UNPLUGGED
Kunst als Schauplatz globaler Konflikte
'Gerfried Stocker
Gerfried Stocker
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'Christine Schöpf
Christine Schöpf
UNPLUGGED ... das ist der gerissene Faden, der Bruch in bislang kontinuierlich nach oben gedachten Entwicklungslinien, der Abgrund entlang der Pfade der Fortschrittskarawanen ... UNPLUGGED geht von der Faktizität einer global vernetzten Welt aus, der sich auch fern der dominanten Kapitaltriade USA-Europa-Japan niemand entziehen kann (unabhängig davon, wie weit man von der nächsten Steckdose entfernt sein mag). UNPLUGGED widmet sich den blinden Flecken der Globalisierung, jenen Barrieren mentaler wie geografischer Art, an denen der Anschluss und die Teilnahme an dieser globalen Vernetzung („dem Netz“) und den darüber transportierten Kultur- und Gesellschaftsmodellen nicht möglich, nicht erlaubt oder auch gar nicht gewollt wird.
UNPLUGGED stellt sich somit auch unserem eigenen Unvermögen, eine Vernetzung mit „den Anderen“ über die Ausübung und Wahrung unserer Einflusssphären hinaus einzugehen. Kontinuierliches Wachstum als Messgröße des Fortschritts ist – nicht erst seit dem Durchbruch des WorldWideWeb zu einer gesellschafts- und kulturprägenden Kraft – zu einer Standardannahme der modernen Gesellschaft geworden. Das Paradigma einer ständigen Zunahme technischer Leistungsfähigkeit, der periodischen Verdopplung der Prozessorgeschwindigkeit, ist zum Symbol und Leitmotiv der gesellschaftlichen Entwicklung geworden. Aber spätestens seit den Ereignissen des 11. September 2001 hat der Glaube an eine kontinuierlich nach oben und vorwärts gedachte, sich ständig steigernde Weiterentwicklung einen tiefen Riss, einen abrupten Bruch erfahren. Diese Zäsur ist der Ausgangspunkt der Überlegungen zu UNPLUGGED: Einer Demaskierung ähnlich wurde ein Vorhang aufgerissen und die Ungleichzeitigkeit globaler Entwicklungen plötzlich offensichtlich. Mit einem Schlag wurde klar, wie dünn das Eis ist, auf dem sich die globalen Kräfteverhältnisse bewegen, und die Entwicklungen seither haben diese Unsicherheit nur noch verstärkt.
UNPLUGGED ... ist auch die Frage, wer die Welt organisiert, wenn Politik und traditionelle Institutionen nicht mehr mit ihr fertig werden ... Netzwerke? Die problematische Ungleichzeitigkeit kann als eine der zentralen Ursachen für die global-gesellschaftlich schwelenden Krisen verortet werden, für Konfliktpotenziale und Kriege, die längst entstaatlicht sind. Dabei darf die Rolle der global vernetzten Medien, speziell der elektronischen Bildmedien, die wesentlich zu einer Internationalisierung, zu einer globalen Omnipräsenz von Konfliktszenarien beitragen, nicht unbeachtet bleiben. UNPLUGGED ist also auch eine Beschreibung der aktuellen global-gesellschaftlichen Befindlichkeit.
In ihrer Gleichzeitigkeit haben der Siegeszug des WorldWideWeb sowie Glasnost und der Fall des Eisernen Vorhangs einst Anlass zu beflügelten Visionen und Utopien gegeben. Eine freie, offene Weltgesellschaft schien greifbar auf Basis einer technologischen Infrastruktur (Collective Mind, Global Village etc ...), die einen weltweiten Informationsaustausch fernab von Zensur und Marktinteressen möglich machen würde. Man meinte, den Schlüssel zu einer besseren Zukunft in der Hand zu halten.
Die tatsächliche Entwicklung verlief anders: Die digitale Technologie wurde zum Symbol und Motor der globalen ökonomischen Vernetzung, die jeden Menschen betrifft und einschließt; eine Realität, der sich niemand entziehen kann. Diese so erreichte globale Ökonomie basiert allerdings auf Demarkation von „Delivering“ und „Consuming“ und ist gekennzeichnet durch Ab- und Ausgrenzung entlang wirtschaftlicher Interessen. Statt zu einer Neuordnung globaler Beziehungen, die auf horizontaler Vernetzung und Partizipation beruht, kam es auf Basis der neu etablierten, weltweiten Kommunikationsstrukturen zu einem entfesselten Kapitalfluss. Aus denselben infrastrukturellen Rahmenbedingungen war das exakte Gegenteil der utopischen Netzphilosophie entstanden. Partizipation findet so nur in eine Richtung statt. Mit expandierendem Warenabsatz im Stile des globalen Brandings werden gleichzeitig Kultur- und Gesellschaftsmuster transferiert, die wiederum den Boden bereiten für noch weiteren Warenabsatz: Nivellierung statt kulturellem Pluralismus.
Die Globalisierung, über die digitale Beschleunigung finanzieller Transaktionen als dominierendes Prinzip des aktuellen gesellschaftspolitischen Weltgefüges eingesetzt, ist – ganz im Gegensatz zu den möglichen Potenzialen der Technologien, derer sie sich bedient – keine offene, verbindende, sondern eine auf Ausschließung und Ausgrenzung basierende Praxis.
Nicht können, nicht dürfen, nicht wollen UNPLUGGED versteht sich auch als Auseinandersetzung mit jenen Bereichen geografischer wie mentaler Natur, denen eine aktive Teilnahme an der weltweiten Vernetzung aus technologisch-ökonomischen Gründen nicht möglich, aus machtpolitischen Gründen nicht erlaubt oder aus ideologischen bzw. religiösen Gründen möglicherweise gar nicht willkommen ist. Teilnahme – die eigentliche Grundbedingung für Vernetzung – ist, was gerne vergessen wird, für zwei Seiten tatsächlich erst in einer dialogischen, also bidirektionalen Situation möglich.
Ars Electronica 2002 verweist mit dieser Themenstellung aber auch auf die Vehemenz, mit der die Frage nach dem politischen Moment der Kunst auf die Tagesordnung der intellektuellen Diskurse als auch künstlerischen Praxis zurückgekehrt ist – eine Entwicklung, die sich nicht nur in den Reflexen auf 911, sondern auch schon entlang der Protestbewegung von Seattle, Genua und Porto Alegre abgezeichnet hat und wesentlich von der Generation der Computerkids getragen und gestaltet wird.
Die Frage nach der Kunst als Schauplatz globaler Konflikte ist die Frage nach der viralen Kraft von Kunst, nach ihrer Eignung, alternative Denkmodelle, Strategien und Wege zu erfinden. Das Konzept von Kunst als Antithese, als Korrektiv und Gegenposition zur Gesellschaft, ist auch untrennbar verbunden mit dem Konzept von Radikalität und Widerstand, ein Konzept, das die zeitgenössische künstlerische Arbeit vielfach identitätsstiftend begleitet hat und seit dem Anschlag auf das WTC heftig in Frage gestellt und einer Neubewertung unterzogen wird.
Damit wirft Ars Electronica 2002 auch einen Blick auf das Selbstverständnis und Problembewusstsein einer jungen Generation von MedienkünstlerInnen und befragt ihre Positionen zu den gesellschaftspolitischen und kultursoziologischen Implikationen der Technologien, die sie einsetzen.
Der Blick über den eigenen Horizont hinaus soll sich dabei mit dem „der Anderen“ kreuzen und austauschen und so dieses Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft selbst zu einem Schauplatz der komplexen Dynamik einer globalen Neuorientierung machen.
R. Buckminster Fuller: Re-Mapping Our Mental Model of the World
R. Buckminster Fuller’s Dymaxion Map helps us to replace our 16th century mental model of the world with views of “spaceship earth” that are attuned to the 21st century and to the discussion of the different aspects of being UNPLUGGED.
Even someone who has never heard of the Dymaxion Map need only glance at the logo representing the theme of Ars Electronica 2002—UNPLUGGED—to directly experience the effects of this revolutionary concept. What might at first seem to be merely a solution to the deficiencies of the classical projection of the globe into a two dimensional map is in fact the introduction of a radically new view of the earth. The practical philosopher R. Buckminster Fuller invented the so-called Dymaxion Map (an acronym derived from: dynamic + maximum + tension) to replace the Mercator projection that has been used for centuries and is still the dominant model for viewing and describing the world. As early as the 1930s, Buckminster Fuller analyzed the distribution of resources on earth and saw the need to replace the worldview of the 16th century with one for the 20th century. World War II, air travel and the understanding of living on “spaceship earth”—the term he coined and for which he is probably most famous—led to the full development of the Dymaxion Map, which allows us to recombine its 14 segments and to describe the world from different viewpoints—for instance, the worldview of US imperialism, that of Hitler’s Third Reich or Japan’s visions of an empire as Buckminster Fuller analyzed them.
Now, at a time of globalization and in a world in which the concept of distance has become more relative than ever, this model assumes new and enhanced importance. The discussion of globalization and the critique of it demand a method to recast our mental model of the world that goes back to the days of the conquistadors and should indeed be replaced by one appropriate to the 21st century. Merely reading about the Dymaxion Map is hardly a substitute for personally experimenting with it. R. Buckminster Fuller was an inventor, architect, engineer, mathematician, poet and cosmologist, but he saw himself above all as a “practical philosopher” who demonstrated his ideas as inventions he called “artefacts.” It was his declared intention to enable all “of humanity to see total Earth, [because] nothing could be more prominent in all the trending of all humanity today than the fact that we are soon to become world humans.” This and his other ideas make him one of the true intellectual pioneers of the approach that is being taken by Ars Electronica 2002—UNPLUGGED.
(Andreas Hirsch)
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