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Ars Electronica 2004
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Festival 1979-2007
 

 

Re-Inventing Radio
Kunstradio—Radiokunst

'Heidi Grundmann Heidi Grundmann

Lange Nacht der Radiokunst
Live on air – on line – on site
Seit der ersten live ausgestrahlten Langen Nacht der Radiokunst beim Ars Electronica Festival 1989 haben sich das Medium Radio und seine Technologien – und damit auch die Radiokunst – ganz besonders schnell verändert: In den 1990er Jahren dehnte sich das Radio ins Internet aus, die Streaming-Technologien traten ihren Siegeszug an, und heute bildet die Datenübertragung mit Hilfe von Radiotechnologien die Grundlage der Kommunikation sowohl zwischen Menschen (Handy) wie auch zwischen Maschinen (WLANs, GPS etc.). KünstlerInnen verbinden heute diese neuen Technologien – oft im Verbund mit älteren und alten Technologien – mit dem traditionellen Sendemedium Radio in all seinen Formen und auf all seinen Kanälen. Sie schicken nicht nur ihre Sounds und Images in temporäre Netzwerke, sondern sind auch via Datastreams an jeweils anderen Knotenpunkten solcher Netze telepräsent; sie belauschen Natur- und Stadtlandschaften genauso wie die Medienlandschaft oder den Weltraum und setzen dabei u. a. Methoden ein, die jenen der Überwachung nahe kommen.

Einige jener Ansätze, die Konzepte der traditionellen Ars Acustica der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in den vergangenen 15 Jahren weiterentwickelt und unterwandert haben, lassen sich im Nachhinein schon aus der ersten Langen Nacht der Radiokunst von 1989 ablesen, die selbst wiederum wichtiger Bestandteil eines vom Ö1 Kunstradio kuratierten Radiokunstschwerpunktes des Festivals Ars Electronica „Im Netz der Systeme“ darstellte. Die „Radiokunstnacht“ dauerte – für damalige Verhältnisse unglaubliche – vier Stunden lang und wurde nicht nur auf Österreich 1, dem Kulturkanal des ORF, österreichweit ausgestrahlt, sondern auch regional auf Radio Oberösterreich. Die Radiokunstnacht kam aus mehreren Studios des ORF Landesstudios in Linz sowie live aus dem Großen Saal des Brucknerhauses. In einem der Studios rekonstruierte Bill Fontana sein allererstes Radiokunstprojekt (Music from Ordinary Objects, 1977), das auch zwölf Jahre später ohne die telefonische Mitwirkung von HörerInnen nicht funktioniert hätte. Wolfgang Temmel verschaltete Telefonleitungen aus Krisengebieten der Welt, um seinen Herzschlag mit jenem von KünstlerInnen an diesen prekären Orten zu einem Live-Radio-Mahnmal zu vereinen, das via Kurzwelle in alle Welt ausgestrahlt wurde. Und aus dem Brucknerhaus spielte Jim Denley vor einem On-site Publikum live über Satellit mit Ross Bolleter in Perth / Australien ein Simulplay. An der Langen Nacht der Radiokunst beteiligt waren auch das mobile Radio Subcom und Radio Stadtwerkstatt, ein in der damaligen monopolistischen österreichischen Medienlandschaft sehr avanciertes und subversives Linzer Radioprojekt.

In der Zwischenzeit hat es einige immer wieder neues Territorium absteckende Lange Nächte der Radiokunst gegeben. Und obwohl manche von ihnen wirklich eine ganze Nacht lang dauerten, wurde die Radiosendung im ORF mit der Zeit immer mehr vom Leitmedium auf die Funktion eines linearen, flüchtigen Fensters zu einem komplexeren, oft weltweit vernetzten temporären Geschehen reduziert. In diesem traten Performances zunehmend zugunsten des zumindest online potenziell unendlichen, sich ständig verändernden Flows vernetzter (häufig generativer oder zumindest automatisierter) Installationen zurück (siehe z. B. Sound Drifting,1999). Heute gehören die Streamingtechnologien zum Alltag vor allem jüngerer Menschen und bestimmen zunehmend die dezentralen vernetzten Produktionsweisen der internationalen unabhängigen Radio- und Webradio-Szene.

So ist es symptomatisch, dass 2004 mehr Außenstellen der Langen Nacht der Radiokunst denn je aus lokalen und / oder Online-Kunst- und Kulturradios bestehen.

In Linz und Wien wird die Lange Nacht der Radiokunst 2004 viele performative Elemente enthalten, die immer wieder in neue Formen von Soundscapes / Klanglandschaften übergehen, ein Genre, das in die 70er Jahre zurückreicht und, dem Radio immer nahestehend, im Laufe der Jahre in Zusammenhang mit Klangarchäologie und -ökologie an Bedeutung gewonnen hat und einen weiteren Innovations- und Rezeptionsschub erleben wird, wenn das neue 5.1 Format in naher Zukunft – für den Kanal Österreich 1 vielleicht schon in der Langen Nacht der Radiokunst 2004 – das Stereo-Format ergänzen wird.

On air (und on line) wird die Lange Nacht der Radiokunst 2004 auch in Beispiele einer „Expanded Radio Art“ hineinhören, wie sie sich z. T. unter Einsatz neuer Radiotechnologien in mobilen Projekten und Installationen on site in Linz beim Festival Ars Electronica oder im Radiokulturhaus in Wien manifestiert. Was KünstlerInnen aus europäischer und überseeischer Ferne in das Netz der „Re-Inventing Radio“-Nacht einspeisen, ist wie immer eine Überraschung. Denn die Langen Nächte der Radiokunst und ähnliche Projekte sind immer auch nicht kuratierte offene Systeme, in denen etwas verstärkt wird und in kollaborativer dezentraler Produktion Gestalt annimmt, das zunächst weit mehr ist als die Summe einzelner Radiokunstarbeiten, um dann in seiner Online-Dokumentation doch auch als Momentaufnahme aktueller Radiokunst betrachtet werden zu können.

Live Streams from Vienna and Linz as well as from Baltimore, Berlin, Hamburg, London, Mexico City, Montreal, New York City, Tokyo, Vancouver, Weimar etc. at
http://kunstradio.at
In Linz: Seppo Gründler, Felix Kubin, Elisabeth Schimana, radioqualia, FirstFlooRadio, ArtistRunLimousine/Audiomobil, Aleksandar Vasiljevic, pandorabox.org, Peter Mears, et al.

In Vienna: Robert Adrian / Norbert Math, Roberto Paci Dalò, Arnold Haberl aka noid, Steve Heimbecker, Rupert Huber, Concha Jerez / José Iges/Pedro Lopez, Tetsuo Kogawa, Gordan Paunovic, Robin Rimbaud aka Scanner / Edith Garcia, Wolfgang Temmel, Mia Zabelka / Electric Indigo / Dorit Chrysle, et al.
In Vancouver: Western Front, Peter Courtemanche, DB Boyko,et al.
In Baltimore: art@radio (Steve Bradley et al.)
In Berlin: reboot.fm
In London: resonance.fm—Knut Aufermann, Sarah Washington, Jim Whelton et al.
In Mexico City: Radio Educacion
In Montreal: Studio XXX, Anna Friz et al.
In New York City: Neurotransmitter
In Santa Barbara: aug.ment.org (August Black)
In Tokyo: Radio Kinesonus
In Weimar: ping.fm