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Die Globale Stadt
Die Entnationalisierung von Raum und Zeit

'Saskia Sassen Saskia Sassen

Die Erfahrung des Globalen ist partiell. Globalität umspannt nicht alles. Die multiplen Prozesse, aus denen sie sich zusammensetzt, durchdringen und formen spezifische – und nicht universelle – Strukturierungen der Wirtschaft, der Politik, der Kultur und des Subjektiven. Dabei entstehen neue Räumlichkeiten und Zeitlichkeiten, die neben den originären des „Nationalen“ bestehen, sich von diesen jedoch abheben. Durch das Zusammenspiel dieser Unterschiede wiederum entstehen strategische Anknüpfungspunkte.

Diese strategischen Anknüpfungspunkte werden besonders dort evident, wo sich die sich kreuzenden Temporalitäten und Räumlichkeiten deutlich manifestieren. Zu solchen Orten zählen – aus der Sicht meiner Forschungsarbeit – globale Städte. Die globale Stadt ist ein Grenzbereich, wo die herkömmlichen Räumlichkeiten und Zeitlichkeiten des nationalen und die neuen des globalen digitalen Zeitalters ineinandergreifen. Aus diesem Zusammentreffen ergibt sich die Möglichkeit zahlreicher neuer wirtschaftlicher und kultureller Projekte. Auch an anderen Orten, einschließlich der Mikroebene, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass das Nebeneinander verschiedener Räumlichkeiten und Temporalitäten eine dichte, aufgeladene Atmosphäre erzeugt. Dabei stellt sich auch die Frage, ob Kunst in manchen ihrer Ausformungen einen solchen Mikroschauplatz der Koexistenzen darstellen kann und so eine der wesentlichen Dynamiken dieses Wandlungsprozesses festzumachen vermag.

Die vorliegende Untersuchung dieser Fragen soll besonderes Augenmerk auf die örtliche und institutionelle Einbettung der wirtschaftlichen Globalisierung legen sowie argumentieren, dass die Kombination dieser Einbettung mit den Besonderheiten der Globalisierung eine partielle Entflechtung von geschichtlich als national konstruierten Räumlichkeiten und Temporalitäten nach sich zieht. Diese Entflechtung des Nationalen schafft Angelpunkte für neue Dynamiken und Akteure, die nun neben dem Nationalstaat in der internationalen Arena auftauchen. Entsteht hier vor unseren Augen eine neue Politik?

Die Räumlichkeiten und Zeitlichkeiten des Globalen
Das Einfügen des Globalen in eine überwiegend nationalisierte und institutionalisierte Welt löst eine partielle Entflechtung dieser nationalen Ordnung aus. Partiell deshalb, weil die Geografie der wirtschaftlichen Globalisierung strategisch ist; sie ist weder diffus, noch handelt es sich um einen allumfassenden Zustand; (1) außerdem ist sie partiell in dem Sinne, dass der nationale Raum wahrscheinlich nie einen einheitlichen Zustand dargestellt hat, auch wenn er institutionell als solcher konstruiert war. Man kann sich dieses Einfügen des Globalen ins Nationale zum Beispiel als partielle, beginnende „Entnationalisierung“ vorstellen (Sassen 1996, Kapitel 1). Diese teilweise Entflechtung des Nationalen entsteht durch die Praktiken und institutionellen Formen des Globalen, welches wiederum seine eigenen spezifischen, grenzüberschreitenden Räumlichkeiten und eindeutigen Zeitlichkeiten erzeugt.

Der Vorgang der Entnationalisierung, wie ich ihn verstehe, lässt sich nicht auf ein geografisches Konzept reduzieren, wie es die Generäle vergangener Jahrhunderte zu tun pflegten, die Kriege führten, um Territorien zu nationalisieren. Es handelt sich vielmehr um eine hoch spezialisierte, strategische Entnationalisierung spezifischer institutioneller Schauplätze: Manhattan oder die Londoner City kann man als Freihandelszonen der Finanzwirtschaft bezeichnen. Doch meint man damit nicht Manhattan als geografische Größe, mit all seinen vielschichtigen Aktivitäten, Funktionen und Regelungen, sondern eine hochspezialisierte funktionelle / institutionelle Welt, deren Entnationalisierung laufend weiter fortschreitet. Die betroffenen Institutionen siedeln sich nach bestimmten Mustern an – und weisen eine unverhältnismäßig hohe Konzentration in globalen Städten auf. Dies wiederum führt zur Reterritorialisierung sogar der am stärksten globalisierten, digitalisierten und teilweise entmaterialisierten Industrien und Märkte. Diese Reterritorialisierung zeigt jedoch ihre eigene Konditionalität: eine komplexe und dynamische Interaktion mit den nationalen Behörden. Die strategischen Räume, in denen viele globale Prozesse eingebettet sind, sind oft national definiert; die Mechanismen, über die neue, für die Globalisierung notwendige Rechtsformen umgesetzt werden, sind oft in staatliche Institutionen integriert; die Infrastruktur, die die globale Hypermobilität des Finanzkapitals ermöglicht, ist in verschiedene nationale Territorien eingebettet. So kann man sich die unausweichliche Auseinandersetzung mit dem Nationalen auch dadurch vorstellen, dass man sich diese partielle und strategische Dynamik der Entnationalisierung vergegenwärtigt. (2)

Aus dieser Sicht ist es unzureichend, die Räumlichkeit der wirtschaftlichen Globalisierung nur im Sinne der Hypermobilitiät und der Komprimierung von Raum und Zeit – der dominanten Eckpunkte der aktuellen Konzeptualisierung – zu verstehen. Hypermobilität und Raum-Zeit-Komprimierung wollen erzeugt werden, und dies erfordert eine enorme Konzentration an Material und weniger mobiler Einrichtungen und Infrastrukturen. Diese müssen verwaltet und gewartet werden und bedingen somit zumeist ortsgebundene Arbeitsmärkte für Fachleute ebenso wie für Billigarbeitskräfte. Die hohe Konzentration an hypermobilen, entmaterialisierten Finanzinstrumenten sowie an Material und ortsgebundenen Ressourcen, die erforderlich sind, um erstere in Sekundenschnelle rund um die Welt zu befördern, lässt die globale Stadt hier beispielhaft wirken. (3) Sogar die enorme ökonomische Topografie, die durch den elektronischen Raum implementiert wird, stellt nur einen Moment, ein Fragment einer noch umfassenderen ökonomischen Kette dar, die zu einem Gutteil in nichtelektronischen Räumen verankert ist. Die fortschrittlichsten informationsbasierten Industrien, z. B. das Finanzwesen, sind nur teilweise im elektronischen Raum platziert. Das gilt auch für Branchen, die digitale Produkte herstellen, wie z. B. Softwaredesign. Große internationale Geschäfts- und Finanzzentren sowie sämtliche darin konzentrierten materiellen Ressourcen – angefangen von modernster IT-Infrastruktur bis zu begabten Fachleuten – sind durch die wachsende Digitalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten nicht obsolet geworden. Wir neigen dazu, in Topografien zu arbeiten, die Verflechtungen zwischen dem tatsächlichen und dem digitalen Raum bilden. Es gibt kein rein virtuelles Unternehmen und auch keinen rein virtuellen Menschen, auch wenn wir unsere Aktivitäten verstärkt in digitale Räume verlagern und sogar im menschlichen Körper digitale Kapazitäten orten.

So komplex diese Dynamik der neu erzeugten und neu entflochtenen Räumlichkeiten auch sein mag, sie reicht nicht aus, um sämtliche Vorgänge zu definieren, die die wirtschaftliche Globalisierung ausmachen. Ihre strategischen Wirtschaftsprojekte sind aus dem Zusammenspiel von zwei Master-/Monster-Temporalitäten entstanden, in denen wir existieren und handeln (und allerlei Mikrotemporalitäten inszenieren). Eine dieser Temporalitäten ist im Zusammenbruch begriffen: die des Nationalstaats als historische Institution, eine Master-Temporalität, die oft als historische Zeit aufgefasst wird. Bei der zweiten handelt es sich um eine neue Temporalität: jene der wirtschaftlichen Globalisierung. Am Schnittpunkt dieser beiden koexistenten Zeitlichkeiten beobachten wir die Entstehung neuer wirtschaftlicher Dynamiken / Chancen, die als deren konstituierende Bestandteile die wirtschaftliche Globalisierung vorantreiben und die man sich teilweise als entnationalisierte Temporalitäten vorstellen kann (vgl. Sassen 2000).

An anderer Stelle habe ich argumentiert, dass man die vorherrschende narrative Beschreibung der wirtschaftlichen Globalisierung, ihre gängigste Darstellungsform, als Narration der Eviktion bezeichnen könnte (Sassen 1998, Kapitel 1). Die Schlüsselkonzepte der dominanten Darstellungsform der Globalisierung, der Informationsökonomie und der Telematik implizieren allesamt, dass der Ort nunmehr bedeutungslos geworden und der heute einzig relevante Typus von Arbeitskraft der hochspezialisierte Fachmann ist. In dieser Darstellung zählt die Fähigkeit zur globalen Transmission mehr als die konzentrierte Infrastruktur, die diese Übertragung ermöglicht; zählt der Informationsoutput mehr als die Menschen, die diesen Output produzieren (von der Sekretärin bis zum Spezialisten); und zählt die neue transnationale Konzernkultur mehr als die zahllosen kulturellen Umgebungen, einschließlich der reterritorialisierten Immigrantenkulturen, in denen viele „sonstige“ Tätigkeiten der globalen Informationswirtschaft ablaufen. Kurz gesagt: Die vorherrschende Definition befasst sich mit den höheren Schaltkreisen des Kapitals, nicht mit den niedrigeren; sie befasst sich mit den globalen Kapazitäten der wichtigsten Wirtschaftsakteure und nicht mit der diesen Kapazitäten zu Grunde liegenden Infrastruktur (Einrichtungen und Arbeitsplätze). Dieser enge Fokus bewirkt, dass die Ortsgebundenheit signifikanter Komponenten der globalen Informationsökonomie aus der Darstellung ebenso hinausredigiert wird – also quasi einer Eviktion zum Opfer fällt – wie die Tatsache, dass das Spektrum der beteiligten urbanen Räume weitaus größer ist, als einige Leitbilder unterstellen.

Anhand einer wirtschaftlichen Analyse der globalen Stadt, die das breite Spektrum an Arbeitsplätzen und Arbeitskulturen einbezieht, die zwar Teil der globalen Wirtschaft, jedoch nicht notwendigerweise als solche markiert sind, kann man die Möglichkeit einer neuen Politik der bisher traditionellerweise benachteiligten Akteure untersuchen, die in dieser neuen, transnationalen Wirtschaftsgeografie tätig sind. Diese Politik ist an der Schnittstelle zwischen der Beteiligung an der globalen Ökonomie und der Politik der Benachteiligten angesiedelt und würde in diesem Sinne insbesondere durch diejenigen eine neue wirtschaftliche Dimension einbringen, die im Rahmen der globalen Wirtschaft die „sonstigen“ Tätigkeiten ausüben – von den Fabrikarbeitern in der Exportabwicklung bis zum Reinigungspersonal in der Wall Street.

Im Kontext globaler Prozesse erzeugt die Zentralität des Ortes durch die Formulierung neuer Ansprüche und somit durch das Festschreiben von Anrechten, insbesondere von Ansprüchen auf bestimmte Orte, sowie, am Rande, durch die Bildung von „zivilen Zugehörigkeiten“ (Copjec und Sorkin 1999; Social Justice 1993) einen staatenübergreifenden wirtschaftlichen und politischen Anknüpfungspunkt. Tatsächlich ist die Stadt zu einer Stätte neuer Ansprüche geworden: für das globale Kapital, das die Stadt als „organisatorisches Gut“ nutzt, aber auch für benachteiligte Bevölkerungsgruppen, die in den Großstädten oft genauso international wie das Kapital sind. Die Entnationalisierung des urbanen Raums und das Stellen neuer Ansprüche samt deren Anfechtungen seitens transnationaler Akteure werfen die Frage auf, wem die Stadt gehört.

Ich sehe dies als eine Art politischen Anknüpfungspunkt, der über das Potenzial verfügt, über Staatsgrenzen hinweg vereinheitlichend zu wirken und zugleich innerhalb dieser Grenzen Konflikte anzuheizen. Das globale Kapital und die neu eingewanderten Arbeitskräfte sind zwei Hauptinstanzen transnationalisierter Kategorien, die nach innen hin vereinheitlichende Eigenschaften haben, sich in den globalen Städten aber im Wettstreit befinden. (4)
Die Neuentdeckung der Ränder
Die partielle Entflechtung des Nationalen durch Einfügen des Globalen bewirkt eine Neuskalierung alter Hierarchien – von lokal über regional und national zu global. Integration erzielt man nicht mehr, indem man sich größenmäßig auf die nächst höhere Ebene begibt. Das Lokale verhandelt nun direkt mit dem Globalen, und das Globale konstituiert sich aus einer Vielzahl an Lokalitäten, in denen es sich selbst installiert. (5) Die Unterscheidung zwischen Globalen und Lokalen muss neu überdacht werden, insbesondere die Annahme, dass der Faktor Nähe in der Bildung des Lokalen eine Notwendigkeit darstellt. Zum Beispiel sind hoch spezialisierte internationale Fachkräfte ebenso wie eingewanderte Billigarbeitskräfte in Kontexten tätig, die zugleich lokal und global sind. Die neuen Finanzfachleute gehören einer grenzüberschreitenden Kultur an, die auf vielfältige Weise in ein globales Netzwerk „lokaler“ Orte eingebettet ist – in eine Reihe internationaler Finanzzentren, zwischen denen Menschen, Informationen und Kapitalflüsse mit hoher Frequenz zirkulieren. Finanzzentren wie London, New York, Zürich, Amsterdam und Frankfurt sind Teil einer internationalen und zugleich sehr stark lokalisierten Arbeitssubkultur. „Nähe“ kann man hier zwar schon erkennen, doch ist sie nicht in einen territorialen Raum eingebettet; statt dessen hat sie eine entterritorialisierte Form angenommen, die multiple territoriale Momente enthält. Viele Immigranten werden sich tendenziell als Teil eines grenzüberschreitenden Netzwerks begreifen, das spezifische Lokalitäten verbindet, nämlich ihre neuen Wohnorte und ihre Herkunftsorte in der Heimat. Obwohl sie sich in vielerlei Hinsicht von den Finanzfachleuten unterscheiden, verfügen sie wie diese über die Erfahrung entterritorialisierter lokaler Kulturen, die sich nicht auf die örtliche Nähe gründen. (6)

Eine Interpretationsmöglichkeit besteht darin, sich vom „Kontext“, von der „Umgebung“, zu lösen und diese Konzepte durch das Faktum des Globalen zu ersetzen. Die strategische Operation besteht nicht in der Suche nach einer Verbindung mit der „Umgebung“, dem Kontext, sondern vielmehr in der Installation einer grenzüberschreitenden strategischen Geografie, die sich durch multiple „Lokalitäten“ konstituiert. Die so entstandene Räumlichkeit kann man sich als transnationales Netzwerk spezifischer Orte vorstellen, die teilweise im Nationalen eingebettet sind, jedoch durch räumliche und zeitliche Praktiken entstehen, durch die sie sich von anderen, insbesondere von historisch konstruierten Praktiken des Nationalen, unterscheiden. (7)
Dabei erscheinen zwei Punkte wesentlich:
Erstens strukturieren globale Städte einen Bereich, der zwar den Globus zu umspannen vermag, jedoch in ältere Temporalitäten und Räumlichkeiten eingebettet bleibt bzw. diese neben sich bestehen lässt. Meine Untersuchungen zu diesen neuen Schnittstellenökonomien, die die globale Stadt dominieren, haben gezeigt, dass die globale Stadt gerade durch das Nebeneinander dieser Phänomene entsteht.

Mich würde interessieren, ob sich in Mikroumgebungen, wie sie durch bestimmte Kunstformen gegeben sind – wie etwa in digital erzeugten Umgebungen oder Objekten –, eine ähnliche Dynamik manifestiert: dass Phänomene, die auf den ersten Blick Gegensätze zu sein scheinen, sich in Wirklichkeit gegenseitig bedingen. Solche Mikroumgebungen könnten sich als abgeschlossene Umgebungen präsentieren, die durch digitale Kapazitäten ermöglicht werden; doch sie können auch genau aus den Beschränkungen des nichtdigitalen Zustands heraus entstehen und sich in diesem Sinne ironischerweise durch das konstituieren, was sie nicht sind.

Das Finanzkapital illustriert den allgemeineren Punkt, auf den ich mit diesen Ausführungen hinaus will. An anderer Stelle habe ich behauptet, dass die Dominanz des Finanzkapitals und seine Fähigkeit, andere Kapitalformen seinen Modalitäten unterzuordnen, mit der Koexistenz verschiedener Temporalitäten (die für Finanzkapital viel kürzer gefasst sind als für andere Kapitalformen) und Räumlichkeiten (die Hypermobilität des entmaterialisierten Outputs der Finanzwirtschaft) zusammenhängen. Das Finanzkapital selbst könnte mit seinen eigenen Geschwindigkeiten ohne andere Kapitalformen nicht viel anfangen (Davidson 1999). Wie würde diese Form des Nebeneinander von Unterschiedlichkeiten in einer Analyse der Mikroumgebungen bestimmter Kunstformen funktionieren?

Offenbar sind Konkretisierungen dieser Dynamik auf Mikroebene, wie sie in der Kunst zu beobachten sind, denselben Spannungen zwischen globaler Reichweite und ortsgebundenen Materialitäten unterworfen. Interessant scheinen mir in diesem Zusammenhang die konzeptuellen Resonanzen zu Kunstprojekten, die die Beziehung zwischen den (sozusagen) nahezu grenzenlosen Freiheiten bestimmter Formen und den materialbedingten Grenzen untersuchen, die die Ausführung beeinflussen. Dies veranschaulicht erneut die Spannung zwischen dem, was als grenzenlose, entmaterialisierte Kapazität erlebt wird (wie das Digitale), und dem, was wir als ortsgebundene Materialitäten empfinden.

Zweitens ist diese neue Zone, die sich hier in Raum und Zeit strukturiert, trotz ihrer globalen Reichweite durch multiple Einheiten oder Lokalitäten belebt / konstituiert – sie stellt mehr dar als einen ständigen Transaktionsfluss bzw. ein großes umfassendes System. Die globale Stadt ist eine Funktion des globalen Netzwerks – die globale Stadt, die für sich alleine steht, so wie man dies aus der Geschichte kennt, wo jedes Reich seine eigene Hauptstadt hatte, gibt es nicht. Das Netzwerk der globalen Städte besteht aus Knoten, die eine Hyperkonzentration an Aktivitäten und Ressourcen aufweisen. Diese Knoten sind durch entmaterialisierte digitale Kapazität miteinander verknüpft; sie enthalten jedoch auch eine Vielzahl unterschiedlicher (ortsgebundener) Materialitäten.

Wir müssen also erst dekodieren, was an solchen Lokalitäten lokal (oder national?) ist – die in der Vergangenheit als Lokalität errichtet wurde, weil an einer bestimmten Stelle gelegen. Weiters müssen wir genau definieren, welche neuen territorialen und institutionellen Konditionalitäten des Lokalen – was sich an einem Ort befindet – im globalen und digitalen Zeitalter gelten.
Diese Phänomene werfen die Frage auf, was an den Rändern passiert, welche Kreuzungspunkte zwischen den verschiedenen Umgebungen existieren oder auch nicht und was mit der Kontextualität geschieht.

Die Ausrichtung erfolgt jedenfalls auf sich selbst und auf das Globale. Die Intensität der internen Transaktionen jeder Umgebung ist so stark, dass sie sich über sämtliche Überlegungen hinsichtlich einer breiter gefassten Lokalität oder eines Kontexts, in dem diese existiert, hinwegsetzt. Die neue vernetzte Subökonomie der globalen Stadt vereinnahmt eine strategische Geografie, die teilweise entterritorialisiert ist, die Grenzen überschreitet und weltweit eine Vielzahl von Punkten miteinander verbindet.
Sie nimmt nur einen Bruchteil ihrer „lokalen“ Umgebung ein, ihre Grenzen sind nicht diejenigen der Stadt, in der sie zum Teil gelegen ist, und auch nicht die der „Nachbarschaft“. (8)

Wie dies für bestimmte Kunstformen funktionieren könnte, kann ich nicht sagen, doch möchte ich nicht ausschließen, dass die Frage der Ränder, der Umgebung, des Orts auch für jene Kunstformen gilt, die sich durch die Intensität ihrer internen Transaktionen und ihre grenzüberschreitende, eher transnationale als kontextuelle Orientierung auszeichnen. (9)
Entflechtungen und neue Anknüpfungspunkte
Die Entflechtung des Nationalen im Zuge der spezifischen Dynamik der Entnationalisierung, wie sie sich in der globalen Stadt konkretisiert, haben dazu beigetragen, operative und konzeptuelle Anknüpfungspunkte für neue Akteure und Subjekte zu erzeugen.

Die Dominanz unterschiedlichster nichtstaatlicher Akteure in der internationalen Arena signalisiert die Expansion einer internationalen Zivilgesellschaft. Es handelt sich dabei klarerweise um einen heiß umkämpften Raum, insbesondere, wenn sich etwa die Logik des Kapitalmarkts – Rentabilität um jeden Preis – und die Logik der Menschenrechte gegenüber stehen. Dennoch ist es auch ein Raum, wo andere Akteure als Individuen sowie als kollektive Akteure sichtbar werden und aus der Anonymität der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einem ausschließlich durch das Staatsoberhaupt repräsentierten Nationalstaat heraustreten.

In diesem Beitrag wurden zwei strategische Dynamiken isoliert: a) die beginnende Entnationalisierung spezifischer Formen nationaler Umgebungen, insbesondere der globalen Städte, und b) die Bildung konzeptueller und operativer Anknüpfungspunkte für nicht nationalstaatliche Akteure in der grenzüberschreitenden politischen Dynamik, insbesondere für die neuen globalen Konzerne sowie jene Kollektive, deren Zugehörigkeitserfahrung noch nicht vollständig unter dem Begriff der Nationalität in seiner modernen Ausprägung subsumiert wird, wie z. B. Minderheiten, Einwanderer, die Ersten Nationen und etliche Feministinnen.

Die Großstadt von heute kristallisiert sich als strategischer Schauplatz für diese beiden neuen Handlungstypen heraus. Sie stellt einen der Knoten dar, an denen sich die Formulierung neuer Ansprüche materialisiert und konkrete Formen annimmt. Der Machtverlust auf der nationalen Ebene ermöglicht neue Formen der Macht und der Politik auf der subnationalen Ebene. Das Nationale als Hort gesellschaftlicher Prozesse und Machtverhältnisse wird aufgebrochen und eröffnet so Möglichkeiten für eine politische Geografie, die subnationale Räume verbindet. Für diese Geografie sind in erster Linie Städte symptomatisch. Aus dieser Entwicklung ergibt sich die Frage, ob hier eine neue Form transnationaler Politik entsteht, die sich in diesen Städten lokalisiert.

Aus dem Amerikanischen von Susanne Steinacher

(1)
In der Literatur herrscht in diesem Punkt Uneinigkeit. Einige Autoren sehen die Globalisierung als universellen und universal machenden Zustand, insbesondere im Hinblick auf den Konsum. Der Schwerpunkt meiner Untersuchungen liegt tendenziell auf dem Thema Produktion, zu der ich auch jene Tätigkeiten zähle, die zur Steuerung und Koordination der globalen Wirtschaft notwendig sind, sowie jene, die die Zuteilung und Überwachung der Gewinne steuern. zurück

(2)
Nimmt man die Spezifität einer nationalen / lokalen Umgebung als Ausgangspunkt an, so ist es möglich, die Widerstände, Arrangements und Trägheiten des Nationalen auf das Wirken des Globalen zurückzuführen, egal, ob dieses nun außerhalb oder innerhalb des Nationalen entspringt. Weiters kann man so die vielen spezifischen Schienen erfassen, über die sich dieses Einfügen in verschiedene institutionelle Ordnungen in unterschiedlichen Nationalstaaten materialisiert, sowie die multiplen Formen, in denen sie auftritt, und die dadurch entstehenden mannigfaltigen grenzüberschreitenden Netzwerke. Dieser Vorstellung nach entspringen dynamische Prozesse und Grenzbereiche aus dem Nebeneinander des Nationalen und des Globalen (Sassen 2000a). zurück

(3)
Gerade diese Kombination aus der räumlichen Streuung zahlreicher Wirtschaftsaktivitäten und der globalen telematischen Integration trägt dazu bei, den großen Städten in der derzeitigen Phase weltwirtschaftlicher Entwicklung eine strategische Rolle zuzuweisen (siehe z. B. Knox und Taylor 1995; Stren 1996; Cohen et al. 1996). Abgesehen von ihrer teilweise langen Geschichte als Zentren des Welthandels und des internationalen Bankwesens, fungieren diese Städte nun als Kommandozentralen der weltwirtschaftlichen Organisation, als Schlüsselstandorte und Marktplätze für die derzeit führenden Industriebranchen (Finanzdienstleistungen und spezifische Unternehmensdienstleistungen) und als Innovationsstätten dieser Branchen. Hier sind die Konzentration der Ressourcen und der Einfluss der führenden Industriebranchen auf die wirtschaftliche und soziale Ordnung bereits so hoch, dass die Möglichkeit eines neuen Stadttyps gegeben ist. zurück

(4)
Die Immigration ist z. B. einer der Schlüsselprozesse in der Bildung einer neuen transnationalen politischen Ökonomie, die hauptsächlich in Großstädten beheimatet ist, da sich die meisten Einwanderer, egal ob in den USA, in Japan oder Westeuropa, in den großen Städten konzentrieren. Meiner Ansicht nach ist dies heute einer der konstituierenden Prozesse der Globalisierung, wenn er auch in den gängigen Darstellungen der globalen Wirtschaft nicht anerkannt oder berücksichtigt wird. zurück

(5)
Ich konnte das auch in der Politik beobachten, insbesondere in der „globalen“ Politik, wie sie dem Internet zugeschrieben wird. Für mich handelt es sich hierbei eher um eine Vielzahl lokalisierter Operationen, mit dem Unterschied, dass sie Teil des globalen Netzwerks sind, aus dem das Internet besteht. Dies erzeugt ein „Wissen“, das das Lokale neu markiert. Siehe Kapitel „Electronic Space and Power“ in Globalization and its Discontents, New Press, New York 1998. zurück

(6)
So habe ich etwa in meinen Untersuchungen zu diesen beiden Typen von Arbeitskräften festgestellt, dass die Arbeitsmärkte, in denen sie tätig sind, zwar lokal sind, sich jedoch nicht durch territoriale Nähe auszeichnen, wie dies dem Standardmodell solcher Märkte entsprechen würde. zurück

(7)
Wir können uns die globale Wirtschaft also so vorstellen, als würde sie sich in einem weltumspannenden Raster strategischer Orte materialisieren, zu denen an vorderster Front auch die großen internationalen Geschäfts- und Finanzzentren zählen. Dieses globale Raster würde eine neue Wirtschaftsgeografie der Zentralität erzeugen, die nationale Grenzen ebenso durchkreuzt wie das alte Nord-Süd-Gefälle (siehe z. B. Knox und Taylor 1995; Peraldi und Perrin 1996; 1993). Ein Schlüsselaspekt der räumlichen Verortung globaler Wirtschaftsprozesse, auf den ich hier nicht näher eingehen kann, ist der digitale Raum (vgl. Rötzer 1996; Futur Antérieur 1996; Sassen 1998, Kapitel 9). zurück

(8)
Auf einer anderen, umfassenderen Ebene fand ich bei meinen Untersuchungen globaler Städte ziemlich eindeutige Beweise dafür, dass sich diese Städte stärker nach den globalen Märkten orientieren als ihr Hinterland. Damit setzen sie sich über einen der wichtigsten Lehrsätze der Fachliteratur zu urbanen Systemen hinweg, nämlich, dass Städte und urbane Systeme nationales Territorium integrieren und artikulieren. Dies mag der Fall gewesen sein, als Massenproduktion und Massenkonsum in den entwickelten Volkswirtschaften die vorherrschenden Wachstumsmotoren darstellten, und beruhte auf der Existenz und den Möglichkeiten der nationalen Ebene. Angesichts der Dominanz digitalisierter, globalisierter, entmaterialisierter Wirtschaftssektoren wie des Finanzsektors ist dies heute jedoch nicht mehr gültig. zurück

(9)
Ich konnte das auch in der Politik beobachten, insbesondere in der „globalen“ Politik, wie sie dem Internet zugeschrieben wird. Für mich handelt es sich hierbei eher um eine Vielzahl lokalisierter Operationen, mit dem Unterschied, dass sie Teil des globalen Netzwerkes sind, aus dem das Internet besteht. Dies erzeugt ein „Wissen“, das das Lokale neu markiert. Siehe Kapitel „Electronic Space and Power“ in Globalization and its Discontents, New Press, New York 1998. zurück

References Cited
Appadurai, Arjun. Modernity at Large, University of Minnesota Press, Minn., 1996

Cohen, Michael A., Blair A. Ruble, Joseph S. Tulchin, Allison M. Garland (eds). Preparing for the Urban Future. Global Pressures and Local Forces, Woodrow Wilson Center Press (Distributed by The Johns Hopkins University Press), Washington D.C., 1996

Copjec, J. and M.Sorkin. Giving Ground, Verso, London, 1999

Thierry Pillon and Anne Querrien (eds). La Ville-Monde Aujourd’hui: Entre Virtualité et Ancrage, Futur Antérieur. Special issue. Vols 30–32. L’Harmattan, Paris, 1995

Information Technologies and Inner-City Communities. The Journal of Urban Technology. Special Issue. Vol. 3, nr. 19 Fall). 1995

King, A.D. (ed). Representing the City. Ethnicity, Capital and Culture in the 21st Century, Macmillan, London, 1996.
Paul L. Knox and Peter J. Taylor (eds). World Cities in a World-System, Cambridge University Press, Cambridge, UK, 1995

Mittelman, James (ed.) Globalization: Critical Reflections. International Political Economy Yearbook. Vol. 9. Lynne Rienner Publishers, Boulder, Co.,1996

Peraldi, Michel and Evelyne Perrin. (eds). Réseaux Productifs et Térritoires Urbains, Presses Universitaires du Mirail, Toulouse, 1996

Rötzer, Florian. Die Telepolis: Urbanität im digitalen Zeitalter, Bollmann. Mannheim, 1995

Sassen, Saskia. Globalization and Its Discontents, New press, New York, 1998

Losing Control? Sovereignty in an Age of Globalization. The 1995 Columbia University Leonard Hastings Schoff Memorial Lectures. Columbia University Press, New York, 1996

“Spatialities and Temporalities of the Global.” Public Culture, Millenium Issue on Globalization, 2000

Social Justice. Global Crisis, Local Struggles. Special Issue, Social Justice. Vol. 20, nrs. 3–4. Fall-Winter 1993

Stren, Richard. “The Studies of Cities: Popular Perceptions, Academic Disciplines, and Emerging Agendas.” Pp. 392-420 in Cohen et al. (eds), op.cit. 1996