From the Ashes
'Deborah Shaffer
Deborah Shaffer
Am 11. September hielt ich mich gerade auf der Straße vor meinem Haus auf, als ich einen heulenden Motor über mir hörte. Als ich hochblickte, sah ich den Bauch eines Flugzeugs direkt über meinem Kopf. Der Blick nach Downtown war durch ein Gebäude blockiert, aber Sekunden später hörte ich die Explosion und raste zur Straßenecke. Was ich zu sehen bekam, war dichter Rauch, der aus dem Nordturm des World Trade Center quoll. Mir fuhr es durch den Kopf: Dies ist der schockierendste Unfall, den ich je gesehen habe. Natürlich erfuhren wir binnen einer halben Stunde alle, dass es kein Unfall gewesen war und dass sich unser Leben ein für allemal geändert hatte.
Einer der vielen Anrufe, die ich an diesem Tag erhielt (mein Telefon und mein Internet-Anschluss funktionierten erstaunlicherweise, obwohl ich nur zwölf Blocks von dem Ort entfernt lebe, an dem die Twin Towers standen), stammte vom Produzenten der Kunststücke des ORF, Karl Khely. Nachdem ich ihm versichert hatte, dass wir körperlich unversehrt waren, begann ich meine täglichen E-Mails zu schreiben, in denen ich die Szene in Lower Manhattan beschrieb: alles von einer dicken Schicht Asche und Ruß bedeckt, ein schrecklicher verbrannter Geruch, der alles durchdrang, kein Verkehr, alle Geschäfte bis auf die wichtigsten geschlossen, überall Ausweiskontrollen, Soldaten und Polizei. Wir saßen alle wie angenagelt vor den Fernsehgeräten, betrachteten immer wieder dieselben Bilder und versuchten zu verstehen, warum so etwas passieren konnte.
Einige Tage später schlug Karl vor, dass ich eine persönliche Dokumentation über die Geschehnisse in den Kreisen meiner Künstlerfreunde machen sollte, die wie ich seit über zwanzig Jahre in Downtown Manhattan lebten und arbeiteten. Ich stimmte sofort zu, froh, etwas zu tun zu haben, eine Aufgabe, einen Zweck und einen Grund, aus dem Haus zu gehen und mit Menschen zu sprechen. Wir begannen sofort mit den Dreharbeiten, für die wir eine österreichische Crew (Michael Berz, Kamera, und Harald Wilde, Ton) engagierten. Die beiden waren vor Kurzem nach New York gekommen, um ein Produktionsbüro für MMKmedia einzurichten. Wir drehten zwei Wochen lang beinahe täglich und bearbeiteten das Material rund um die Uhr, um den Sendetermin des ORF im November einzuhalten. Irgendwann einmal wurde uns klar, dass wir da nicht einfach einen schnellen Fernsehbericht machten, sondern ein dauerhafteres Dokument, das die Realität des Augenblicks widerspiegelte, den wir alle erlebt hatten.
Als wir den Film im Januar beim Sundance Festival zeigten, fragte uns ein Reporter, ob wir nicht das Gefühl hätten, zu schnell gehandelt zu haben, und ob es nicht zu früh sei, eine definitive Aussage über die Bedeutung des 11. September zu machen. Während ich vollkommen zustimme, dass es Jahre dauern wird, bis wir die ganze Tragweite dieses Ereignisses verstanden haben, hoffen wir doch, dass dieser Film – From the Ashes – 10 Artists – den Beginn eines Versuchs repräsentiert, sich ein Bild von der Bedeutung dieses Angriffs, des Terrorismus, der Rolle der USA in der globalen Politik und unserer Verantwortungen und Handlungen zu machen.
Was den Epilog anbelangt, an dem wir gerade arbeiten, so ist es offensichtlich, dass sich in den letzten zehn Monaten viel verändert hat. Die Unmittelbarkeit des Terrors ist verblasst, die physischen Schäden wurden zum Großteil behoben oder übertüncht, und alle haben zum Rhythmus ihres täglichen Lebens zurückgefunden. Die Maler malen wieder, die Musiker spielen, die Schauspieler treten auf ... und haben in ihre Arbeit mehr oder weniger direkte Bezüge zum 11. September eingebaut. Obwohl wieder Normalität eingekehrt zu sein scheint, ist unter der Oberfläche ungeheuer viel Trauer und Verwirrung zu spüren. Das Leben ist ruhiger geworden im unteren Teil von New York City, ernsthafter und nüchterner. Die globalen Probleme sind nicht gelöst, amerikanische Soldaten führen wieder Krieg in einem fremden Land, und der Konflikt im Nahen Osten gerät außer Rand und Band. Wir möchten die Hoffnung für die Zukunft nicht verlieren und unsere leise Stimme für weltweites Verständnis und Weltfrieden erheben.
Aus dem Englischen von Annemarie Pumpernig
From the Ashes—10 Artists Part I/II
Regie: Deborah Shaffer; Produzent: Martin Kraml, MMKmedia; Redakteur: Karl Khely, ORF Kunst-Stücke; Kamera & Schnitt: Michael Berz; Ton: Harald Wilde; Musik: Patricia Lee Stotter
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