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The Language of Networks


'Lothar Krempel Lothar Krempel

Komplexe Netze sind heute in vielen Wissenschaftsdisziplinen ein wichtiges Thema geworden: Das Zusammenwirken vieler verbundener Einheiten und die daraus entstehenden Dynamiken zu verstehen, ist eine große wissenschaftliche Herausforderung.

Internationalisierung und Globalisierung schreiten heute in vielen Bereichen voran. Neue Informationstechnologien überbrücken große Entfernungen in Sekunden. In nur wenigen Jahren hat das Internet Einzug in unser Leben gehalten: Wissen ist heute weltweit und in unbekannter Vielfalt online verfügbar und abrufbar.

Auch die Globalisierung beschreibt eine sich beschleunigende Integration und Verflechtung nationaler Ökonomien durch anwachsende Flüsse von Gütern, Investments und Kapital über historische Grenzen. Sie sind begleitet von Transfers organisatorischer Fähigkeiten, Technologien, Ideen, Information, Unterhaltung und Kultur.

Nicht nur NetzwerkforscherInnen sehen die traditionellen Wissenschaften am Rande eines Paradigmenwechsels. Auch in der Biologie und Physik treten heute die Eigenschaften und Funktionsweisen komplexer Systeme in den Vordergrund. Während es im 20. Jahrhundert galt, elementare Einheiten (wie Atome oder Zellen) zu identifizieren und deren Eigenschaften zu bestimmen, zeigt sich heute, dass man mit diesem Wissen das Zusammenwirken vieler solcher Einheiten nicht verstehen kann. Der Versuch, Elemente mit bekannten Eigenschaften zu stabilen Systemen zusammenzufügen, stößt an die Grenze der Komplexität: die Anzahl der möglichen Anordnungen überschreitet schnell die Grenze des Berechenbaren (vgl. Barabasi, 2002). Es geht also darum zu verstehen, welche Vernetzungen der Leistung komplexer Systeme zuträglich sind. Wie hängt die Struktur von Netzwerken mit deren Stabilität zusammen? Welche Veränderungen können Netzwerke nachhaltig beeinträchtigen und welche nicht? Die Erkundung von Netzwerken verspricht Antworten auf eine Vielzahl von Fragen. Unter welchen Bedingungen sind Ökosysteme stabil? Wann erschüttern unbedachte Eingriffe in die Natur die Stabilität von Nahrungssystemen? Wie können Medikamente ohne Nebenwirkungen in komplizierte Stoffwechselvorgänge eingreifen? In welchen Grenzen funktionieren Versorgungsinfrastrukturen (Wasser-, Elektrizitäts- oder Verkehrsnetze)? Wie entwickelt sich die internationale Integration? Wie verändert digitale Kommunikation unser Alltagsleben und unsere Sozialbeziehungen?

Netzwerke und Visualisierung
Um Netzwerke zu analysieren, müssen in der Regel sehr große Informationsmengen verarbeitet werden, die die Verbindungen der Elemente beschreiben. An diesen werden aufwendige Berechnungen durchgeführt. Erst die Verfügbarkeit von Computern hat es erlaubt, große Netze automatisch zu analysieren.

Seit den ersten Anfängen sind Untersuchungen von Netzen immer von Versuchen begleitet gewesen, diese grafisch darzustellen (vgl. Freeman, 1999). Obwohl die anfänglich händisch angefertigten Skizzen lediglich Verbindungen zwischen mehr oder weniger zufällig angeordneten Personen zeigen (vgl. Moreno, 1953) konnte man mit den so erzeugten Bildern bei einigem Geschick bereits bestimmte Eigenschaften der Netze besser verstehen. Heute ist die Darstellung von Netzwerken eine Kombination verschiedener Arbeitsschritte, die jeweils spezifische Teilprobleme lösen. Dabei ist das zentrale Problem, wie Einheiten verbundener Systeme räumlich zueinander dargestellt werden können.

Bereits die klassische metrische Statistik verfügt über unterschiedlich begründete Verfahren, mit denen Zugänge zwischen vielen Einheiten räumlich dargestellt werden können. Verfahren der Faktorenanalyse, der Korrespondenzanalyse, aber auch Verfahren der metrischen und nichtmetrischen Skalierung erlauben es aus Verbundenheitsinformationen (gewichtete Verbindungen oder Distanzen) unter verschiedenen Annahmen räumliche Anordnungen zu erzeugen (Positionierungen der beschriebenen Einheiten ermitteln). Diese sind mehr oder weniger geeignet, globale Landschaften der mit den Daten beschriebenen Einheiten zu erstellen. Die Lösungen platzieren Objekte in statistischen Räumen, es entstehen Landschaften, in denen die Nähe im Raum der Stärke der beobachteten Verbindungen entspricht. Vernetzte Einheiten werden typischerweise als Punkte oder als Kreise bestimmter Größe dargestellt, Verbindungen als Linien bestimmter Stärke.

Im Unterschied zu geografischen Karten ist die Nähe in den Netzwerken durch die funktionalen Bezüge definiert, wer mit wem besonders stark verbunden ist oder auch wer mit wem in gleichartiger Weise verbunden ist. Die geordneten Netzwerklandschaften beschreiben Einflusssphären, potenzielle Handlungsspielräume, Wirkungskontexte, in denen bestimmte Einheiten für andere Einheiten bedeutsam sind: deren Bedeutung variiert mit der Art der Einheiten (soziale Akteure oder technische Apparate) und der Art der Beziehungen, ob es sich um Freundschaft, Kontakt, Kommunikation, Kooperation, Austausch, Handel oder die Übertragung von Informationen, Energieströme oder Nahrungsketten handelt.

Heute verwendet man eher Algorithmen, die es erlauben, Netze flexibel zu ordnen. Nichtlineare Lösungen sind anscheinend für den Menschen besonders gut lesbar, auch wenn in solchen Anordnungen kein universeller Maßstab für die Entfernungen existiert. Bei diesen Darstellungen bleiben die Nachbarschaften linearer Anordnungen erhalten: Lange Abstände werden geschrumpft, sehr enge Abstände dagegen vergrößert. Sie sind vereinfachte Anordnungen der vernetzten Einheiten. Erstaunlich ist, dass viele dieser Diagramme oft einfach lesbar sind. Sie erlauben es, sich ähnlich wie in Karten zu orientieren. Die Faszination der Schaubilder besteht darin, dass sie eine Vielzahl von Beobachtungen wie Teile eines großen Puzzles zu einem Bild des Gesamtsystems zusammenfügen. Das menschliche Auge kann in ihnen relativ einfach besondere Muster entdecken.

Vernetzte Systeme bestehen oft aus Teilsystemen, die mehr oder weniger stark verflochten sind. Akteure, die Teilsysteme verbinden, nehmen bedeutsame Stellungen ein. Innerhalb der Teilsysteme sind Akteure lokal zentral, wenn sie dort direkte Verbindungen aufweisen. Was immer Netzwerke beschreiben – ob technische Infrastrukturen wie Straßen oder Telefonnetze, soziale Gruppen, Unternehmen oder Institutionen oder Nationen – ihre Anordnung im Bild identifiziert Nachbarschaften und gibt Auskunft über die Lage und Nähe zu verbundenen Einheiten. In stark strukturierten Netzen, in denen viele Teilsysteme untereinander nur schwach verbunden sind, gewinnen Einheiten, die viele der kürzesten Verbindungen zwischen anderen Teilnehmern kontrollieren, potenziell Macht und Bedeutung. Sie nehmen strategische Stellungen ein, da sie den Austausch zwischen vielen Einheiten kontrollieren und den Fluss von Informationen unterbrechen können.

Eine zweite Art von Bild entsteht dann, wenn man spezielle Eigenschaften der Netze, ihrer Einheiten oder aber bestimmter Teilsysteme mit zusätzlichen grafischen Merkmalen abbildet. Dazu verwendet man weitere grafische Attribute: Größen, Farben oder Formen, die diese Eigenschaften grafisch in die Anordnung der Netze übertragen. Damit werden aus den Verbindungen abgeleitete graphentheoretische Eigenschaften in die Darstellungen integriert, die somit simultan gelesen werden können.

Wird die Zentralität der Einheiten mit der Größe von Symbolen dargestellt, dann kann man aus den Darstellungen zusätzlich ablesen, wer in besonders viele Beziehungen eingebunden ist (degree), wer viele Akteure auf nur kurzen Wegen erreichen kann (closeness) und wer besonders viele der kürzesten Verbindungen in einem abgegrenzten Netz kontrolliert (betweenness).

Da die menschliche Wahrnehmung besonders sensibel auf die Größe von Zeichen reagiert, entsteht im Bild eine zweite (teilweise redundante) Information. Diese erlaubt es dem Betrachter, sich schneller zu orientieren. Die Größe der Symbole steuert seine Aufmerksamkeit.

Eine dritte Klasse von „analytischen Grafiken“ entsteht, wenn in ähnlicher Weise externe Informationen über die Einheiten oder deren Beziehungen (z. B. theoretische Klassifikationen oder unabhängige erhobene Daten) in die Abbildungen übertragen werden.Klassifiziert man z. B. bei der Analyse von Kapitalverflechtungen die Unternehmen in Industrieunternehmen und Banken und Versicherungen und wählt für die Klassen verschiedene Farbtöne, dann lassen sich besondere Verdichtungen in den Netzwerk schnell erkennen: Gebiete von Einheiten mit gleichartigen Farben verweisen auf interne Verflechtungen. Diese können durch abgeleitete Farbschemata der Linien näher inspiziert werden: in welchem Ausmaß Unternehmensanteile nur zwischen Banken oder Industrieunternehmen gehalten werden oder ob die Mehrheit der Verbindungen aus Beteiligungen von Banken und Industrieunternehmen besteht.

Mit unterschiedlichen Farben wird in diesem Fall eine theoretisch bedeutsame Klassifikation auf die Anordnung eines Netzes abgebildet. Das Bild erlaubt zu inspizieren, ob die theoretischen Unterscheidungen systematische Muster in der optimierten Anordnung des Netzes aufweisen. Im Unterschied zu einer rein statistischen Behandlung erscheinen in Netzwerken auch schwache lokale Zusammenhänge. Sie geben Hinweise auf Entwicklungspotenziale der Struktur.
Visuelle Statistik
Das Potenzial einer solchen „visuellen Statistik“ hängt eng mit einer Reihe von weiteren Fragen zusammen. Wie kann man quantitative Informationen übertragen? Wann können Darstellungen multipler Informationen besonders einfach und schnell interpretiert werden?

Der französische Kartograf Bertin lieferte bereits 1974 in seiner „Grafischen Semiologie“ einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis solcher Grundprobleme der grafischen Informationsverarbeitung. Das Visuelle ist gegenüber anderen Zeichensystemen (Schrift, Sprache und Musik) dadurch ausgezeichnet, dass es verschiedene Informationen simultan kommunizieren kann. Die Umsetzung numerischer Information ist eine Übersetzung in elementare graphische Zeichen. Mit den elementaren grafischen Attributen der Größen, Farben und Formen können mehrere Informationen unabhängig voneinander und simultan kommuniziert werden. Werden dabei die natürlichen Ordnungen der menschlichen Wahrnehmung genutzt, dann ist diese Übersetzung besonders effektiv.

Damit die in den Messungen eines Netzwerkes beschriebenen Informationen systematisch in gleichartige Wahrnehmungseindrücke übersetzt werden, bedarf es allerdings bestimmter Abbildungsregeln (vgl. Krempel 2004), die garantieren, dass die Information durch die Variation grafischer Zeichen in korrespondierende Sinneseindrücke übersetzt werden. Diese
stellen sicher, dass man dem Bild die gleiche Information entnehmen kann wie den Zahlen numerischer Messungen.

Erstaunlicherweise sind genau diese Fragen seit mehr als hundert Jahren in der Psychophysik untersucht worden. Hier geht es darum, wie bestimmte Reize (Größen, Längen, Farben) variiert werden müssen, um bei einem Betrachter gleich große Empfindungen auszulösen. Durch Anwendung der bei diesen Untersuchungen identifizieren Funktionen kann man Informationen so übertragen, dass die Ordnungen der Informationen auch visuell „im Kopf“ entstehen.

Die Übertragung von Ordnungen mit Farben ist allerdings ungleich komplexer. Zwar sind schon lange viele wahrnehmungsorientierte Farbsysteme bekannt, die Farben in Farbentöne, Helligkeit und Sättigung unterscheiden, sie beschreiben jedoch keine gleich groß empfundenen Abstufungen. Die heutigen psychometrischen Farbsysteme haben bereits unbemerkt Einzug in unser Alltagsleben gehalten. Sie wurden im Jahre 1976 als internationale Standards eingeführt (CIE lab). Sie sind das Resultat jahrzehntelanger Vermessungen einer ambitionierten Gruppe von Colormetrikern und der Identifikation der mathematischen Funktionen, mit denen das psychometrische Munsell-System auf das physikalische Modell der Farben abgebildet werden kann.
Eine grafische wissenschaftliche Sprache
Wenn relationale Beobachtungen nach systematischen Regeln geordnet werden und weitere externe Informationen in diese Ordnungen unter Berücksichtigung psychophysiologischer Prinzipien abgebildet werden, entstehen hoch optimierte grafische Informationslandschaften, künstliche Welten, die mehrfache Beschreibungen der gleichen Objekte zusammenfügen und diese Objekte nach systematischen Regeln rekonstruieren. Dies erlaubt es, lokale multidimensionale Muster zu inspizieren und die Lagerung der so mehrfach beschriebenen Elemente im Gesamtsystem zu studieren.

Besonders der Gebrauch von Farben erweitert die Möglichkeiten, Muster und Konzentrationen von Merkmalen in den Strukturen zu entdecken, die multivariante Zusammenhänge identifizieren. Die Technologien, Farben technisch zu erzeugen, aber auch mit unterschiedlichen Technologien ähnliche Farbeindrücke beim Menschen hervorzurufen, beruhen auf einem enorm verbesserten Verständnis der menschlichen Farbwahrnehmung. Obwohl diese Farbtechnologien in unserem Alltag eine rasante Verbreitung erfahren haben, steht der wissenschaftliche Gebrauch von Farben bei der Untersuchung komplexer Sachverhalte eher in seinen Anfängen. In dem Ausmaß, wie wir diese Regeln besser verstehen und anwenden können, wird uns dies erlauben, die natürlichen Eigenschaften der menschlichen Wahrnehmung für wissenschaftliche Zwecke zu nutzen. Die ergonomisch optimierte Grafik nutzt damit die besonderen Fähigkeiten der menschlichen Wahrnehmung für wissenschaftliche Zwecke in systematischer Weise. Sie erlaubt, das Potenzial automatischer Prozeduren mit den besonderen Fähigkeiten der menschlichen Wahrnehmung zu verbinden.

Obwohl die Visualisierung von Netzen kaum den Kinderschuhen entwachsen ist, verspricht sie Einblicke in sehr komplizierte Vorgänge und sie verspricht neue Welten sichtbar zu machen.

Barabasi, A. L.: Linked. The New Sciene of Networks, Perseus Publishing, Cambridge 2002

Bertin, J.: Graphische Semiologie. Diagramme, Netze, Karten, Walter de Gruyter, Berlin 1974

Freeman, L. C.: „Visualizing Social Networks“, in Journal of Social Structure 2000, (http://www.cmu.edu/joss)

Höpner, M.; Krempel, L.: The Politics of the German Company Network. Cologne:
Max Planck Institute for the Study of Societies, MPIfG Working Paper 03/9, September 2003
(http://www.mpi-fg-koeln.mpg.de/pu/workpap/wp03-9/wp03-9.html)

Krempel, L.: Visualisierung komplexer Strukturen. Grundlagen der Darstellung mehrdimensionaler Netzwerke, Max Planck Institut für Gesellschaftsforschung, Köln 2004

Moreno, J. L.: Who shall survive (überarbeitete Auflage), Beacon House, New York 1953