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Das Télécentre Communautaire Polyvalent in Timbuktu/Mali


'Birama Diallo Birama Diallo

1. Das Télécentre Communautaire Polyvalent (TCP)
Das Télécentre Communautaire Polyvalent („gemeinschaftliches multifunktionelles Telezentrum“, TCP) von Timbuktu ist Teil einer Reihe von Projekten, die im Rahmen der Initiative von Buenos Aires von der UNESCO, der ITU (International Telecommunication Union) und dem IDRC (International Development Research Centre) gemeinsam ins Leben gerufen wurden. Die Kurzcharakteristik dieses Projektes lautet: „Planung und Umsetzung eines gemeinschaftlichen multifunktionellen Telezentrums: Integration von öffentlichen Dienstleistungen in den ruralen Raum unter besonderer Berücksichtung folgender Bereiche: Bildung, Bibliotheken, Kultur, Gesundheit, Landwirtschaft, Fischzucht, Klein- und Mittelbetriebe, Handwerk, Platz der Frau in der Gesellschaft“.

Das TCP hat zum Ziel, die ländliche Entwicklung anzukurbeln, indem es den Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien erleichtert. Das Projekt ist auf eine Dauer von drei Jahren angelegt (Dezember 1997 bis August 2001). Allerdings konnte das Projekt tatsächlich erst im August 1998, also mit sechsmonatiger Verspätung, starten.

Auf lokaler Ebene untersteht das TCP einem örtlichen Steuerungskomitee, das sich aus Vertretern der verschiedenen Einrichtungen (Handwerkern, ländliche Radios, Gesundheitsbereich, Bildung, Bibliotheken etc.) zusammensetzt; auf nationaler Ebene untersteht es einem nationalen Komitee aus Vertretern der verschiedenen involvierten Ministerien.
2. Die Ziele des TCP
Wesentlichstes Ziel des Projekts ist es, die Gemeinde von Timbuktu sowie die Teilnehmer auf nationaler Ebene in die Entwicklung eines leistbaren, reproduzierbaren und praktikablen Modells für ein TCP einzubeziehen, das den Zugang zu den Tools der IKT sichert und damit die Entwicklung der ländlichen Gebiete fördert.

Das Modell muss leistbar sein, was die Kosten betrifft; es muss insofern reproduzierbar sein, als es andere Gemeinden nach dem Vorbild von Timbuktu übernehmen können müssen, und es muss wirtschaftlich sein, d. h. es muss finanziell autonom und in der Lage sein, die anfallenden Kosten selbst zu bestreiten.

Im Speziellen verfolgt das TCP folgende Ziele: Es werden Methoden getestet, die es erlauben, das TCP nach dessen voller Implementierung an die Gemeinde zu übergeben. Außerdem werden Strategien entwickelt, die es erlauben sollen, die Bedürfnisse der zukünftigen User abzudecken und Informationen zu sammeln. Ein weiterer Aspekt sind die Erarbeitung von Strategien zur Ausbildung der ländlichen Bevölkerung im Gebrauch der IKT und das Testen von Ausbildungsprogrammen für den Einsatz der IKT.
3. Welche Strategien entwickelt das TCP?
Das TCP verfolgt drei strategische Hauptachsen:
  • Auf lokaler Ebene wird ein Kern von Usern (30 Personen, die von den verschiedenen beteiligten Einrichtungen selbst nominiert werden) bestimmt, die sich mit den Möglichkeiten des TCP vertraut machen und diese dafür unentgeltlich nutzen können. Dieser Personen sind die Ansprechpartner in Sachen TCP innerhalb der Gemeinschaft.

  • Es werden 13 Anwendungsteams gebildet, deren Mitglieder ebenfalls von den beteiligten Berufsgruppen bestimmt und die in Hinblick auf die konkreten Anwendungen und in Abstimmung mit den Ansprechpersonen ausgewählt werden.

  • Die Entwicklung von anwendungsorientierten Projekten mittels Bedarfsanalysen, Machbarkeitsstudien, Klärung von Finanzierungsmodalitäten und praktischer Umsetzung.
4. Die Dienstleistungen des Telezentrums
Nach einer Analyse der Informations- und Kommunikationsbedürfnisse der Gemeinde von Timbuktu hat das TCP folgende Dienstleistungen entwickelt:
  • Öffentliche Telekommunikationsdienste (öffentliches Telefon, Fax, Email, Videokonferenzen, Net-Meeting, Voice Mail und Recherche im Internet);

  • Die Betreiber ländlicher Radiostationen erhalten Zugang zur Infrastruktur und zum Expertenwissen im Bereich Bildung sowie zu allen anderen gewünschten Informationen in den Bereichen Public Domain, NGO, kommerzielle Datenbanken, Gesundheit von Mutter und Kind etc.;

  • Es werden Equipment und Wissen in Sachen Informationsbereitstellung, Datenbankentwicklung und Publizieren bereitgestellt, die auf das lokale Wissen und die lokalen Kompetenzen abgestimmt sind;

  • Es werden Programme zur Ausbildung im Einsatz von IKT entwickelt, die vor allem auf eine Verbesserungen der Lage in den Sparten Tourismus und Handel abzielen;

  • Es werden Ausbildungen ermöglicht, die den Bedürfnissen der Gemeinschaft entsprechen (Fernunterricht, technologieunterstützte Berufsausbildung etc.);

  • Telemedizin;

  • Das TCP vermietet Büroräume und Konferenzsäle, stellt Übersetzungsdienste zur Verfügung und bietet Unterstützung im gewerblichen Bereich;

  • Es wird die kommerzielle Erstellung von Websites angeboten;

  • Das Telezentrum gibt die Zeitschrift Annoura („Die Wahrheit entspringt dem Lichte“) heraus, die als Informationsquelle für die ländlichen Radiostationen dient;

  • und es organisiert das sogenannte Radio-Browsing.
5. Wer sind die Nutznießer des Telezentrums?
Der hauptsächliche Nutznießer des TCP ist die Gemeinde von Timbuktu als Ganzes, vor allem der Kreis Timbuktu, aber auch andere Kreise in der Region Timbuktu, auch wenn die großen Distanzen zwischen den einzelnen Orten gewisse Probleme schaffen. Einige der wesentlichsten Nutznießer sind:
  • Die Bibliotheken, im Speziellen das Programm „Lecture Publique“, das berühmte Dokumentations- und Forschungszentrum Ahmed Baba (CEDRAB) sowie die Schulbibliotheken;

  • die Schulen (das Lycée Mahamane Alassane Haïdara, die öffentlichen und privaten Grund- und Oberschulen; Koranschulen; Kindergärten);

  • der Gesundheitssektor (die regionalen Spitäler);

  • die Handwerker;

  • der Tourismus;

  • die ländlichen Gebiete, wobei der Schwerpunkt auf Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei liegt. Hier bilden hier die ländlichen Radiostationen das wesentliche Interface;

  • Initiativen zur Förderung der Frauen und der Jugend.
6. Welche Aktivitäten werden vom TCP gesetzt?
Die Einrichtung des TCP erstreckt sich auf eine Periode von drei Jahren, die in verschiedene Phasen unterteilt wird, wobei jeweils andere Aktivitäten den Schwerpunkt bilden.

Phase I: Sechs Monate
Am Anfang standen die Planung und Implementierung der Telekommunikationsinfrastruktur, die Adaptierung des Gebäudes und die Einrichtung des TCP sowie die Ausarbeitung von Strategien und Bereitstellung der Kapazitäten. In einem zweiten Schritt wurde eine innovative Gemeinschaft von Hauptusern gebildet, die eine klare Vision darüber erarbeitete, was die Produktion von Information und der Kommunikationsprozess innerhalb der Gemeinde von Timbuktu bedeuten könnten. Parallel dazu wurden Strategien entwickelt, die auf die lokalen Bedürfnisse in Sachen Information und Ausbildung abgestimmt sind.

Phase II: 24 Monate
Während dieser Phase wurden auf Grund der in Phase I erarbeiteten Strategien spezielle Applikationen entwickelt, die für die lokalen Bedürfnissen maßgeschneidert sind.

Phase III: Sechs Monate
Hier fanden die Vorbereitungen für die Ausweitung der Nutzung des TCP auf die gesamte Gemeinde von Timbuktu statt: Es wurden neue Partnerschaften auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene eingegangen, was auch eine höhere Rentabilität sichern soll.

Phase IV: Sechs Monate
In dieser Phase wurden nationale und internationale Partnerschaften eingegangen und das Projekt evaluiert.
7. Die Infrastruktur des Projekts
Das Telezentrum ist zur Zeit mit 20 Computern ausgestattet (die Hälfte davon ist gebraucht), die über eine 64kbps-Breitband-Leitung ans Internet angeschlossen sind. Diese Verbindung wird durch eine VSAT-Antenne sichergestellt, an die Router und Server angeschlossen sind, die in einem hermetisch abgeschlossenen Raum untergebracht sind, wo sie vor Staub und Hitze geschützt sind. Außerdem verfügt das Telezentrum über folgendes Equipment: einen Fotokopierer, mehrere Scanner, Drucker und Fax-Maschinen, öffentliche Telefonzellen, eine Digitalkamera, ein Radio-Kit und ein Tool-Kit. Diese Ausrüstung kommt tagtäglich zum Einsatz, um die Nachfrage seitens der User zu befriedigen.
8. Wer betreibt das Telezentrum?
Neben den Mitgliedern der lokalen und nationalen Steuerungsgruppe (die die Entwicklung des TCP unterstützen) sind beim TCP fünf Personen angestellt, die alle aus der lokalen Steuerungsgruppe vor Ort rekrutiert wurden: ein IT-Spezialist, ein für die Ausbildung Verantwortlicher, ein Marketingfachmann, ein Buchhalter und ein Wartungstechniker. Ein nationaler Koordinator mit wirtschaftswissenschaftlichem Background wurde vertraglich für drei Jahre verpflichtet und koordiniert die Implementierung des Projekt.
9. Welche Applikationen werden am Telezentrum entwickelt?
Mehr als zehn verschiedene Applikationen wurden von den zehn Partnerverbänden des Telezentrums als relevant für die User eingestuft. Im Zuge dieser Untersuchungen, bei denen hundert Personen befragt wurden, wurde ein sehr reales Bedürfnis nach Information und Kommunikation festgestellt: Als z. B. die Interviewten über die Radiosendungen befragt wurden, gaben 80 Prozent von ihnen an, dass die Radiostationen in Timbuktu lediglich Musik senden. Dieselbe Studie wurde Mitte Februar 2001 wiederholt – mit dem Resultat, dass nur fünf Prozent der Befragten mit der Qualität der Radiosendungen zufrieden waren.

9.1. Frauen und IKT
In diesem Projekt arbeiten wir mit einem Programm namens KEYMAN, das die Tastatur des Computers für die Eingabe in Songhay bzw. Touareg adaptiert. Die Frauen, die die Spar- und Kreditkassen verwalten, werden in der Verwendung von Excel und Word ausgebildet. Dank dieser Ausbildung können sie die bei der Verwaltung der Sparkassen anfallenden Arbeiten per Computer durchführen.
9.2. Radio Browsing
Um auch die Nomaden in der Wüste erreichen zu können, benutzt das Telezentrum die ländlichen Radios als Interface. Im Rahmen dieses Programms lernen die Radiomoderatoren, im Internet und auf CD-Roms zu recherchieren. Für die Abwicklung ihrer Radiosendungen kommen die Moderatoren und Moderatorinnen ins Telezentrum, um gezielt nach Informationen zu suchen, die sie auf Diskette speichern; sie bereiten ihre Sendungen auf den gebrauchten Computern vor, die das Telezentrum den einzelnen lokalen Radiostation zur Verfügung gestellt hat. Seit der Einführung des „Radio Kit“ lädt das Telezentrum Spezialisten auf einem bestimmten Gebiet – z. B. Gesundheit, Dezentralisierung, Wahlen, Umweltschutz – ein, die im Telezentrum im Internet recherchieren können und von dort direkt Sendungen bestreiten. Dieser Einsatz des Internet ist inzwischen als „Radio Browsing“ bekannt. Diese Sendungen sind bei den Nomaden und Bauern in der Sahara und am Niger äußerst beliebt.

10. Fazit
Das „Télécentre Communautaire Polyvalent de Tombouctou“ ist zum nationalen Vorzeigeprojekt in Sachen Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien im ländlichen Raum avanciert. Auf Grundlage dieser Experimente erarbeitet Mali im Moment ein breit angelegtes Projekt, im Zuge dessen sämtliche 703 Gemeinden Malis vernetzt werden sollen. Die oben erwähnten Projekte werden von Teams entwickelt, die sich aus Mitgliedern der verschiedenen Zielgruppen zusammensetzen. Durch diese Einbindung der Zielgruppen entsteht Vertrauen zwischen den Usern des Telezentrums und den dort verwendeten IKT-Tools, die dort verwendet werden. Der Imam von Timbuktu meinte: „Früher emigrierten die Bewohner von Timbuktu auf ihrer Suche nach Wissen, aber heute ist das Wissen dank der Anbindung an das Internet hier vor Ort.“

Aus dem Französischen von Ingrid Fischer-Schreiber