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Ars Electronica 2004
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Festival 1979-2007
 

 

Spirit Revisiting
Produktion, Begehren und die Technik des Austausches

'Alena Williams Alena Williams

In einer Zeit, in der Chatrooms, Online-Dating-Plattformen und – stärker atomisiert – E-Mail-Korrespondenz und Instant-Text-Messaging-Dienste das Glasfaserkabel zu einem Übertragungsmechanismus für die Übermittlung von Begehren und Sehnsucht werden ließen, scheint es dringend erforderlich zu untersuchen, in welcher Beziehung „Produktion“ und „Begehren“ zu unserer technischen Identität stehen. Was ist unser Ausgangspunkt für einen sinnvollen Austausch mit anderen über und durch die Technik? Kann die Erforschung des emotiven Potenzials von Computern und anderer Formen künstlicher Intelligenz auch als Erforschung des Wesens unserer subjektiven neuralen und biochemischen Mechanismen interpretiert werden?

Diese Fragen sind der Ausgangspunkt für eine Retrospektive der 25 Jahre Ars Electronica, die als Plattform für Kunstprojekte dient, die konsequent jene Eigenschaften und Artefakte genutzt haben, die unser heutiges elektromechanisches Leben antreiben, beeinflussen und verfolgen. Die Kartierung der Mediengeschichte und die Ästhetisierung neuer Formen von Technik machen es notwendig, Technik nicht nur als Produktion von Begehren, sondern auch als ultimativen Ausdruck unseres Begehrens nach Produktion zu betrachten; um ein deutlicheres Gespür für uns selbst und andere zu erlangen, müssen wir diese feinen Impulse beachten, auf denen unsere Ambitionen basieren und die sich strahlenförmig über unsere Netzwerke und mechanisierten Körper hinweg erstrecken.

Kurz vor dem ersten Ars Electronica Festival 1979 wurden zwei radikale Hypothesen aufgestellt, in denen ausgeführt wurde, wie die Subjektivität der Nachkriegszeit von der kritischen Auseinandersetzung mit dem Technikapparat beherrscht wurde. 1972 formulierten Deleuze und Guattari in Anti-Ödipus: Kapitalismus und Schizophrenie (1) eine Gegenthese zu den entfremdenden Auswirkungen der kapitalistischen Superstruktur und den starren libidinalen Einschränkungen der Freudschen Psychoanalyse. In einem Versuch, alternative Möglichkeiten der Charakterisierung von Subjektivität unter dem Zwang des Kapitalismus zu formulieren, thematisieren sie die Konnektivität, den Austausch und die materiellen Flüsse, die den physiologischen, psychologischen und sozialen Körper ausmachen. Anstatt eine Endzeitsicht der Geschichte zu vertreten, in der der menschliche Schaffenstrieb als anomal, exzessiv und destabilisierend betrachtet wird, führen sie aus, dass das soziale Feld stark von produktiver libidinaler Energie beeinflusst wird; der Kapitalismus hingegen, der einst das Potenzial zur vollständigen Deterritorialisierung dieser Produktion hatte, hat stattdessen dazu gedient, soziale Codes aufzulösen und wieder neu zu binden, und so zur Entstehung von dichotomen paranoiden und schizophrenen Zuständen von Begehren geführt.

Wenn wir ins Jahr 1976 springen, findet sich die erste Ausgabe der Zeitschrift October, in der Rosalind Kraus unmissverständlich festhält, dass die Videokamera dem Subjekt neue Möglichkeiten zur Selbstidentifikation und Selbstwahrnehmung eröffnet. Wie sie in „Video: The Aesthetics of Narcissism“ ausführt, befindet sich das Subjekt in Hinsicht auf das formale Verhältnis, das für elektronische Standard-Feedbackkonfigurationen typisch ist, nicht nur „zwischen zwei Maschinen, die den Beginn und das Ende einer Klammer darstellen“, sondern es ist auch in einem rekursiven Prozess gefangen, der es dem Künstler erlaubt, unmittelbar sein Verhalten zu verändern, um das gewünschte ästhetische und perzeptuelle Ergebnis zu erzielen. (2) Der Gedanke, dass das Medium Video wirksam als „Spiegel“ für den organischen, subjektiven Körper dienen kann, setzt voraus, dass die Technik eine gewisse „narzisstische“ Ader hat und immanent bestimmte ästhetische, politische und epistemologische Fragen aufwirft, die letztlich mehr über die Menschheit, ihre Triebe und Motivationen besagen als der Technikapparat selbst.

In Anbetracht dieser beiden Darstellungen von Technik und Identität in der Nachkriegszeit – während die eine spezifisch und die andere allgemein ist, sprechen beide (vielleicht sogar buchstäblich) jene Fragen an, die die Thematiken des Symposiums aufwerfen – stellt sich die Frage, wie wir mit unserem Begehren nach, von und durch Maschinen umgehen, unserem Begehren nach jenen Apparaten, die wir produzieren und die gleichzeitig eine Erweiterung unser selbst sind? Da die Technik sich als ideales Mittel zur Beschreibung unserer Eigenschaften und produktiven Fähigkeiten erwiesen hat – wie auch Deleuze und Guattaris Verwendung des Terminus „Maschine des Begehrens“ zeigt, der Aspekte einer idealen Subjektivität in einer deterritorialisierten Gesellschaft umschreibt – können wir vielleicht den Drang in Richtung einer zunehmenden Mechanisierung und Digitalisierung als eine Art „Selbstliebe“ betrachten?

Es scheint bei jeder Diskussion über Technik und libidinale Energie wichtig, diese grundlegende „technophile“ Tendenz der Projekte des Ars-Electronica-Archivs zu berücksichtigen. Einerseits sollte sich unsere Diskussion darauf konzentrieren, wie der Begriff des Begehrens die Kunst der Nachkriegszeit sowohl implizit als auch explizit beeinflusst – wie Begehren im Gendering des organischen und mechanistischen Körpers kodiert wird, wie etwa in Charlotte Moormans und Nam June Paiks gemeinsamen Projekten – oder wie das Begehren nach Kommunikation – das Verlangen, mit anderen über metaphysische, technische, ideologische, kulturelle und geografische Grenzen hinweg zu interagieren – auf innovative Weise von vielen weiteren Künstlern umgesetzt wurde. Andererseits wird es ebenso sinnvoll sein, besonders in Hinsicht auf den Begriff des „Geistes“, die Bedeutung von besonders interaktiven Projekten zu untersuchen, die versuchen, zwischen „intelligenten“ computerisierten Resultaten bzw. Programmen und den Individuen, die mit ihnen interagieren und sie produzieren, zu „vermitteln“ – Experimente, die untersuchen, wie Personen und Dinge miteinander durch „emphatische Übertragung“ oder eine Art von „Telekommunikation“ miteinander in Kontakt treten.

Als besonders interessant für dieses Unterfangen erweisen sich jene Publikationen, die das Thema Kunst und Technik sowohl aus negativer als auch positiver Sicht thematisieren. Ist im Licht der zunehmend pessimistischen Warnungen über die Gefahren der Technik, die seit dem 19. Jahrhundert von verschiedenen Philosophen und Theoretikern geäußert wurden, eine produktive Zukunft für die Medien denkbar? Ist die künstlerische Praxis durch die zunehmende Komplexität elektronischer und mechanischer Apparate tatsächlich bedeutungsvoller geworden? Werden wir von den „spätkapitalistischen“ Mechanismen des Technikspektakels beeinflusst oder verlieren wir, wie Debord 1967 vermutete, die Kontrolle über die authentische Realität?

Aus dem Amerikanischen von Sonja Pöllabauer

(1)
Deleuze, Gilles; und Guattari, Felix: Anti-Ödipus: Kapitalismus und Schizophrenie
(aus dem Französischen von Bernd Schwibs), Frankfurt/M. 1974 zurück

(2)
Krauss, Rosalind: „Video: The Aesthetics of Narcissism“, in October 1, 1976, 52. zurück