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Ars Electronica 2004
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Die Welt in 24 Stunden


'Robert Adrian Robert Adrian

Es ist immer schwerer vorstellbar, wie man einst ohne Fotokopiergeräte, Computer oder Internet auskommen konnte; aber durch die spät nachts ausgestrahlten alten Spielfilme – mit Räumen voll klappernder Tippsen, Telefonzentralen mit unzählig vielen Kabeln oder grauen, blinkenden Computerkästen – bekommt man einen ganz guten Einblick in die Zeit von damals. Auch die Wiederholungen der TV-Serie Columbo, die den Detektiv oft im Umgang mit neuartigen technischen Geräten zeigt – zum Beispiel mit Überwachungskamera, Computerterminal, Videorecorder, Faxgerät oder anderen technischen Gustostückchen des aufkommenden elektronischen Zeitalters –, sind ebenfalls eine gute Quelle für Ausflüge in eine vergangene Zeit. Sogar noch in den späten siebziger Jahren hatten sehr wenige Menschen je ein Faxgerät gesehen, geschweige denn benutzt; Computer waren riesige Maschinen und eher ein Spielzeug für Technikfreaks; die Geschwindigkeit eines Modems lag bei höchstens 300 Baud, vorausgesetzt natürlich, man verfügte über das richtige Gerät, an das man das Modem anschließen konnte.

Das war der Stand der Dinge, als ich zum ersten Mal von Bill Barletts Netzwerk-Experimenten mit Slow Scan Television (SSTV) und Computerkonferenzschaltungen hörte. 1979 nahm ich an der von ihm initiierten Computerkonferenz „Interplay“ teil und 1980 an dem Slow-Scan-TV Projekt Artists’ Use of Telecommunications. 1981 organisierte ich zusammen mit Tom Klinkowstein ein Telefaxprojekt zwischen Wien und Amsterdam, das wir kurz Fax betitelten. 1981 hatte ich bereits an drei Projekten teilgenommen, und jedes dieser Projekte bediente sich einer anderen Technologie, die das Potenzial des Telefonnetzwerks als ein Medium für globale interaktive Künstlerprojekte auslotete. Sie zeigten auch, dass es bereits ein kleines, jedoch stetig wachsendes Künstlernetzwerk gab, das imstande war, globale telefonbasierte Events zu organisieren.

Die Welt in 24 Stunden
Christine Schöpf war beim ersten Fax-Event im Jahr 1981 dabei und schlug vor, so etwas auch für das Ars-Electronica-Festival 1982 zu initiieren. Daraus entwickelte sich das Projekt Die Welt in 24 Stunden, das darauf abzielte, SSTV mit Computerkommunikation und Telefax zu einem globalen multimedialen Telekommunikationsprojekt zu verknüpfen. Das Projekt verfolgte drei Ziele:
  1. Die Demonstration der Globalität der elektronischen Netzwerke sowie der Tatsache, dass der größte Teil der Erde – nämlich ganz Afrika, Südamerika und große Teile Osteuropas und Asiens – nicht vernetzt ist;

  2. die Darstellung der Hegemonie der One-To-Many-Übertragungsmedien, indem ein Telefonsystem für multimediale One-To-One-Interaktion verwendet wurde und

  3. die Klarstellung der neuen Rolle des Künstlers im elektronischen Medienzeitalter, und zwar als Kunstschaffendem im virtuellen Raum anstatt bloß Objekte zu produzieren.
Ausstattung und Ausrüstung
Während die Telefonkosten von Ars Electronica übernommen wurden und IP Sharp Associates kostenlose Benutzerkonten für die Computerkommuni
kation zur Verfügung stellte, war jede Station im Netzwerk für seinen eigenen Beitrag inklusive Infrastruktur und Ausrüstung zuständig. In Linz wurde die Ausrüstung im Foyer des ORF Regionalstudios aufgebaut und umfasste einen tragbaren Computer von 3M mit integriertem Drucker für die Computerkonferenz (IPSA Confer) und die E-Mail-Projekte (ARTBOX); ein 3M-9136-Faxgerät und ein Fotokopiergerät für Faxaustausche, ein Mischpult, ein Kassettenrecorder, ein Verstärker und Lautsprecher für den Ton, eine Videokamera, ein Robot 530 Transceiver und verschiedene Monitore für SSTV. Die drei Telefone wurden so organisiert, dass das Computerterminal seine eigene Leitung hatte, während die zwei anderen Leitungen auf das Faxgerät, SSTV und die Tonanlagen aufgeteilt wurden. Stehende Display-Panels für das Anzeigen der Faxseiten und Computerausdrucke wurden vom ORF zur Verfügung gestellt.
Was geschah
Die Idee war, am 27. September um 12:00 Uhr MEZ zu beginnen und 24 Stunden lang der Sonne rund um die Welt zu folgen, indem jeder Standort um Punkt 12:00 Uhr Ortszeit angerufen wurde. Natürlich klappte nicht alles wie am Schnürchen, weil sich der Kommunikationsglobus vom geografischen Globus stark unterscheidet und sich unsere Partner nur in acht Zeitzonen zusammenfanden: MEZ – Amsterdam, Frankfurt, Wien, Florenz; GMT – Bath; EST – Pittsburgh, Toronto, Wellfleet; PST – San Francisco, Vancouver; HAST – Hawaii; JST – Tokio; AEST – Sydney; OEZ – Athen, Istanbul. Da wir drei Telefone in Linz hatten, konnte jede Station theoretisch ungefähr eine Stunde lang in drei unterschiedliche Medien gleichzeitig übermitteln und auch empfangen. Nur das in Toronto gestartete Multimediaprojekt Signal Breakdown (Fax, SSTV und E-Mail) arbeitete mit allen drei Telefonen in Echtzeit.

In Linz waren zehn Künstler und Studenten am Werk, von denen jedoch nicht alle während des Projekts 24 Stunden anwesend waren. Einige hatten Faxseiten und/oder SSTV vorbereitet, die während des Events übertragen wurden. Da es in manchen Zeitzonen zu Stausituationen kam, gab es oft eine Überlappung der Beiträge. Wir teilten uns in verschiedene Teams auf, um die unterschiedlichen Medien mit unterschiedlichen Partnern zu bewältigen (z. B. Faxaustausch mit Frankfurt und Telefongeräusch aus Wien oder SSTV aus San Francisco und Faxaustausch mit Vancouver). Meine Rolle dabei war, das Projekt zu koordinieren und das Netzwerk zu beobachten, d. h. ich nahm ein Telefon, arbeitete am Computerkonferenz-Terminal oder beantwortete Fragen der Öffentlichkeit und/oder der Presse.

Wir hielten auch die Display-Panels mit den Faxseiten und Computeraus
drucken auf dem letzten Stand, indem wir die Interaktion von Fax, SSTV und Computerkonferenz mit den entfernten Teilnehmern aufrecht hielten, die ebenfalls interaktiv tätig waren. Am Nachmittag und am Abend des 27. gab es für die Mitarbeiter viel zu tun, denn das Publikumsinteresse sowie die Fernseh- und Radiopräsenz waren enorm; nach Mitternacht waren jedoch nur mehr sechs Teammitglieder anwesend und um ungefähr 8:00 Uhr morgens des 28., als die Mitarbeiter wieder zur Arbeit kamen, waren wir nur mehr zu dritt.
Bericht
Im Bericht, der dem Dokumentationspackage beigefügt war, das im Dezember 1982 an alle Teilnehmer geschickt wurde, stand folgendes:
Das beigefügte Material spiegelt den Druck, der 24 Stunden ununterbrochen auf Mitarbeitern und Ausrüstung lastete, nur unvollständig wider … einige Dinge wurden nicht aufgezeichnet oder fotografiert … das Tonaufzeichnungsgerät fiel aus … der Kameramann ging nach Hause, mit der Kamera! … mitten in der Nacht, als alles zugesperrt war, bemerkten wir, dass wir nicht genug Videobänder hatten … ein Telefon gab den Geist auf, ein anderes funktionierte in den Morgenstunden nicht mehr richtig … alle Teammitglieder haben irgend etwas vergessen oder verloren, sogar die Telefonnummern.
und …
Von Künstlern oder anderen betriebene Telekommunikation ist nur in einem globalen Kontext wirklich aufregend, aber die Kosten globaler Telekommunikationsprojekte sind unerschwinglich, auch die Sprachbarrieren, die kulturellen Unterschiede, die Zeitzonen, Netzwerke und Nachtschichten bedeuten einen unglaublichen Aufwand. Dennoch bin ich der Meinung, dass es das alles wert ist … beim Durchforsten des gesammelten Materials, kann man eine neue Kunstrichtung fühlen, ein neues Medium. Das ist ein sehr aufregendes Gefühl.

Epilog
Zehn Jahre später war die gesamte Technologie, die für das Projekt Die Welt in 24 Stunden verwendet wurde, veraltet und überholt – bis auf das Faxgerät, das 1980 noch exotische Technologie mit Preisen von USD 5.000 aufwärts war und heute zum Bürostandard gehört und ist seit 1992 für Kunstprojekte uninteressant. Slow Scan TV oder das Bildtelefon haben sich auf dem Markt nie wirklich etabliert und verschwanden wieder – SSTV wird heute nur mehr bei Überwachungskameras eingesetzt (obwohl es in letzter Zeit seine Wiedergeburt als Mobiltelefon/ Kamera-Hybrid zu erleben scheint). Personal Computers, die 1982 bloß sehr teure Prototypen waren, sind nun überall verbreitet, und seit 1992 haben sie die Timesharing-Systeme und Schrankcomputer abgelöst und Millionen Bürojobs ersetzt. Mitte der achtziger Jahre fand sich mit Hilfe von immer schneller und effizienter werdenden Modems ein Netzwerk von PCs in privaten Bulletin Board-Systemen (BBSs) zusammen; dadurch begann sich ein neuer Kommunikationsraum zu entwickeln und zu definieren. Als das Internet (das Netzwerk der Netzwerke) schließlich im Jahr 1994 der Allgemeinheit zugänglich gemacht wurde (bis dahin wurde es rein akademisch bzw. militärisch genutzt), wurden die BBSs, einschließlich vieler Künstlerprojekte, rasch zum Bindeglied des globalen Internet … und damit der Beginn der Internetkunst.

So viel zu den Anfängen – und das Ende ist noch lange nicht in Sicht.

Aus dem Englischen von Michaela Meth

http://residence.aec.at/rax/24_HOURS/