Event City, Büchse der Pandora
Eine neue globale Kunstszene
'Hanru Hou
Hanru Hou
Die Gwangju-Biennale ist seit ihrer Gründung im Jahr 1995 eine der wichtigsten globalen Kunstveranstaltungen im asiatisch-pazifischen Raum. Die Veranstaltung des Jahres 2002 (die vierte) trägt den Titel „Pause“. Sie wurde am 29. März 2002 eröffnet und lief bis 29. Juni 2002. Ich wurde gemeinsam mit Charles Esche und Sung Wan-Jyung eingeladen, als Ko-Kurator der Hauptausstellung „Project 1“ zu fungieren. Dieses Projekt präsentiert nicht wie die meisten internationalen Biennalen die modernsten Trends und Kunststars, sondern möchte eine kontextspezifische Veranstaltung sein, die neue kritische Reflexionen über Fragen der globalen Kunst und ihre Beziehung zur Realität der Auseinandersetzung zwischen Globalität und Lokalität entstehen lässt.
Um dieses Engagement auszudrücken, haben wir unter anderem beschlossen, die Ausstellungsräume in eine Art Labor für die neue urban-architektonische Intervention umzufunktionieren. Damit soll ein spezifischer Kontext für den Event geschaffen werden – die Infragestellung des Themas der Urbanisierung als neuer Kontext für künstlerische Aktivität in der heutigen Zeit. Andererseits bewirkt ein solcher Prozess auf jeden Fall eine Konfrontation zwischen Kunst und Architektur und fördert ihr Zusammenwirken. Die Verschmelzung verschiedener Disziplinen ist heute unvermeidlich; wir stehen vor der Herausforderung, neue Identitäten für verschiedene Praktiken zu finden, darunter auch für Kunst und Architektur / Urbanismus. Durch diesen neuen Prozess der Auseinandersetzung können wir beginnen, neue Territorien und Strategien zu imaginieren und zu definieren, die imstande sind, die Spannung zwischen der weltweit zunehmenden Urbanisierung und der Notwendigkeit lokaler Interessen zu lösen. Unser letztendliches Ziel ist es, eine Biennale zu schaffen, die eine Art ständiges Labor für die Neuerfindung urbaner Bedingungen und eines neuen Kontexts für die künstlerische Praxis ist.
1. Die Biennale wollte das allgemeine Thema „Pause“ von Anfang an als einen Bruch mit den etablierten Durchführungsarten von Biennalen verstanden wissen, welche die Schaffung von Kunst auf die „korrekte“ Präsentation von Produkten beschränken. Hier ging es darum, eine neue Richtung einzuschlagen – die Kreativität zu betonen und die Produktivität anstelle der Produkte zu fördern. Es ging darum, Platz für „langsame“ Arbeiten zu schaffen, die ihre Stimmen gegen das hochgradig utilitaristische Evaluierungssystem erheben, das von der kulturellen Logik der Globalisierung, dem Spätkapitalismus, diktiert wird. Als Gegenstück zur Kultur des Spektakels werden Projekte, die sich mit Langsamkeit, Leere und Offenheit auseinandersetzen, als Räume für Kritik konzipiert. „Pause“ ist daher ein dynamischer und kritischer Reflexions- und Differenzierungsprozess.
2. Daraus ergibt sich in logischer Folge, dass die Rollen des Künstlers und des Kunstwerks vor einer großen Herausforderung stehen: Die Subjektivität des Künstlers muss sich dem Dialog des Anderen öffnen, während durch den Prozess der Realisierung von offenen, flexiblen Arbeiten, die sich in Zeit und Raum entwickeln und dabei das Publikum zur Teilnahme einladen, eine aktive und interaktive Beziehung zwischen dem Künstler und der Öffentlichkeit entsteht. Gemeinsam schaffen sie magische Augenblicke, in denen sowohl der Künstler als auch das Publikum wichtige Betrachtungen und Reflexionen über Themen wie Kunst und Gesellschaft, Globalisierung und Lokalität etc. anstellen können. Deshalb steht die Biennale in einer direkten und konsequenten Beziehung zu den Interessen der lokalen Öffentlichkeit. Diese Beziehung ist einzigartig und unersetzbar.
3. Wenn man der Frage der „Globalität“ der Biennale und der Lokalität weiter nachgeht, sollten natürlich auch die etablierten Formen der institutionellen Strukturen und Diskurse in Frage gestellt werden. Indem wir uns gegen den weißen Würfel wenden, den Raum, der für die Präsentation zeitgenössischer Kunst oft als selbstverständlich betrachtet wird, oder gegen die „typische“ Form der Struktur von Biennalen, fördern wir Projekte und Aktionen, die über solche Beschränkungen hinausgehen. Auf einer grundlegenderen Ebene haben wir jedoch verstanden, dass sich das Innovative an der Auseinandersetzung zwischen künstlerischer Innovation und institutionellem Rahmen in den Bemühungen zur Selbstorganisation seitens der Künstler abspielt, die nicht nur versuchen, Unterschiede in der Kunstsprache zu schaffen, sondern sich auch bemühen, unabhängige Räume zu schaffen, die ihren Werken eine neue Freiheit bieten. Dies ist von besonderer Bedeutung im asiatisch-pazifischen Raum, wo es noch keine Infrastruktur westlichen Stils gibt. Viele Künstler haben zur Ermöglichung ihrer radikal experimentellen Arbeit aus alltäglichen Kontexten heraus ihre eigenen alternativen Räume geschaffen. Sie leben und arbeiten in überaus unterschiedlichen und vielfältigen kulturellen Realitäten. Die Formen ihrer Organisationen unterscheiden sich stark und wirken daher sehr bereichernd. Mittlerweile haben sie auch Dialoge über die gesamte Region hinweg zu führen begonnen und ein wichtiges Regionen übergreifendes Netzwerk von eigenen Organisationen und Alternativräumen geschaffen, die die besten Bedingungen für künstlerisches Schaffen bieten.
Auf diese Weise entstand eine der innovativsten Initiativen, die den Beitrag der asiatisch-pazifischen Region zur Schaffung einer neuen globalen Kunstszene stark aufwertet. Diese Künstler haben gezeigt, wie notwendig es ist, der Dezentralisierung der Macht und der Homogenisierung, die durch die immer schneller um sich greifende Globalisierung der Kommunikation und des kulturellen „Austauschs“ geschaffen wird, Widerstand entgegenzusetzen. Anstatt die Notwendigkeit der Globalisierung oder der globalen Zirkulation und Hybridisierung verschiedener Kulturen einfach zu leugnen, haben sie kreative, konstruktive Lösungen vorgeschlagen, die dafür sorgen, dass unsere Zukunft reich und vielfältig bleibt, wobei die Öffnung für die anderen eine unvermeidliche zentrale Aufgabe bleibt. Natürlich beschränkt sich eine Initiative dieser Art nicht auf den asiatisch-pazifischen Raum.
Auch in Europa, Lateinamerika und in anderen Teilen der Welt nimmt die Bedeutung ähnlicher selbst geschaffener Strukturen zu. Bei diesem Biennale-Projekt haben wir versucht, diese Organisationen nach Asien zu bringen, damit ihre Mitglieder ihre Kollegen auf der anderen Seite des Globus kennen lernen können. Die Biennale stellt daher einen ersten Schritt in Richtung eines globalen Netzwerks unabhängiger, selbst organisierter und widerstandsfähiger Strukturen für Kunstschaffende dar. Bei der Veranstaltung selbst fanden ständig solche Begegnungen und Dialoge statt. So war sie kein einmaliges Ereignis, sondern eher einer Büchse der Pandora vergleichbar: Wenn sie einmal geöffnet ist, kann sie nie wieder geschlossen werden. Im Gegenteil: Sie setzt sich fort, entwickelt sich, multipliziert sich und breitet sich in Zeit und Raum unendlich aus. Sie kann auch als Echo auf die aktuelle Kritik an der wirtschaftlichen Globalisierung und ihren geopolitischen Konsequenzen und auf den Widerstand gegen diese Tendenzen betrachtet werden. Noch einmal: Sie beweist, dass wichtige künstlerische Aktivitäten immer in der Realität stattfinden. Deshalb ist sie hochgradig politisch.
4. Die Biennale mit ihrer Vielzahl an standortspezifischen Installationen, und speziell die adaptierten Versionen von „Reproduktionen“ der alternativen Räume, ist keinesfalls nur eine Präsentation von Objekten. Sie ist ein permanenter Workshop, ein lebendiger urbaner Raum mit realen Ereignissen, die die ganze Zeit über geschehen. Sie ist ein dynamisches, komplexes und sich veränderndes System des Schaffens und des Austauschs. Sie ist eine „Event City“.
Um das näher zu illustrieren, wird eine gewisse organisatorische urbane Intervention unvermeidbar. Wir haben Chang Yung Ho und Kim Young-Joon eingeladen, die Rolle von Ausstellungsarchitekten zu übernehmen. Bemerkenswert ist, dass Yung Ho Chang (Leiter des Ateliers Fei Chang Jian Zhu, Beijing) Raumdesigner von „Cities On the Move 1–4“ (1997–1999) war. Er arbeitet eng mit der visuellen Kunstszene zusammen, die sich seit damals entwickelt hat. Tatsächlich ist das Ausstellungsdesign zu einem wichtigen Teil seiner Aktivitäten geworden, ein kondensiertes Territorium für seine urbanistischen Experimente. Es liegt auf der Hand, dass die Rollen der Architekten beim Projekt der Gwangju-Biennale wie bei „Cities On The Move“ weit darüber hinaus gehen, formale Strukturen für die Arbeiten zu konzipieren. Ihre wichtigste Leistung ist eigentlich ein ausgeklügeltes urbanes Planungsprojekt, das der Biennale trotz des Mangels an Ressourcen und Zeit erfolgreich kraftvolle Energie und Komplexität verleiht. Durch ihre extrem intelligente und empfindsame Organisation der Räume, die sich zwischen Installationen / Pavillons und alternativen Räumen, zwischen Dichte und Leere, zwischen Verstopfung und Flüssigkeit, zwischen Innen und Außen etc. bewegt, haben sie ein veritables neues Leben geschaffen, das für das komplexe System des Projekts selbst unverzichtbar ist. Dieses Ergebnis erinnert eindeutig an die urbane Realität asiatischer Städte, die von der explosiven urbanen Erweiterung, der Dichte und der dynamischen wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Modernisierung geprägt wird. Die Praktiken der visuellen Kunst werden nun in einer völlig anderen Umgebung in einen neuen Kontext gestellt. Kunst und Architektur, die in einer organischen Verbindung miteinander stehen, schaffen so eine neue Kategorie von Wissen und Praxis.
Aus dem Amerikanischen von Annemarie Pumpernig
|