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Die Erfahrungen mit dem Joko-Projekt


'Lisa Goldman-Carney Lisa Goldman-Carney

Gleichgültig, ob die Wirtschaft gerade nachhaltig wächst – einen „Long Boom“ durchmacht – oder nicht: Die Technologiebranche kennt keine Stagnation. In diesem Ökosystem kann ein Unternehmen nur wachsen oder sterben. Technologie ist eine Naturgewalt, wie die pandemische Ausbreitung des Internet und der neuen Kommunikationstechnologien eindrucksvoll demonstriert.

Dieses Phänomen resultiert nicht allein aus dem Versuch globalisierungsorientierter multinationaler Großkonzerne, den Entwicklungsländern High-Tech-Produkte anzudrehen. Die Diskussion, ob die Ärmsten der Armen mit Computern „zwangsbeglückt“ werden sollen, ist durchaus legitim. Technologie ist nicht gleichzusetzen mit Nahrung oder Wasser; sie ist nicht von sich aus in der Lage, die grundlegenden Gesundheitsprobleme, die für so viele Menschen lebensbedrohlich sind, zu lösen.

Das Projekt Joko im Senegal ortete jedoch eine enorme Nachfrage nach neuen Technologien. Quer durch die Dörfer Afrikas haben die Menschen schon vom Internet gehört und fordern Zugang und entsprechende Schulungen. Für sie stellt das Internet den Schlüssel zu künftigem Wohlstand dar; wer nicht auswandern kann oder will, sieht darin die Möglichkeit, an der großen Welt da draußen teilzuhaben. Sogar die Bewohner der entlegensten Gebiete entdecken das Internet für sich, entweder über im Ausland lebende Familienmitglieder, die immer stärkere Verbreitung von Internetcafés, durch Mundpropaganda oder über andere Medien. Es mag zwar stimmen, dass der Kommerz das Internet für sich vereinnahmt hat, doch das scheint seine Anziehungskraft bei armen, unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen nur noch zu erhöhen. Schließlich erhoffen sie sich, ihre wirtschaftliche Lage durch den gekonnten Umgang mit den neuen Technologien zu ihrem Vorteil zu verändern.

Als der bekannte senegalesische Musiker Youssou N’Dour meinen Kollegen Adama Sow und mich im Jahr 2000 einlud, mit ihm gemeinsam das Joko-Projekt zu gründen, standen wir vor der Herausforderung, das aus Youssous internationalem Erfolg resultierende Interesse gezielt dafür zu nutzen, die Möglichkeiten des Internet der Bevölkerung Afrikas zugänglich und zugleich bewusst zu machen. In Wolof, einem weit verbreiteten Dialekt in Senegal, steht das Wort „joko“ für „Verbindung“ oder „Union“. Im Rahmen von Joko wurden Wege gefunden und gefördert, wie afrikanische Bevölkerungsgruppen an einer selbstverwalteten Online-Community teilhaben und dabei eigene Inhalte und Anwendungen erstellen können, anstatt lediglich fertige Medien und Anwendungen zu konsumieren. Dies geschah aus der Überzeugung heraus, dass sich eine nachhaltige Entwicklungsfähigkeit im Internetsektor am besten über unabhängige, tragfähige Unternehmen an der Basis erreichen lässt; mit anderen Worten, wenn die Gemeinden selbst unternehmerisch tätig werden.

Seit ihrer Gründung haben die JokoClub-Pilotprojekte genug Ertrag abgeworfen, um ihre Betriebskosten zu decken – tatsächlich bestand eines der Hauptziele darin, betriebliche Tragfähigkeit zu erreichen. Nachdem nun die Erfahrung aus den Pilotprojekten gezeigt hat, dass sich mit diesem unternehmerischen Konzept wirtschaftlich arbeiten lässt, soll eine Strategie entwickelt werden, wie JokoClub - die gesamten Investitionskosten weiterer Entwicklungen abdecken können. Diese Unternehmensperspektive entspricht dem wachsenden Bewusstsein afrikanischer Politiker und Unternehmer, dass anstatt der fortlaufenden Abhängigkeit von Hilfsleistungen vielmehr private Investitionen erforderlich sind, um den Teufelskreis der Armut in Afrika zu durchbrechen.

In diesem Sinne versteht sich Joko als ein Projekt, das in einer gewinnorientierten Umgebung soziale Zielsetzungen verfolgt. Joko wurde im Oktober 2000 als gemeinnütziges Projekt unter der Schirmherrschaft der YND Foundation von Youssou N’Dour gegründet. Im Jänner 2001 wurde es in ein Privatunternehmen nach senegalesischem Recht umstrukturiert; dabei wurde ein Modell mit Gemeinschaftseigentum gewählt, damit die Gemeinden ihren unternehmerischen Ehrgeiz für einen dauerhaften Bestand der Projekte einsetzen. Für den Einsatz auf internationaler Ebene wurde Joko International, S.A.R.L. gegründet. Die Aufgabe der senegalesischen Betriebsgesellschaft Joko S.A. besteht darin, nachhaltige Netzwerke von gemeinschaftlich geführten Computerclubs aufzubauen und lokalen Internet-Support anzubieten. In der Pilotphase von Joko stellte HP Ressourcen zum Aufbau der entsprechenden Infrastruktur zur Verfügung. HP wird auch weiterhin als Technologiepartner für Joko fungieren und mithelfen, spezifische Pilotanwendungen und Technologielösungen für Länder der dritten Welt zu entwickeln, um die Bedürfnisse, die sich aus dem Joko-Projekt und anderen von HP unterstützten Pilotprojekten in Südafrika, Brasilien und Indien ergeben, abzudecken.

Zweifelsohne trug Youssou N’Dours internationale Popularität dazu bei, HP als Partner zu gewinnen. Weitere Faktoren waren das enorme Medienecho in Senegal und die Chance, neue internationale Partner auf sich aufmerksam zu machen. Sollten sich also weltweit ähnliche Projekte unverzüglich der Unterstützung eines Weltstars versichern? Nur dann, wenn ein ehrliches strategisches Engagement vorhanden ist. Im Fall von Joko war es vor allem Youssous persönliches Engagement für das Projekt. Wie jedes Start-up-Unternehmen der Internetbranche kann auch Joko seine sozialen und wirtschaftlichen Ziele nur mithilfe ständiger strategischer Entwicklung erreichen. Als geistiger Vater des Joko-Projekts ist Youssou auf wöchentlicher, manchmal sogar täglicher Basis in die wichtigsten Entscheidungs- und Entwicklungsprozesse eingebunden. Eine Unterstützung nur auf dem Papier könnte niemals die Anforderungen dieser ehrgeizigen Aufgabe erfüllen. Im August 2001 wurde das Joko-Pilotprojekt gestartet: Ein städtischer JokoClub im Medina-Bezirk von Dakar, ein JokoClub auf dem Land im Dorf N’Goundiane in der Nähe von Thiés, und eine Website mit gemeinschaftlichem/lokalem Inhalt unter www.joko.sn. In den ersten Monaten des Jahres 2002 wurden zwei zusätzliche Joko-Schulungszentren in Thiaroye und Kolda eröffnet; weitere Zentren sollen in Ziguinchor, Tambacounda, Saint-Louis und auf regionaler Basis in ganz Senegal entstehen. Joko lizenziert bestehende Internetcafés als JokoClub und errichtet in Gebieten, in denen es noch keine Internetcafés gibt, neue JokoClubs. Bis Jahresende 2002 soll es in ganz Senegal mindestens 50 JokoClubs geben.

Zum aktuellen Zeitpunkt hat das Joko-Projekt, obwohl es sich noch in der Einführungsphase befindet und somit nur beschränkte Reichweite hat, bereits über 3.000 Personen (davon knapp 15 Prozent Analphabeten) erfolgreich mit dem Internet vertraut gemacht. Die ersten Auswirkungen liegen auf der Hand: Diese unterprivilegierten Männer und Frauen aller Altersgruppen haben erkannt, dass sie ihre privaten und geschäftlichen Aktivitäten besser in den Griff bekommen, wenn sie dazu einfache Computeranwendungen benutzen. Viele dieser Menschen waren bisher der Ansicht, Lesen und Schreiben oder andere Formen der Bildung wären für sie unerreichbar. Doch während sie lernen mit dem Computer umzugehen, erwerben sie ganz nebenbei Grundkenntnisse des Lesens, Schreibens und Rechnens. Bis sie sich dessen bewusst werden, sind sie schon am besten Weg, neue Fertigkeiten zu entwickeln, und haben so ihre Fähigkeit zu lernen und ihr Leben zu verändern nachhaltig gestärkt.

Durch die Expansion von Joko im Rahmen eines ständig wachsenden Netzwerks lizenzierter Internetcafés – von Jungunternehmen bis hin zu gemeinschaftlichen GIEs (Groupements d‘Intérêt Economique) – werden zertifiziertes Schulungsmaterial, Management- und technische Beratung für einen geringen Unkostenbeitrag zur Verfügung gestellt, sowie eine zentrale Plattform für E-Mail und lokale Inhalte, zur landesweiten und regionalen Produkt- und Markeneinführung und für andere Anwendungen, die im Lauf der Zeit entstehen. Statt auf ein klassisches Franchise-Modell aufzubauen, wo hohe Lizenzgebühren anfallen, versucht Joko ein Netzwerk unabhängiger und bestandsfähiger Tochtergesellschaften aufzubauen. Das ist von entscheidender Bedeutung, da die wirkliche Chance auf Bestandsfähigkeit und nachhaltiges Wachstum erst ab einer entsprechenden Größenordnung gegeben ist. Joko Entwicklungsinitiativen zeigen, dass sowohl internationale Partner als auch lokale Regierungsbehörden Interesse an kundenspezifischen Anwendungen und Dienstleistungen zeigen, sobald ein Minimum an 50 bis 100 Zugangspunkten zur Verfügung stehen. Differenzierte Anwendungen – wie Plattformen für E-Government und E-Commerce – könnten einen Wandel der lokalen Wirtschaft anregen. Die fünf Millionen US-Dollar, die jährlich von im Ausland lebenden Afrikanern als Unterstützung für ihre Familien ins Land fließen, bergen ein enormes Potenzial zur Förderung privater Investitionen in der Region, vorausgesetzt, ein entsprechender Bedarf und die erforderlichen Kapazitäten lassen sich an der Basis nachweisen. Lokalisierte Dienste werden neue Informationsund Kommunikationstechnologien für die Bewohner Afrikas und anderer Entwicklungsländer interessant und relevant machen. Diese Anwendungen müssen von lokalen Akteuren entwickelt werden, die die wirklichen Bedürfnisse der lokalen Gemeinschaften kennen und deren Entwicklungskosten der lokalen Wirtschaft angepasst sind.

Veränderungen im Leben der Menschen
Die Leiterin des Frauenkollektivs von Ngoundiane, Astou Gningue, hat an einer JokoClub-Schulung teilgenommen. Sie berichtet, dass die Mitglieder ihrer Gruppe nun nicht mehr nach Thiés reisen und andere dafür bezahlen müssen, ihnen die für ihre Geschäftstätigkeit notwendigen Kommunikationsmittel zur Verfügung zu stellen. Sie haben selbst ein Arbeitsblatt erstellt, das sie nun anstatt eines handschriftlich geführten Notizbuchs zur Dokumentation ihrer Geschäftstätigkeit verwenden. So konnte nicht nur die Genauigkeit erhöht, sondern auch die Möglichkeit genutzt werden, Unterstützungsanträge an die in Senegal tätigen NGOs zu senden. Seit der JokoClub in ihrem Dorf tätig ist, hat Plan International hier eine Bankfiliale eröffnet, die den Frauen von Ngoundiane Mikrokredite gewährt. Die Frauen verwalten mehr als 200 Millionen FCFA (etwa 285.000 US-Dollar) an Krediten. Inzwischen wird die Ngoundiane Women’s Federation über einen Investmentfonds in der Höhe von 100 Millionen FCFA auch von USAID unterstützt. Die Männer des Dorfes sind stolz darauf, dass die Initiative ihrer Frauen der ländlichen Gemeinde wesentliche neue Wirtschaftsmöglichkeiten erschlossen hat. Das Potenzial, diese außergewöhnlichen Resultate in anderen ländlichen Gebieten zu wiederholen, stellt eine der wichtigsten Entwicklungsschienen für das Joko-Projekt dar.

Dioma Mbodji ist Damenschneiderin und Designerin aus dem Viertel Medina von Dakar. Auch sie war Analphabetin. Als das Team des JokoClub Medina in ihrem Bezirk erstmals um Interessenten für das Schulungsprogramm warb, war Dioma skeptisch. Sie bezweifelte, dass sie aus einer solchen Initiative Nutzen ziehen könnte. Ihr ganzes Leben hatte sie sich nur mit Schneiderei befasst, einem Gewerbe, das sie von ihren Eltern erlernt und übernommen hatte. Ihre Aufgabe bestand darin, ihre Schneiderwerkstatt zu führen und Kundinnen für ihre Entwürfe zu finden.

Heute, im Alter von 30 Jahren, erzählt Dioma jedem, der es hören will, wie sehr sich ihr Leben verändert hat, seit sie die Informationstechnologie für sich entdeckt hat und ohne Furcht vor dem Computer sitzen kann. Nun, da sie die Anforderungen der Geschäftswelt kennt, hat sie beschlossen, Französisch zu lernen und ihre neuen Computerkenntnisse besser einzusetzen. „Die Joko-Computerschulung hat mir gezeigt, dass man mit genug starkem Willen alle Barrieren überwinden kann“, meint sie. Als Dioma das erste Mal in den JokoClub kam, konnte sie weder lesen noch schreiben. In nur zwei Monaten erwarb sie so viele neue Fähigkeiten, dass sie nun davon träumt, ihre Mode weltweit über das Internet zu vertreiben. Dioma zählte zur ersten Gruppe AnalphabetInnen, die im Vorjahr im Rahmen des JokoClub-Pilotprojekts geschult wurden. Als in Ngoundiane der zweite JokoClub eröffnet wurde, unterrichtete sie die Frauen dort, die zu Beginn der Schulung ebenfalls weder lesen noch schreiben konnten. Ihr persönlicher Erfolg im Erwerb von Computerwissen machte sie zu einer überzeugenden Botschafterin für das Joko-Projet. Heute leitet sie die Schulungsprogramme für Frauenkollektive im gesamten, ständig wachsenden Joko-Schulungsnetzwerk.
Der Reiche sagt: „Ich werde dies oder jenes tun“, und tut es. Die Armen jedoch können weder ihre Wünsche erfüllen noch ihre Fähigkeiten frei entfalten.

Eine arme Frau in Brasilien. (Voices of the Poor, Weltbank)
Die Entmystifizierung der neuen Technologien, insbesondere des Internet, öffnet der wirtschaftlichen Entwicklung Tür und Tor und bietet unterprivilegierten Gemeinschaften neue Instrumente zur Verwirklichung ihrer Träume. Wenn die Entwicklungsländer über die nötigen Fertigkeiten und Zugangsmöglichkeiten verfügen, um Internetanwendungen für den Eigenbedarf zu entwickeln, so werden unweigerlich spezielle regionale Inhalte und Programme angeboten werden. Das mag durchaus zu einer Veränderung der globalen Internetlandschaft führen. Vielleicht ist es gerade diese Chance – die Möglichkeit des kulturellen und kommerziellen Austausches auf Basis größerer Gleichstellung –, die bislang unterprivilegierte Bevölkerungsgruppen in Senegal dazu bringt, die neuen Technologien trotz aller Schwierigkeiten anzunehmen und dabei sogar die Barriere des Analphabetismus zu überwinden. Die Vorstellung, welche Möglichkeiten sich diesen Gruppen, denen die moderne Welt bisher vorenthalten war, durch Fertigkeiten im Bereich der Internetentwicklung bieten könnten, ist faszinierend. Angesichts der globalen Reichweite des Internet ist es jedoch umgekehrt auch beängstigend, sich die Alternative vorzustellen: Wenn die Menschen auf der anderen Seite der „digitalen Kluft“ nicht die notwendigen Entwicklungsfähigkeiten besitzen, um ihre Werte und Kultur online zu präsentieren, werden sie dann Opfer einer globalen Medienlandschaft und von dieser ausgelöscht?

Aus dem Amerikanischen von Susanne Steinacher