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Ars Electronica 2004
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Festival 1979-2007
 

 

L’Espace Temporel
Passage between Analog and Digital



Klang ist ein Prozess in der Zeit, Musik dessen Gestaltung (durch Klang). Zeiträume nominiert die Musik insbesondere durch historisch verortete ästhetische Strategien und Prinzipien, die sich in den jeweiligen Klangbildern und -strukturen ebenfalls widerspiegeln. Darüber hinaus kommuniziert Klang auch Wahrnehmungsmuster der räumlichen Orientierung. Psychoakustische Assoziationen von Raum werden etwa in Abhängigkeit vom Frequenzniveau – einem hohen für Nähe, einem tiefen für Weite – stimuliert. Physikalisch ist Raum im Kontext von Klang mit dem Echo seiner selbst verknüpft. Nach dem Prinzip eines Echolots bzw. der Hallzeit imaginiert die Zeit vom Erklingen bis zum Widerklingen eine Distanz. Unter dem Motto L’Espace Temporel werden Räume und Zeitfenster auch dadurch imaginiert, dass Klänge in Gestalt von Bildern zurückgeworfen werden.

Der Konzertabend entwickelt das synästhetische Verfahren weiter, das 2003 unter dem Titel Principles of Indeterminism mit Bezug auf Codes als gleichermaßen klang- wie bildgebendes „Notationssystem“ in Form visualisierter Konzerte zur Durchführung kam. Der Möglichkeit, das erste Experiment weiterzutreiben und zu vertiefen, wurde durch das in der Konstellation von Ars Electronica, dem Bruckner Orchester und seinem Dirigenten, Dennis Russell Davies, umschriebene gemeinsame Interesse an unkonventionellen und tranzdisziplinären Aufführungspraktiken Vorschub geleistet. Das Projekt konfrontiert mit Klangräumen und Zeitfenstern zwischen Instrumentalmusik, digitaler Klangsynthese, Live Electronics und Remix. Im und um das Brucknerhaus werden Passagen geöffnet, die ein breites Spektrum der zeitgenössischen Musik und Soundart durchmessen und mit den Bildwelten der digitalen Echzeitgrafik verknüpft.

Passage between Improvisation and Interpretation
-10 Live Electronics in a Semi-Public Space
Written and performed by Rupert Huber

In direkter Reaktion auf den Ort seines Agierens interpretiert der österreichische Komponist und Musiker Rupert Huber das situative Entré von L’Espace Temporel als einen Schwebezustand zwischen der Zeit vor dem Beginn und dem Anfang des eigentlichen Abends. Sein Material sind konkrete Klänge und Samples, deren überwiegend gesangliche Natur in einen vielstimmigen, Realtime-prozessierten Dialog mit einer Durchgangssituation tritt: Zu Beginn, um 19.30 Uhr, ist, was sich so fließend zu einem Stück formiert, schon zur Hälfte vorbei; die zweite Hälfte erklingt, wenn das Programm bereits seinen Anfang genommen hat. Huber, der in seiner Arbeit generell mit verschiedenen künstlerischen Genres und Disziplinen operiert, hat für die Integration von realen, medialen und akustischen Räumen in den performativen Prozess der Komposition den Begriff „Dimensional Music“ geprägt. -10 ist dafür ein Beispiel.

Les Enfants Terribles
Phillip Glass

Les Enfants Terribles war nach Orphée und La Belle et la Bête der dritte Teil einer dem filmischen Werk Jean Cocteaus gewidmeten Trilogie, die Phillip Glass in den Jahren von 1993 bis 1996 realisiert hat. In Korrespondenz mit dem zentralen Thema des Werks Les Enfants Terribles, der Macht der Imagination und Kreativität, kommt der evokativen Kraft der Musik auch im Rahmen von L‘Espace Temporel exemplarische Bedeutung zu. Geschrieben ursprünglich für drei Klaviere und Solo-Stimmen (Sopran, Mezzo-Spran, Tenor und Bariton), werden Teile der Werks in einer Duo-Version, mit Maki Namekawa und Dennis Russell Davies an den Klavieren, interpretiert.

Die Visualisierung Rhythm Lens von Martin Wattenberg ist eine Performance, die die Beziehung zwischen räumlicher und zeitlicher Wiederholung erforscht. Symmetrie ist ein wesentliches Element jeder Musik, doch für minimalistische Werke ist sie von entscheidender Bedeutung. Rhythm Lens formt akustische in visuelle Symmetrie um. Als Ausgangsmaterial dienen Bilder, die von Videos über gescannte Texte bis zu abstrakten prozeduralen Texturen reichen. Rhythm Lens „symmetriert“ diese Bilder mittels mathematischer Transformationen und generiert dabei eine Art Kaleidoskop, das mit stofflichen Mitteln nicht realisierbar wäre.

Analog zu den Symmetrien, die durch die Musik geschaffen und wieder aufgebrochen werden, werden auch grafische Symmetrien geschaffen und aufgebrochen. Wie jede Videobegleitung Wattenbergs ist auch Rhythm Lens ein von Menschenhand gesteuertes Performance-Instrument, das sich niemals wiederholt.

Different Trains
Steve Reich

Steve Reichs Different Trains (1988) für Streichquartett und Tonband ist die Umsetzung der Idee, musikalisches Material für die Instrumente durch Sprachaufnahmen zu generieren. Reich bezieht sich in dem Stück auf eine Zeit in seiner Kindheit, 1939 bis 1942, in der er auf Grund des geteilten Sorgerechts seiner geschiedenen Eltern oft mit dem Zug zwischen deren Wohnorten, New York und Los Angeles, pendeln musste. Im Rückblick überlagerte sich diese Erfahrung jedoch mit den Gedanken an jene Züge, in die er damals als Jude in Europa hätte steigen müssen. Different Trains basiert auf den Aufnahmen von Reichs Gouvernante, die ihn auf seinen Fahrten zwischen New York und Los Angeles begleitet hatte, eines Schaffners dieser Züge, dreier Überlebender des Holocaust und der Geräusche amerikanischer und europäischer Zuge aus den 30er und 40er Jahren.

Die Sprachmelodie der Stimmen wurde bestimmten Tonhöhen zugeordnet und in für Streicher spielbare Noten umgesetzt; die Aufnahmen des Spiels der Streicher wurden wiederum mit Zuggeräuschen und Sprachsequenzen kombiniert. Was Reich damit in Ansätzen schuf, hat er in einem Text zu Different Trains selbst skizziert: „Eine Richtung, die meiner Erwartung nach in nicht allzu ferner Zukunft zu einer neuen Art des dokumentarischen Musik/Video-Theaters führen wird.“

Temps du Miroir
Ludger Brümmer

In Temps du Miroir werden Klavierklänge mittels elektronischer Granulation live gespiegelt. Das Klavier wird für die Granulation gesampelt, und sein Timbre erhält dadurch eine neue Expressivität, Gestik und Zeitstruktur. Während von vorne Klaviermusik erklingt, lösen sich die granulierten Töne vom Piano und bewegen sich in einem 2D-Raum, in dem sie durch ständige Bewegung eine eigene Klangsphäre schaffen.

Diese Komposition setzt sich aus unterschiedlichen Klangbeschreibungen zusammen, die jedoch alle auf Algorithmen basieren. Die Klänge aus dem Lautsprecher werden durch physikalische Modellierung über Strings generiert. Dies gilt allerdings nicht nur für das Timbre. Jede musikalische Geste, jeder Rhythmus und jeder dynamische Akzent entstehen auf diese Weise. Eine einfache Wiederholung lässt sich etwa mit einer Art Pendel erzielen. Wird dieses Pendel von einem anderen Objekt gestört, entsteht ein weniger punktierter Rhythmus. In der Live-Umgebung wird das Piano entweder zur Klangerzeugung oder zur Echtzeit-Verarbeitung der Klavierklänge mittels Granulationstechnik eingesetzt.

Der Pianopart wurde mittels Algorithmen generiert, die alle verwendeten Parameter beschreiben.

Die Komposition umfasst vier zusammenhängende Abschnitte. In jedem einzelnen dominieren bestimmte musikalische Aspekte. Ein Abschnitt ist eher melodisch, ein anderer eher rhythmisch. Trotz dieser statischen Klangidentität wird mittels bestimmter Prozesse versucht, eine fixe Struktur zu vermeiden.

Die Idee hinter dieser Komposition bestand darin, aus einer vorgefertigten Klangschicht eine intensive, dichte Musikstruktur zu schaffen: eine interaktive Live-Klangschicht, die digital generierte und live bearbeitete Klänge mit der musikalischen Darbietung des Pianisten kombiniert. Da die vorgefertigten Strukturen nicht miteinander verbunden sind, können sie in dynamischer Reaktion auf die Darbietung des Pianisten bearbeitet werden.

Die verschiedenen Klangschichten werden von einem Video überlagert. Das Video ist Teil der Gestik der Komposition und besteht aus verschiedenen Sequenzen. Es läuft nicht nonstop, sondern wird in bestimmten Intervallen eingespielt, so wie auch ein bestimmter Klang und eine bestimmte Harmonik plötzlich entstehen und wieder verklingen. Die Bewegung der Tänzerin stellt eine weitere Überlagerung in der Notation der musikalischen Struktur dar; auch sie spiegelt einen abstrakten Inhalt in einer physischen Umgebung wider. Genesis, die Software für die physikalische Modellierung, wurde von ACROE, Grenoble, zur Verfügung gestellt. Die Komposition wurde in den Studios des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe produziert.

Temps du Miroir for piano, live electronics and video
Software design: Joachim Gossmann / Composition and video: Ludger Brümmer / Movement: Christina Ciupke / Commissioned by the Sonorities Festival, Northern Ireland,
Produced at the Centre for Art and Media in Karlsruhe


Triangel—Actions for a Creative Drummer and 27 Musicians
Péter Eötvös

In einem Gespräch mit Zoltán Rácz (Booklet zu Péter Eötvös’ CD Psalm 151, Psy, Triangel; Gramofon AB BIS CD 948, 1993) erläutert Péter Eötvös seine Intentionen in Bezug auf Triangel folgendermaßen: „Triangel ist nicht jene Art von Konzert, bei dem der Solist von einem Orchester begleitet wird. Hier ist der Solist ein Anführer, ein ,Meistertrommler‘ afrikanischen Typus, und die anderen Instrumente – neun Streicher, acht Holzbläser, sieben Blechbläser, zwei Schlagzeuger und ein Keybord – sind der ,Chor‘, der reagiert und antwortet. (...)

Triangel wurde für einen kreativen Schlagzeuger geschrieben, woraus hervorgeht, dass der Solist jene Instrumente auswählen kann, die für seine Klangwelt die geeignetsten sind. (...)
Was ich die ,Komposition‘ des Solisten nenne, ist in Wirklichkeit eine Übung im Hören, im Horchen, was insofern ungewöhnlich ist, als der Musiker nicht nur diktieren muss, sondern auch reagieren, entscheiden, eine verschiedene Art des Klanges akzeptieren oder verlangen muss, nachdem er die Antwort gehört hat. (...) Die Gruppe erhält Aufgaben, und die abgegebenen Antworten entscheiden über die nächsten Schritte des Solisten.“
Passage between Time and Space
In Stanley Kubricks Film 2001: Odyssee im Weltraum (1968) nach einer Erzählung von Arthur C. Clarke und in Andrei Tarkovsky aus dem Jahre 1972 datierenden Versuch über Stanislaw Lems Roman Solaris (1972) sind viele Aspekte als Vor-Schein von Fragestellungen zu deuten, die später durch Autoren wie Marvin Minsky oder, in jüngerer Zeit, Ray Kurzweil im Umkreis der AI-Forschung sowie der Cyborg- und VR-Diskussion theoretisch expliziert wurden und auch in der Kunst kondensierten. Vor allem den Filmerzählungen ist eine Metaphorik des Übergangs gemeinsam, der Konfrontation einer vielfach noch auf Transport und Bewegung gegründeten technischen Kultur mit einer – im weitesten Sinne – „informationellen“, in der das vertraute, mechanistisch bestimmte Sinngefüge brüchig wird. Ähnlich wie Kubrik, der am Ende die lineare Erzählung in einem psychedelischen Rätsel auflöst, verfährt Tarkovsky am Beginn von Solaris, wenn er den Transfer von der Erde in eine fremde Welt visualisiert. Für dieses grob mit Zukunft assoziierte Andere, vor dem das Geläufige versagt, ist die Musik – György Ligetis Athmosphères für 2001 und Edward Artemievs suggestive Soundtracks für Solaris – ein bedeutendes Trägermedium. Nicht weil sie Geschichten untermalt, die in der Zukunft spielen, sondern weil sie eine durch den Bruch mit den Konventionen des Sinns indizierte Idee von Zukunft durch jene Eigen-Art transzendiert, die sie selbst aus dem Bruch mit Konventionen der Notation und der klanglichen Realisierung bezieht.

Die stark von der elektronischen Klangerzeugung geprägte Sprache der Musik dieser Zeit wird eingesetzt, um „die Zukunft“ gleichsam klanglich zu „vergegenwärtigen“. Was die Filme selbst nur in Ansätzen leisten, nämlich Formen der Narration von ihren Themen (und der Verortung in einer Zeit jenseits der geläufigen Vorstellungskraft) herzuleiten, das hat in den neuen Produktions- und Aufführungsformen der Musik bereits eine erste konkrete Praxis.

Edward Artemiev

Als einer der Pioniere der experimentellen elektroakustischen Musik hat Edward Artemiev heute den Status einer Ikone. Nach einer akademischen Ausbildung in Moskau wurde er mit Yevgeniy Murzins Synthesizer vertraut, den der russische Mathematiker und Ingenieur 1960 entwickelt hatte. In Erforschung der Möglichkeiten dieses neuen Instruments, sowohl seines technisch-kompositorischen als auch narrativen und klangmalerischen Potenzials, avancierte Artemiev rasch zu einem der originellsten Vertreter der Soundscape-Komponisten seiner Generation. Im Westen ist sein Name vor allem mit den Soundtracks dreier Filme von Andrei Tarkovsky verbunden – Solaris, The Mirror und Stalker.

György Ligeti

Der in Ungarn geborene Komponist György Ligeti wurde international mit dem 1960 beim ISCM-Festival aufgeführten Werk Apparitions bekannt, in dem er den Stil, den er ab 1957 mit seinem Eintritt in das Studio für Elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks Köln entwickelt hatte, erstmals für Orchester destillierte. Gegenüber der reich strukturierten, pointillistischen Musik, die man sonst zu hören bekam, stellte Ligetis Werk ein neues Konzept mit sich verschiebenden Massen stark detaillierter „Wolken“ von Orchesterklängen dar.

Seit der elektronischen Komposition Artikulation von 1958, dem Opus Apparitions von 1959 und seinem Orgelwerk Volumina (1962) zeichnete sich Ligetis Beitrag zur Entwicklung einer neuen, als „Mikropolyphonie“ bezeichneten Musiksprache durch vielschichtige, intensive Arrangements aus, die die historische Unterscheidung zwischen Rhythmus, Melodie und Harmonie abschafften. Dieser Klang kommt durch den ausgiebigen Einsatz langer, massiver, sich in der Zeit entfaltender dichter Cluster aus surrenden, dissonanten Intervallen zustande. In seinem Orchesterwerk Atmosphères (1961) wurden die divergenten Texturen der seriellen Musik noch weiter zersetzt. Hier wird die Orchestrierung so dicht, dass die Wahrnehmung einzelner Tonhöhen und Rhythmen vollkommen ausgeschaltet wird. Das Stück begründete seinen internationalen Ruf und machte eine größere Öffentlichkeit auf ihn aufmerksam, als Stanley Kubrick es in seinem Film 2001: A Space Odyssey (1968) verwendete.

Ausgehend von seinem Markenzeichen, der Mikropolyphonie, hat Ligeti etwa in Stücken wie Aventures (1962) und Nouvelles Aventures (1962-1965) Sprache und Vokallinien in sein Werk integriert und die musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten dieser Klangquellen während des restlichen Jahrzehnts weiter erforscht. Weitere nennenswerte Werke aus dieser Periode sind das Requiem (1963-1965), mit dem er 1967 den Bonner Beethoven-Preis gewann, Lux Eterna (1966) und das Orchesterstück Lontano (1967).
Passage between Moments
Musik für 18 Musiker
Steve Reich

Musik für 18 Musiker dauert rund 55 Minuten. Die ersten Entwürfe entstanden im Mai 1974, vollendet wurde die Komposition im März 1976. Obwohl der regelmäßige, energische Rhythmus an viele meiner früheren Werke anknüpft, sind Instrumentation, Struktur und Harmonie völlig neu.

Schon in den ersten fünf Minuten von Musik für 18 Musiker gibt es mehr Harmoniebewegung als in irgendeinem meiner bisherigen Werke insgesamt. Obwohl diese Bewegung von Akkord zu Akkord oft nur aus einer neuen Instrumentierung, einer Inversion oder der Mollbzw. Dur-Parallele eines vorangegangenen Akkords besteht und in der Regel maximal drei Vorzeichen nicht überschreitet, spielt sie innerhalb dieser Grenzen eine wichtigere Rolle als in allen meinen anderen Kompositionen.

Rhythmisch gesehen kommen in Musik für 18 Musiker zwei grundlegend verschiedene Taktarten gleichzeitig vor – einerseits ein regelmäßig pulsierender Rhythmus für die Klaviere und Schlaginstrumente, der sich durch das ganze Stück zieht, andererseits der Rhythmus für die Stimmen und Blasinstrumente, der sich am menschlichen Atem orientiert.

Die Struktur von Musik für 18 Musiker basiert auf einem Zyklus aus elf Akkorden, die zu Anfang des Stückes vorgegeben und am Ende wiederholt werden. Mit jedem Akkord spielen bzw. singen sämtliche Instrumente und Stimmen die rhythmischen Noten. Auch Instrumente, die nicht durch die Atemluft gesteuert werden, wie die Streichinstrumente, imitieren dabei das Ansteigen und Abfallen der Atmung, indem sie das Atemmuster der Bassklarinette aufgreifen. Jeder Akkord wird für die Dauer von zwei Atemzügen gehalten, dann wird langsam der nächste Akkord eingeführt usw., bis alle elf Akkorde gespielt sind und das Ensemble wieder beim ersten Akkord angelangt ist. Der erste rhythmische Akkord wird dann von den beiden Pianos und den beiden Marimbas etwa fünf Minuten lang gehalten. Während dessen wird vor diesem Hintergrund ein kleines Musikstück konstruiert. Ist dieses Stück abgeschlossen, erfolgt schlagartig der Übergang zum zweiten Akkord, in dessen Verlauf ein zweites kleines Musikstück oder eine zweite Sequenz konstruiert wird. So wird jeder einzelne Akkord, der in der Eröffnungssequenz vielleicht fünfzehn bis zwanzig Sekunden gedauert hat, nun als Grundrhythmus und -melodie auf etwa fünf Minuten ausgedehnt, ähnlich wie sich eine einzelne Note im cantus firmus (Grundmelodie) eines Organums von Perotin aus dem 12. Jahrhundert als harmonischer Mittelpunkt einer ganzen Sequenz über mehrere Minuten erstrecken kann. Der Zyklus der elf Eröffnungsakkorde von Musik für 18 Musiker bildet eine Art pulsierenden Cantus für das ganze Stück.

Auf jedem rhythmischen Akkord baut ein kleines Musikstück auf; auf jedem dritten Akkord sogar zwei. Diese Stücke oder Sequenzen beschreiben im Grunde entweder einen Bogen (ABCDCBA) oder bilden einen musikalischen Prozess (z.B. das Ersetzen von Pausen durch Taktschläge) ab, der sich entwickelt und konsequent zu Ende geführt wird. Die Elemente, die in einer Sequenz auftauchen, kehren später wieder, sind dann allerdings von anderen Harmonien und einer neuen Instrumentation umgeben. Den Einsatz für den Übergang von einer Sequenz zur nächsten sowie für Änderungen innerhalb der einzelnen Sätze gibt das Metallophon, dessen rhythmische Muster nur einmal gespielt werden und so den Übergang zum nächsten Takt ankündigen – ähnlich wie in balinesischen Gamelan-Stücken oder in der westafrikanischen Musik, wo ein Trommler laut vernehmlich zum Taktwechsel aufruft. Dies ersetzt optische Zeichen wie Kopfnicken, die ich in früheren Stücken zur Ankündigung eines Taktwechsels eingesetzt habe, sowie die in der westlichen Zivilisation gängigen Praxis, große Ensembles von einem Dirigenten, der selbst kein Instrument spielt, leiten zu lassen. In dieser Komposition wird der akustische Einsatz Teil der Musik und gestattet so den Musikern, ausschließlich nach Gehör zu spielen.

Welturaufführung: 24. 04. 1976, Rathaus, New York, Steve Reich und Musiker
Passage between Sound and Image
Extol/Salvo
Salutations to “Ligeterecki” (a composite)
Tributes, Turbulations and remix


L’Espace Temporel gestaltet den Abend als musikalische Zeitreise. Die Musikerlebnisse, mit denen sich der Besucher auseinander setzen kann, reichen von voll besetzten Orchestern, Streichquartetten, elektronischer Laptopmusik, Playback von Band und Instrument bis zu integrierten bewegten Bildern. Am Ende des Abends hat man bestimmt etwas zum Nachdenken gefunden. Extol/Salvo erforscht einige dieser Möglichkeiten. Aus den Verflechtungen der Originalwerke von György Ligeti und Krzysztof Penderecki heraus werden – abgeleitet von „Ligeterecki“, dem Ergebnis dieser Verflechtungen – neue Klangtexturen zu einem imaginären Ganzen montiert.

Genau diese Verbindung nützen Christian Fennesz und Naut Humon als Sprungbrett für ihre musikalischen Verneigungen. Der Inspiration dieser Kompositionen aus den frühen sechziger Jahren wird mittels Lokalisierung gebündelter spektraler Charakteristika und Remanifestierung ihrer kinetischen Impulse durch auditive Memesis eine musikalische Hommage zuteil. Audio-Interpretationen: Naut Humon und Christian Fennesz Visuals: Sue Costable und Lillevan Programmierung der Software-Tools und technische Assistenz: Peter Segerstrom, Louis Dufort, Brian O'Reilly, Peter Otto und Aloveiz y.j. Heredic

Krzysztof Penderecki

Krzysztof Penderecki gilt neben György Ligeti als der bedeutendste europäische Komponist seiner Generation. Penderecki hat in seinem Werk die traditionelle musikalische Notation stets in Frage gestellt; er setzte auf rohe Klänge und experimentelle Orchestriertechniken, um akustische Collagen, Partituren und emotional herausfordernde Stücke zu schaffen, die die Unterscheidung zwischen Musik und Nicht-Musik erschütterten. Penderecki hat einen absolut eigenwilligen, cineastischen Kompositionsstil entwickelt, der trotz all seiner Missachtung traditioneller Spieltechniken immer von einer breiten, nicht von Haus aus an Avantgarde interessierten Hörerschaft geschätzt wurde.

Threnos – Für die Opfer von Hiroshima, Pendereckis wohl berühmtestes Werk, wurde für 52 Streicher geschrieben. Der Komponist entlockt diesen Instrumenten eine Fülle von Klängen, vom einleitenden haarsträubenden Schrei und von Sirenengeräuschen bis hin zu Panik und Chaos, die ihnen folgen. Ähnlich innovativ setzt Penderecki auch Toncluster – eng beieinander liegende, gleichzeitig gespielte Noten – ein, um sowohl die Wirkung als auch die Folgen einer Atombombenexplosion zu evozieren. Diese unverbundenen Klänge verschmelzen allmählich zu einem veritablen Feuersturm, der dann in die Stille des Todes mündet.

In seiner so genannten sonoristischen Periode der frühen 1960er Jahre – vertreten durch Werke wie Threnos, Fluoreszenzen, Polymorphie – arbeitete Penderecki mit einem Kompositionssystem, dessen axiomatisches Konzept nicht der einzelne Klang, sondern das Klangmaterial in seiner Gesamtheit war.

Christian Fennesz

Der österreichische Künstler Christian Fennesz – Komponist und Improvisator im Bereich elektronische Musik und Gitarre – hat während der letzten zehn Jahre eine enorme Vielzahl von Werken aufgenommen, die sowohl durch ihre Musikalität als auch ihr abstraktes Klangdesign hervorstechen.

Die Expressivität von Fennesz’ Werk beruht jedoch nicht bloß auf seiner Fähigkeit, „Technologie so zu spielen“, dass am Ende etwas herauskommt, das man als Musik identifizieren kann. In seiner Arbeit steckt ein ebenso signifikanter Faktor der Platzierung, der Örtlichkeit, der sie sowohl poetisch bedeutsam macht als auch auf ein geografisches Fundament, in einen Kontext setzt. In den beiden Alben, die sich mit der Vorstellung von physischer Örtlichkeit befassen – das 1999 erschienene Plus forty seven degrees 56’ 37” minus sixteen degrees 51’ 08’, das nach der geografischen Lage seines Heimatorts an der österreichisch-ungarischen Grenze, wo das Album komponiert wurde, benannt ist; sowie das 2004 erschienene Venice – zeigt Fennesz' Schaffen einen starken autobiografischen Bezug. Dadurch sowie durch die technologische Mediation gefühls- und gesangsbetonter Musik verspricht seine Beschwörung der Zukunft eine noch viel stärkere Klangphysikalisierung.

FLÜUX:/TERMINAL
SKOLTZ_KOLGEN

FLÜUX:/TERMINAL ist eine bipolare Performance, die SKOLTZ_KOLGEN als "Dyptique Rétinal" bezeichnen. Wie in allen ihren Arbeiten haben SKOLTZ_KOLGEN auch bei diesen Erforschungen einen Berührungspunkt zwischen Ton und Bild gefunden. Doch FLÜUX:/TERMINAL führt den Dialog dieser beiden Elemente noch einen Schritt weiter: Ihre Performance generiert eine dramatische Trajektorie, die von den panoramischen Spannungen (links / rechts) zwischen Hören und Sehen getrieben wird.

FLÜUX:/TERMINAL projiziert parallel auf zwei Leinwänden Leuchtpartikel, fotografierte oder gefilmte Bilder und Drahtmodelle. Die beiden Projektionswände sind als stereophone visuelle Entsprechungen das Alter Ego des ebenfalls zweigeteilten Klangs. Die Tonquellen (links / rechts) laufen nicht synchron, sondern über zwei getrennte Kanäle: Der linke Kanal stimuliert das linke Bild und der rechte Kanal das rechte. Verzerrt und gezeichnet von den Klangspuren wird das Bild zum Fossil des Klangs.

Die bipolare Erfahrung entsteht somit aus der Katalyse der Spannungslinien zwischen zwei unabhängigen aber miteinander verbundenen auditiven und visuellen Welten. Abgrenzung auf der einen und Synchronismus bzw. Symmetrie auf der anderen Seite erzeugen Raum-Zeiten, die in der Schwerelosigkeit dahinschweben. Auf diese Momente des Schwebens folgen massive und intensive Energieschübe.

Noisegate Remix
Adapted from the Installation NoiseGate, by Granular Synthesisemix

Naut Humon / Tim Digulla

NoiseGate Remix ist eine rekonfigurierte Performancearbeit nach einer Installation des aus Kurt Hentschlager und Ulf Langheinrich bestehenden Wiener Duos Granular Synthesis aus dem Jahr 1998. Im Juni 2000 luden sie Naut Humon und Assistent Tim Digulla ein, an einer von Creative Time in New York veranstalteten Remix-Nacht teilzunehmen.

Im Anchorage, dem Veranstaltungsort am Fuß der Brooklyn Bridge, hatten Granular Synthesis die riesigen nackten Betonwände in Projektionsflächen verwandelt, die überdimensionale menschliche Köpfe in einer virtuellen „Cage“-Gefangenschaft zeigten, eingehüllt in ein brummendes subsonisches Meer aus ominösen, mobilen Frequenzen. Die Wiederholung dieser denaturalisierten, körperlosen Menschenbilder in mehreren Vorräumen vermittelte einem das Gefühl, durch einen ungewöhnlichen Zoo zu spazieren, in dem die Exponate eingesperrte Menschen sind, deren Verhalten von den Maschinen dessen, der sie gefangen hält, mechanisch verändert wird.

Aus dem Rückgriff auf die Inspiration von Granular Synthesis’ älterem Opus Modell5 und auf der Suche nach einer Brücke zwischen diesem Werk und der Isolationsarchitektur von Noise Gate ergab sich für uns die offene Einladung zur Erstellung einer chronologisch destabilisierten visuellen Dub-Version. Die für die Originalinstallation so prägende mysteriöse Grünfärbung der Gesichtshaut verschwand. Der Ton wurde bis auf die gelegentlichen Atemeffekte, die Granular Synthesis aufgenommen hatten, weitestgehend ersetzt. Die Spasmen und sich verschiebenden Zeitsprünge der Figuren wurden intensiviert und neu kadriert, um die Farb- und Lichtausbrüche zu verstärken.

Thanks to:Tim Digulla, Ioannis Tarazi, Chris Musgrave, & Scott Arford for their technical help in additional AV editing and consolidating film shooting material. Highest appreciation goes out to Granular Synthesis, whose stark images formed the foundation of this transconfiguration.


Aus dem Amerikanischen von Susanne Steinacher, Wilfried Prantner, Michael Kaufmann