der Algorithmus muss sich an das anpassen, was er sieht. So sehe ich diese Arbeit eher als Beispiel für menschzentrierte als für computerzentrierte interaktive Kunst, da sie uns eine neue Vorstellung unseres Menschseins gibt. Es wird weniger eine bestimmte Einzelgeschichte erzählt als vielmehr eine Metageschichte über den Prozess, den eine große Gruppe von Menschen erlebt.

Diese interaktive Arbeit vermittelt dem Betrachter weder absolute Kenntnis über das System noch lässt sie ihn Kontrolle darüber erlangen, da es keine definierten interaktiven Räume, keine unmittelbaren Schnittstellen, keine umfassend gültigen Regeln gibt, nach denen die Beziehungen von Ursache und Wirkung ablaufen. Die Gruppe als Ganzes, zu der wir einen kleinen Beitrag leisten, bestimmt die Interaktion. Die Bedeutung des einzelnen Betrachters wird auf ein Minimum reduziert, er oder sie wird zu einem rein statistischen Messwert bei der Einschätzung der Masse. Je mehr das Individuum seine Umgebung kontrollieren will, um durch endloses Wiederholen derselben körperlichen Gesten statistische Bedeutung zu erlangen, desto mehr wird er oder sie vom System manipuliert.

Anstelle von Computeralgorithmen, die die Interaktionen in einem Gesamtzusammenhang beschreiben, verwendet die Installation ein Raum-Zeit-Kontinuum zur Beschreibung des Überwachungsbereichs, um ein auf physikalischen Prinzipien beruhendes Teilchensystem zu steuern. Eine solche auf Algorithmen basierende Arbeit verwendet ungefähr 76.000 autonome Einheiten pro Computer (die Arbeit ist in hohem Maße parallel und verteilt), die einen höchst spezialisierten Befehlssatz ausführen. Die Befehle für jede Einheit basieren ausschließlich auf den Newton'schen Gesetzen für Masse, Impuls und Kräfte (inklusive Reibung). Das Überwachungssystem leitet von der Beobachtung des architektonischen Raums eine 2D-Matrix der vorausberechneten Bewegung (4) ab, die die natürlichen Bewegungen der Menschen im Raum beschreibt. An jeden grafischen Punkt des virtuellen Raumes wird ein aus der gewichteten Summe aller partiellen Ableitungen der vorausberechneten Bewegung berechneter Vektor angelegt, der eine "virtuelle" Kraft ausmacht. Diese Kräftematrix ist der wichtigste interaktive Parameter des Systems. Wenn sich das System im Laufe der Zeit weiterentwickelt, werden die Teilchen diesen Kräften unterworfen. Sie werden in Bewegung gesetzt, und der akkumulierte Fluss der Menschen wird mit der Gesamtbewegung der Teilchen gekoppelt. Würde die Bewegung einer großen und massiven Menge an Betrachtern mit einer minimalen Anzahl an Abweichungen korrelieren (d. h. würden sich die Menschen alle auf ähnliche Art und Weise bewegen), begänne ihr Einfluss auf das System zu dominieren. Durch den Einsatz dieses spezialisierten Befehlssatzes kommt es zu einer Konvergenz des Systems mit einer Feedback-Schleife, die sowohl die visuellen Elemente als auch die Datenübertragungen zwischen den einzelnen Stationen mit der physikalischen Welt synchronisiert.

Es gibt in dieser Arbeit keine globalen Zustände. In keinem Augenblick ist es möglich, das momentane Aussehen der Installation vorherzusagen, so dass die Betrachter zum mehrmaligen Besuch angeregt werden. Man könnte also sagen, dass diese digitale Welt das emergente Verhalten darstellt, wie es Renick (5) und Louis-Philippe Demers (6) beschreiben. Obwohl jeder, der sich im Überwachungsbereich aufhält, das 2D-Datenfeld der akkumulierten Kräfte beeinflusst, ist es unmöglich, die Beiträge der einzelnen Individuen zu unterscheiden, da das Gleichungssystem unterdeterminiert ist. Mit anderen Worten, es gibt mehr unbekannte Variablen als bekannte. Es kann keine umfassende analytische Regel für die Erklärung des jeweilig aktuellen Zustands geben, da sowohl die Maschine als auch der individuelle Betrachter immer nur auf eine höchst begrenzte und subjektive Vorstellung von der Umgebung zurückgreifen kann. Mit zunehmender Dauer der Installation wird auch die Rolle des einzelnen immer zweideutiger, da er gegen die historischen Aufnahmen aller Betrachter vor ihm ankämpfen muss. So wird auch jeder Einfluss, den er durch das hartnäckige Wiederholen gleichförmiger Bewegungen erlangt, im Laufe der Zeit durch die nach ihm kommenden Menschen verwischt. Diese Installation mahnt uns auf subtile Weise, dass alle Kontrollversuche letztendlich vergeblich sind.

Zusätzlich zur Vorausberechnung der Bewegung gewinnt die Installation eine numerische Beschreibung der vorausberechneten Bewegungslosigkeit. Wenn ein Betrachter lange genug ruhig steht und das interaktive System in kontemplative Passivität versetzt, erhöht dies seinen Messwert der Bewegungslosigkeit. Überschreitet dieser Messwert eine bestimmte Schwelle, löst sich das Bild dieser Person langsam in der interaktiven Umgebung auf. Dennoch handelt es sich hierbei nicht um eine Struktur statischer Daten, da sich das Bild aus Teilchen zusammen setzt, die in Bewegung sind und somit eine zugrunde liegende Rastlosigkeit erkennen lassen. Löst sich der Betrachter aus der Welt der Bewegungslosigkeit, indem er seinen Körper hinreichend bewegt, scheint sein Bild zu farbigem Staub zu zerfallen, verweht durch die Wirbelwinde, die die Menschen vor und nach ihm erzeugen. Das ist die Interaktion zwischen dem Individuum auf der Suche nach einer einzigartigen Dauer innerhalb des Systems und der Masse, die diesen Versuch unablässig untergräbt.

Die Unschärferelation von Heisenberg, die ich für einen der bedeutendsten Lehrsätze des Postmodernismus halte, besagt, dass es nicht möglich ist, kleinste komplexe Systeme global zu verstehen, da der Prozess des Beobachtens das System grundlegend verändert. (7) Folglich gibt es in dieser Installation keine objektive Position, von der aus die Arbeit betrachtet werden könnte, ohne dass etwas verändert würde. Die Anwesenheit der Betrachter hinterlässt pausenlos ihre Spuren im mathematischen Algorithmus, egal, ob sie durch den Installationsraum gehen – vielleicht ohne sich des Ausstellungsstückes überhaupt bewusst zu sein – oder ob sie für einen Moment innehalten, um den farbenfrohen Strom zu betrachten. In gewisser Hinsicht haben sie eine zweifelhafte Unsterblichkeit erlangt, denn der farbige Pixel, einst ihr Bild, bleibt auf ewig im System erhalten und treibt neu konfiguriert im Datennetz. Zu unserer Beruhigung bleibt also, dank der physikalischen Erhaltungsgesetze von Masse (unsere Bilder) und Energie (unsere körperlichen Bewegungen), eine ewige Spur unserer Existenz erhalten.

References

(1) Waliczky, T., partly taken from a lecture at the WRO97 Biennial Media Art festival, Wroclaw, Poland, 1997

(2) Rokeby, D., Transforming Mirrors, Critical Issues in Electronic Media, State University of New York Press, 1995

(3) Hoberman, P., panel talk, ACM Multimedia 96, Bosten 1996

(4) Bergen, J., P. Burt, R. Hingorani, S. Peleg, Multiple Component Image Motion: Motion Estimation, David Sarnoff Research Center, January 1990

(5) Resnick, M., Turtles, Termites, and Traffic Jams: Explorations in Massively Parallel Microworlds, MIT Press, 1994

(6) Demers, L.P., B. Vorn, No Man’s Land, Ars Electronica Festival 96, SpringerWienNew York 1996

(7) Heisenberg, W., Physics and Philosophy: the revolution in modern science, Harper, New York 1958