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Ars Electronica 2002
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Festival 1979-2007
 

 

Sintflut


'Detlef Heusinger Detlef Heusinger

Sintflut ist ein Videotriptychon mit Orchester und Elektronik, welches in einer ersten Fassung bei den Donaueschinger Musiktagen 2001 uraufgeführt wurde und nun in modifizierter Form präsentiert wird. Das Orchester ist in drei Gruppen aufgeteilt und steht in wechselnder Korrespondenz zu drei parallel laufenden Filmen (ähnlich dem triple ecran von Abel Gance). Die fünfkanalige Tonbandzuspielung bildet eine direkte Referenz zu den Filmen und Orchestergruppen. Die Filme selbst haben über weite Strecken gleiche oder ähnliche Motive, diese allerdings in unterschiedlichen Einstellungen. In den gezeigten Szenen wechseln Abschnitte extremer Langsamkeit mit Teilen extremer Geschwindigkeit. Die auf den zusätzlich aufgestellten Monitoren laufende Version zeigt die Fernsehfassung, die eine Verräumlichung behauptet. Die Filme wurden in Österreich, Deutschland, Ungarn und Italien gedreht, die Postproduktion wurde beim SWR Baden-Baden und dem ZKM Karlsruhe (hier auf Inferno) realisiert.

Mit dem Video-Triptychon Sintflut versucht Detlef Heusinger, fußend auf dem apokryphen Buch Henoch, eine Verknüpfung akkadischer, hellenistischer und jawhaistischer Sint-/Sündflutsagen. Henoch, der Schreiber Gottes, Vorfahre und Stammvater Noahs, begibt sich auf eine Traumreise, auf welcher ihm die mythologischen Figuren Philemon und Baucis, Andromeda und der Säulensteher Simeon wie Chimären erscheinen, welche von menschlicher Hybris künden. Offensichtlich befinden wir uns bereits in einer Zeit nach einer globalen Katastrophe, da von den wirklichen Menschen ihm als Begleitung nur ein Findelkind geblieben ist, welches ihm in einem Kahn zutrieb. Dieser Kahn wird zur vermeintlichen Rettungsinsel, da eine stetig steigende Flut nach dem Sterben der Menschheit auch noch die Landschaften verschlingt. Die Reise endet in der Unterwelt, mit einem Gang ins Licht, der alle Fragen offen lässt.

Der Film stellt den Versuch dar, die Ästhetik Tarkowskys mit den Möglichkeiten der Videokunst zu verbinden. Bei aller Problematik des Unterfangens entsteht zumindest ein neuartiger Umgang mit den Parametern Farbe und Rhythmus, auch im musikalischen
Bezug.

Introduktion
Ein Kieswerk im Gegenlicht. Die Sonne strahlt sich durch das Spinnenförderband. Himmel in Überblendung vom wirklichen zum unwirklichem Wilhering-Fresco. Über Kreuz zu Jesus mit Corona. Ein Schaf wächst ins Bild, Lamm Gottes oder Klonschaf Dolly. Am Horizont ziehen Schäfchenwolken. Und im Schafauge fokussiert sich die Welt.
Die Reise
Der MANN geht. Findet die tote Taube im Kies. Taube Noahs wie Friedenstaube. Close-up zu den Maden. Alles kreist. Er weiter. Setzt sich dann in den Kies und wirft Steinchen. Vor sich, nicht hinter sich wie Deukalion etwa. Dieser ein Demiurg, er ein Zähler und Erzähler, ein Schreiber Gottes vielleicht, wie Henoch. Nun weiter, mit nackten Füßen über karstigen Boden. Sieht dort die Schlange, fast verendend. Untersucht sie, spielt mit ihr und legt sie auf einen Baumstumpf. Dann im Lager. Der MANN haucht eine Scheibe an, malt eine Zahl auf diese und tritt ein, hinein in den Grünspanraum. Geht durch die Leere, stellt sich ans Fenster. Sieht: Mauern, Türme, Stacheldrähte, alles stürzt auf ihn ein. Er spürt die Kälte Lykaons, des Vorfahren der Meister aus Deutschland. Climax.

Jetzt im nebligen Wald, hin zur Kate von Philemon und Baucis. Die beiden Alten, erstarrt auf dem Tisch sitzend, dem steigenden Wasser ausweichend, warten auf ihre Baumexistenz. Unter ihnen schwimmt eine Kinderarche, die Tiere herausgepurzelt. Er nimmt eines. Spielzeug, überflüssig für kinderlose Traumpaare. Er hinaus. Draußen schaukelnde Kirchenschiffe. Er watet weiter durch überschwemmte Landschaften. Am Himmel zeichnet der Erzengel das Unheil. Der Drache umschlingt den Teufel. Knietief im Wasser, entdeckt er Andromeda, gefesselt am Baum, nicht am Felsen. Er, anstatt Perseus, befreit sie. Sie bittet gebärdend um eine Münze. Legt sie sich in den Mund für Charon. Steigt in die Fluten und versinkt. Nur Wellenringe zurück lassend. Ein Kind in einer Zille. Allein. Ausgesetzt, verlassen? Etwa für Elpis stehend? Es spielt mit kaputter Puppe und Schaf. Das Boot treibt steuerlos die überschwemmte Straße entlang, vorbei an halb versunkenen Verkehrsschildern, welche, überflüssig geworden, keine Richtung mehr weisen können. Der MANN hält das Boot an, das KIND reicht ihm ein Ruder. Er hinein in die Zille. Zusammen treiben sie dahin, der Strömung folgend. Am Friedhof vorbei, vorbei an versunkenen Kreuzen mit ertrinkenden Heilanden. Genagelte schreiten nicht übers Wasser. Darüber bricht sich der barocke Himmel. Groteskes Farbenspiel.

Das Boot gleitet eine Allee entlang. Er rudert. Sein Blick wandert über den Dachfirst eines versunkenen Hauses. Überschwemmte Landschaft mit Telefonmast ohne Grund. Das Boot treibt, mit MANN und KIND, auf den Lebensbaum zu. Dieser erscheint in Dreifaltigkeit. Und wieder kreisen Kirchenhimmel.

Aus den Wolken heraus, Sicht auf die Zille vor sinkendem Kirchturm. Im Wasser die tote Taube, ihr Gefieder zerfetzt, inwendig von Maden zerfressen. Das Boot verschwindet hinter dem Turm. Der wird vorn Blitz getroffen. Zero. Die Katastrophe bricht herein. Weltenbrand und Sintflut in einem.
Epilog
Im U-Boot Bunker, der Unterwelt. Der MANN, heraus aus dem Boot, nimmt das KIND auf den Arm. Schreitet durch das Betonland. Auf Bunkerwänden erscheinen Baum, Kirche und der Gekreuzigte. MANN und KIND rasten bei einer Schaukel. Er schreibt. Dann die beiden weiter zu einem Wasserbecken, eingeschlossen von einem Feuerkreis. In diesem Simeon, der Säulensteher, nackt, wirr gestikulierend. Das Ende: Ein Gang durch ein brennendes Tor, hin zum Licht.

Film

The MAN: Erich Josef Langwiesner / Philemon: Albert Nobis / Baucis: Monika Geschwendtner / Andromeda: Suni Löschner / The CHILD: Annina Heusinger / Simeon: Martin Müller-Reisinger

Camera: Lukas Kronsteiner, Bernhard Pevny / Film Editor: Barbara Brückner
Special Effects: Christian Fritz

Production Staff: Martin Rimpf, Thomas Hummel, Volker Böhm, Michael Acker, Karl-Heinz Drähn, Bernd Drewes, Isabel Theiler, Diana Heusinger, Gudrun Springer, Afshin Amin,
Script, Music, Set Design, Direction: Detlef Heusinger / Production: ton-ART, Detlef Heusinger

Music

Slowakian Philharmonic Orchestra and experimental studio of the SWR’s Heinrich Strobel Foundation, Freiburg / Sound Direction: Andre Richard / Music Informatics and Sound Direction: Thomas Hummel, Joachim Haas / Technical Assistants: Bernd Noll, Technik, Alexander Noelle / Direction: Manfred Mayrhofer

Sintflut was commissioned by SWR
Postproduction was done in cooperation with SWR Baden-Baden and ZKM Karlsruhe. The electronic music was produced in the experimental studio of the Heinrich Strobel Foundation of the SWR Freiburg.
Supported by: Film Subsidy Program of the Province of Upper Austria, Film Subsidy Program of the City of Linz, Bremer Theater, Linz University of Art

The performance as part of the Ars Electronica Festival is being staged in cooperation with Brucknerhaus Linz.