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Ars Electronica 2002
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Severed Connections


'Uri Dotan Uri Dotan

We Fall besteht im Wesentlichen aus zwei transparenten Screens. Das dargestellte Material besteht aus zwei Bändern, die uns mit einer Tragödie der jüngsten Vergangenheit konfrontieren. Auf einem Schirm projiziert Uri Dotan Filme, die er aus Flash News von CNN entnommen hat; der andere Schirm reflektiert mit Unterbrechungen weißes Licht.

Der Soundtrack zu We Fall stammt aus zwei verschiedenen Quellen. Da ist einmal eine lyrische Melodie, die sich kontinuierlich wiederholt. Sie verändert und verschiebt sich bis zu einem Punkt, an dem sie sich simultan vor- und zurück bewegt. Die zweite Quelle ist eine Sammlung von weißem Rauschen in plötzlichen Ausbrüchen und längeren Sequenzen. Darüber gelagert sind die letzten Worte Daniel Pearls vor seiner Exekution. Seine Stimme wird einer andauernden Serie von Mutationen unterworfen, die Reihenfolge seiner Worte kommt stockend und schaltet in nicht linearen Mustern laufend um. Trotzdem verlieren die Worte nicht ihre ursprüngliche Wirkung, und aus den Mustern ergeben sich neue Sätze (Lee Azzarello, Komponist). Die Projektion besteht aus Material, das von den Kidnappern Daniel Pearls veröffentlicht wurde. Sie hatten den Journalisten, der für das Wall Street Journal tätig war, am 23. Januar 2002 in Karachi, Pakistan, entführt, als er glaubte, sich auf dem Weg zu einem Interview über mögliche Verbindungen zwischen Richard Reid, dem „Schuhbomber“, und Al Quaida zu befinden. Daniel Pearl verliest ein „Bekenntnis“.

Uri sieht seine Arbeit als Schnittstelle zwischen realem und virtuellem Raum. Sie ist virtuell in ihrer Konzeption, zeigt aber auch eine amphibienähnliche Natur, eine Art Hybridzustand an der Verbindungsnaht zwischen verschiedenen Dimensionen. Was Uri uns zeigt, ist ein manipulierter, dekonstruierter Raum. Mit technologischen Mitteln hat er die Realität verändert, hat das Reale zur Illusion gemacht. Er macht damit eine Aussage über die Natur von Nachrichten und Informationen. Das von ihm „geprüfte“ Bild verschwindet fast gänzlich.
Hier belebt Uri den Diskurs über die Natur der Realität und die Natur der Darstellung neu, also darüber, wie Realität dargestellt wird. Was wir sehen, ist eine misslungene Darstellung, eine misslungene Nachahmung der Realität. Es ist keine Mimesis, sondern ein manipuliertes Bild, das auf die Unangemessenheit der dargestellten Realität, wie wir sie kennen, hinweist, ebenso wie auf die mangelnde Zugänglichkeit der Informationstechnologie für jene, mit denen sie uns eigentlich verbinden soll.

Uri verwendet die Computer-Technologie selbst, um diese Ansicht zu demonstrieren. Die Pearl-Tragödie war ein Ereignis, das tatsächlich stattgefunden hat, jedoch im virtuellen Medienraum. Der Protagonist war eine paradigmatische Medienperson, ein Journalist – eine Person, deren Auftrag es ist, Realität zu berichten. Er befand sich plötzlich in einer Lage, die Realität zunichte macht. Die Handlung begann mit einer Reihe von E-Mails, die von den Kidnappern Pearls versandt wurden und Fristen für seine Exekution festsetzten, dann die Medien über seinen Tod informierten und schließlich in dem Band mit seinem Geständnis und der Enthauptung gipfelten.

Diese Exekution, in die sein Bekenntnis eingestreut ist, wird mit Unterbrechungen auf dem anderen Schirm gezeigt, als bewege sie sich flackernd in und aus unserem Gedächtnis. Uri macht hier die Tragödie zu einer Metapher für die Unzugänglichkeit der Täter und all jener, die zu vertreten sie vorgeben, indem sie die Trennung, das Abgeschnitten sein aufzeigt. Der Handlungsablauf wurde von ihnen aufgenommen und ironisch über das WWW in Umlauf gebracht, damit wir, die den Zugang haben, ihn konsumieren können.
Dieses Bild der Isoliertheit wird hier mit den lebendigen Farben eines barocken Malers gezeigt und macht Gewalt in einer Weise sichtbar, die nur mit dem Gemälde der Enthauptung des Holofernes der italienischen Malerin Artemisia Gentileschi vergleichbar ist.

(Henie Westbrook)

Aus dem Englischen von Regina Berger


Mit Unterstützung von „Kunst gegen Gewalt“