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Ars Electronica 2002
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Hidden Worlds




Mixed Reality, MR, und Augmented Reality, AR, sind Bezeichnungen von im Grunde gleichen Technologiekonzepten zur Erzeugung von Inter-Faces (im eigentlichen Sinn des Wortes Interface; facing = „ins Auge fassen“) zwischen Realem und Virtuellem; einer Technologie, welche physikalisch dimensionierte und digital determinierte „Räume“ ineinander spiegelt. Im Gegensatz zum Begriff MR, der eine Methode beschreibt, suggeriert Augmented Reality – durchaus fragwürdig – die Möglichkeit einer Aufwertung der Wirklichkeit durch „Anreicherung“ – was immer unter Wirklichkeit auch verstanden wird. (Das deutsche Synonym für Realität, Wirklichkeit, kommt der Vielschichtigkeit der Wirklichkeitskonzepte insofern näher, als es ein Wirkungsgefüge und damit etwas nicht per se den Sinnen Zugängliches, anspricht.) Das Ausstellungsprojekt Hidden Worlds nimmt Bezug auf diese Idee der Aufwertung bzw. Erweiterung durch Anreicherung – wenn auch nur in dem Sinn, dass sich Wirklichkeit seit je als eine Art Versteckspiel (zwischen Wahrnehmung, dem Zeugnis der Sinne und theoretischer Erkenntnis) darstellt, das Ent/deckung zur ersten Teilnahmebedingung hat. Entdeckungen, Momente, wenn das nicht Offenkundige einsichtig wird, führen zu einer an Wirklichkeit, an Zusammenwirkungen und deren Verständnis reicheren „Realität“. Augmented Reality ist so gesehen eine Technologie zur Aufwertung der Realität durch Erkenntnis, sie ist – fragwürdig – eine Entdeckung der Wirklichkeit.

Diesem fragwürdigen Ansatz begegnet Hidden Worlds mit Humor. Fokussiert wird die Parallelität der sinnlich orientierten und der elektronischen Welt. Die Vorstellung von Virtualität als eine Art Welt der Geister ist dabei durchaus gewollt: Sie führen ihr Eigenleben, und nur wenn man ein Medium ist oder ein Medium hat, erhält man Zugang. Weniger mystery-mäßig formuliert, geht es um die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Omnipräsenz der digitalen Welt. Immerhin ist ein Leben abseits eines technischen Kontinuums spätestens seit der Erfindung des Radios und der ersten Funkexperimente von vor über 100 Jahren nicht mehr realistisch; seither, und mehr noch mit dem virtuellen Datenraum, umgibt uns gleichsam eine zweite Welt, die permanent von der „ersten“ generiert wird und mit dieser interagiert. Diese ästhetisch zu lokalisieren, zugänglich zu machen und zu gestalten ist die Absicht von Hidden Worlds.

Hidden Worlds
knüpft aber auch an die vorangegangene Ausstellung Print on Screen an, in der es um Text und Schrift als Medium der Interaktion ging, und verlagert das Thema auf Sprache und Stimme.

Hidden Worlds has been conceived and curated by Gerfried Stocker.
Realisation: Ars Electronica Futurelab / Project Management: Dietmar Offenhuber
Technical Implementation: Gerold Hofstadler / Exhibition Design: Scott Ritter

The exhibition was made possible by the generous support of SAP.

The Hidden World of Noise and Voice
Ars Electronica Futurelab/A, Golan Levin/USA, Zachary Lieberman/USA, Christoph Lindinger/A, Dietmar Offenhuber/A, Michael Breidenbrücker/A/UK, Gerfried Stocker/A, Robert Abt/A, Robert Praxmarer/A, Stefan Mittlböck/A
Im Zentrum der Ausstellung steht das Multi-User-Augmented-Reality-System The Hidden World of Noise und Voice – eine Tafelrunde für sechs mit sogenannten See-through-Datenbrillen ausgestattete Menschen. Die Brillen erlauben einerseits eine uneingeschränkte Sicht auf den realen umgebenden Raum und die übrigen Teilnehmer, andererseits das Einspielen virtueller Daten in das Gesichtsfeld. Solcherart kann die reale Situation augmentiert (optisch überhöht, angereichert, kommentiert, interpretiert) werden.

Geräusche in diesem Multi-User-Augmented-Reality-System werden sowohl ihrer klanglichen Charakteristik als auch ihrer räumlichen Quelle entsprechend in grafische Informationen umgewandelt. Das heißt, der Computer lokalisiert beispielsweise ein Fingerschnippen und visualisiert – über diverse Algorithmen und Zuordnungsmodelle – an der Hand des Schnippenden ein grafisches Analogem – etwa in Form einer kleinen Explosion. Bildet jemand einen trägen, tiefen Laut, wird dieser auch als träge, dicke 3D-Grafik dargestellt – wie ein fetter Wurm, der sich aus dem Mund windet. Durch kurze prononcierte Geräusche kommen in Form und Verhalten entsprechende Objekte zustande. So füllen die Geräusche bzw. deren visuelle Umsetzungen (Avatare) sukzessive den vorher leeren Raum mit einer dynamischen, formenreichen Welt von Computergrafiken. Auf diese Weise wird nicht nur ein Kommunikationsraum etabliert, in dem man sich gleichsam Worte zuwerfen kann, man wird auch in die Lage versetzt, das üblicherweise in unserem (Resonanz-)Körper erfolgende Formen von Klang zu externalisieren, der eigenen Stimme eine Gestalt zu geben.

Um The Hidden World of Noise und Voice gruppiert sind außerdem einige Observations-Einheiten, die es auch Außenstehenden ermöglichen, Einblicke in das augmentierte Geschehen zu erhalten.

Thanks to Malcolm Slaney and Christopher Wren
RE:MARK
Golan Levin
Geht es bei The Hidden World of Noise und Voice um Klang und Stimme abseits ihrer semantischen Natur, so geht es bei dem Projekt RE:MARK von Golan Levin um die symbolische Bedeutung von Lauten, um jenen Moment, wenn die Stimme durch Lautbildung zu Sprache, einem Symbol- und Zeichensystem, wird.

Die menschliche Stimme ist unser erstes Kommunikationsinstrument. Phonografische Schriftsysteme, die Sprache zum späteren Retrieval in räumliche Formen transkribieren, sind meist nicht in der Lage, die vielschichtigen Dimensionen von Zeit, Sprachtimbre und Sprachmelodie einzufangen, die diese komplexen Laute charakterisieren. Sprache ist kein abstraktes semantisches Signal, sondern ein Raum, der ein Energiefeld einnimmt. In RE:MARK verwandelt sich das Volumen der Laute interaktiv in dynamische, räumliche Formen – ein Versuch, die verborgene Welt gesprochener Energie sichtbar zu machen.

Sechs Personen sitzen rund um einen Tisch. Ihre Laute konstituieren das virtuelle Pendant zu dieser räumlichen Situation. Laute werden in dreidimensionale Objekte umgewandelt und wirken mit dem Raum der Wahrnehmung zusammen. Durch Phonem- und Sprachanalyse differenziert der Computer zwischen Geräusch, gesprochenem Buchstaben, Vokal oder Wort und erzeugt auf Basis seiner Interpretationen Sprechblasen mit Zeichen – etwa beim Wort „Auto“ das entsprechende Icon. Die Darstellung erfolgt über Projektion auf eine Wand, vor der zwei Personen einander gegenüber sitzen und miteinander sprechen. Aus den Schatten der Köpfe tauchen die Sprechblasen mit den jeweiligen Zeichen auf. Losgelöst vom Sprechenden durchdringen die Formen den Raum und werden von ihm durchwirkt. Nur die Runde am Tisch wird Zeuge dieses Vorgangs, dem außenstehenden Beobachter offenbart sich die Simultanität der beiden Welten nur vermittels deren alternierender Bilder, und es ist Leistung des Betrachters, sie einander zu überlagern.

Realized with support of the Siemens Artist in Residence
Project at Ars Electronica.
Tool’s Life
minim++ (Motoshi Chikamori+Kyoko Kunoh)
Wir sind von verschiedenen Instrumenten und Werkzeugen umgeben. Normalerweise meinen wir, ein Löffel sei dazu da, etwas zu essen, und ein Kamm, jemandes Haar zu kämmen. Aber dienen diese Gegenstände nicht auch anderen Zwecken?

Erforschen wir das einmal in einem Haus zur Geisterstunde! Im Mondlicht schimmern Instrumente auf einer Tischplatte. Wenn man eines vorsichtig berührt, nimmt der Schatten verschiedene Formen an. Obwohl die Instrumente selbst ihre Form nicht verändern, können ihre Schattenbilder ihren wahren Charakter offenbaren.

Im Japanischen ist kage der Schatten, der auf dem Boden hinter einem Gegenstand erscheint, der dem Licht im Wege steht. Es ist der Schatten dessen, was vom Licht nicht berührt wird, die Silhouette, die an eine Wand projiziert wird – der „Schatten“, der die Existenz eines Gegenstands selbst symbolisiert.

Auf den ersten Blick kann kage eher als Imitation eines Gegenstands empfunden werden – als etwas, was nur Konturen und äußere Form darstellt. Aber manchmal kann es auch die wichtigen Aspekte eines Gegenstands hervorheben und seine ihm innewohnende Qualität offenbaren. In dieser Hinsicht ähnelt es eher einem Gedächtnisfragment, das bereits zu verblassen beginnt.
Auf dem Tisch Tool’s Life finden Sie eine Reihe von kage. Vielleicht finden Sie sogar ein kage, das Sie irgendwo unterwegs verloren haben.

Aus dem Englischen von Annemarie Pumpernig