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Ars Electronica 2004
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Digital Avantgarde


'Benjamin Weil Benjamin Weil

Aus Anlass des 25. Jubiläums von Ars Electronica fand vom 21. Mai bis 18. Juli eine Reihe von Ausstellungen in New York statt. Die von Benjamin Weil, Carl Goodman und Gerfried Stocker kuratierte Ausstellung „Digital Avantgarde“, die dank der großzügigen Unterstützung von SAP bei Eyebeam gezeigt werden konnte, konzentrierte sich auf eine Auswahl von preisgekrönten Arbeiten der Kategorie „Interaktive Kunst“ des Prix Ars Electronica. Diese sehr unterschiedlichen Projekte geben einen bislang nicht dagewesenen Einblick in die Entwicklung der interaktiven Kunst als eine der zentralen Kunstformen zeitgenössischer Kultur. Eine Auswahl dieser Arbeiten ist während des Festivals Ars Electronica im Lentos Kunstmuseum Linz zu sehen.

Für einige der Projekte wurde die originale Software rekonstruiert. 1990 führten die Ars Electronica und der ORF Interaktive Kunst als neue Kategorie des jährlich vergebenen Prix Ars Electronica ein. Seither wurde der Begriff „Interaktivität“ auf vielfältigste Weise interpretiert. Der Prix Ars Electronica ist eine interessante Plattform, um 14 Jahre Geschichte eines Bereichs zu dokumentieren, der – seit digitale Kunst zunehmend in Museen und Ausstellungen auf der ganzen Welt präsentiert wird – immer mehr Anerkennung findet. In ihrer Verschmelzung von bildender Kunst und Performance kann die hybride Kunstform „interaktive Medien“ tatsächlich ein Kulturverständnis verkörpern, in dem Partizipation ein bedeutender Faktor der Einbeziehung oder Mitwirkung ist. Die in dieser Ausstellung gezeigten Arbeiten thematisieren nicht nur das Interesse des einzelnen Künstlers an der Entwicklung eines Interface, das die Beteiligung der Betrachter erleichtert; jede einzelne verweist auch auf die unterschiedlichen Interessen, die der Künstler am Dialog mit dem Betrachter hat, und die spezifischen Mittel, die für die in den Installationen thematisierten Fragen eingesetzt werden. Die präsentierten Installationen werden so weit wie möglich in ihrer ursprünglichen Form reinszeniert und spiegeln wider, dass die künstlerischen Entwicklungsprozesse nicht nur formaler Natur oder von der Technik bestimmt sind. Tatsächlich sollen diese Arbeiten den Umwälzungen in unserer von permanenten Updates geprägten Kultur gerecht werden und aufzeigen, dass sie nicht nur das Ergebnis eines technischen Prozesses sind: Ihre nach wie vor gegebene kulturelle Relevanz bestätigt einerseits ihre historische Bedeutung, andererseits aber auch die Tatsache, dass Technik nur ein Mittel zum Zweck ist. Die Neuinszenierung regt auch zu Überlegungen an, wie man mit diesen Arbeiten in Zukunft umgehen und wie man sie weiterentwickeln kann.

Die exemplarische Auswahl der Interfaces will nicht die Geschichte der interaktiven Kunst, sondern vielmehr spezifische Momente einer laufenden Recherche repräsentieren, bei der untersucht wird, wie der Betrachter in das Verständnis eines Denkprozesses eingebunden werden kann. Diese Ausstellung bietet darüber hinaus die Möglichkeit zu evaluieren, wie Künstler und andere Kulturforscher Strategien entwickelten, um mit ihrem Publikum in einen Dialog zu treten, wobei hier eine umfassende kulturelle Bewegung ihren Widerhall findet, die dem Publikum die Bedeutung der Interpretation im Prozess einer spezifischen Erfahrung von Kunst und Kultur bewusst machen wollte.

Myron Kruegers Videoplace (1985-90) wurde in der damals neuen Kategorie mit der Goldenen Nica ausgezeichnet. Diese Installation nimmt einen ganzen Forschungsbereich vorweg und postuliert den Begriff des transponierten Körpers, da das Interface auf die Körperbewegungen der Besucher reagiert und ein dynamisches grafisches Umfeld entsteht, das durch das Verhalten des Besuchers beeinflusst wird. Im selben Jahr wurde Jeffrey Shaws The Legible City ausgezeichnet. Shaws Metapher bezieht sich auf die Veränderung der Landschaft in einer Zeit, in der die Informationsgesellschaft unser Alltagsleben zu beeinflussen beginnt.

Das Interface beruft sich bewusst auf diesen Gegensatz, da ein normales Fahrrad benützt
wird, um einen Text / eine Landschaft zu „durchreisen“. Die Navigation durch das Informationslabyrinth und dessen Beziehung zur Landschaft wird auch in Paul Sermons Think about People Now (1991 – Goldene Nica im selben Jahr) thematisiert. Der Künstler verwendet die Landkarte als ein Mittel, um Informationen, die mit einem tragischen Ereignis in Verbindung stehen, zu organisieren: Ein Hyper-Media-Environment bietet einen dynamischen Zugang zu Videoclips und anderen Informationen. Diese interaktive Dokumentation stellt den Begriff der Objektivität in Frage: Der Betrachter hat aktiven Anteil an der Definition von Bedeutung, an seinem Verständnis der Dinge.

„America’s Finest“ (1989 – 93, Anerkennung 1995) von Lynn Hershman verwendet verschiedene Geräusche, Misch- und Selektionstechniken, ein Targa-Board sowie eine in C programmierte Software. Der User zielt auf irgendetwas im Raum. In dem speziell vorbereiteten Gewehr sieht er nicht nur das, worauf das Gewehr zielt, sondern auch sich selbst. Das Gewehr kann sich um 360° drehen, und durch die eingebauten Sensoren weiß es, wann es ein User aufnimmt und wann der „Abzug" aktiviert wird. In diesem Projekt verschmelzen Kriege, Waffen und Medien, die unser Leben berührt und belastet haben, zu einer Einheit.

Christa Sommerer und Laurent Mignonneau gewannen 1994 die Goldene Nica für die Installation Interactive Plant Growing (1993), bei der die Interaktion der Besucher mit realen Pflanzen zur Entwicklung eines virtuellen Gartens führt, wodurch auf den Begriff von Natur als menschliches Konstrukt sowie auf die zunehmend verschwimmenden Grenzen zwischen Realem und Virtuellem verwiesen wird.

Subjektivität steht im Zentrum von Kazuhiko Hachiyas Interdiscommunication Machine (1996 – Anerkennung im selben Jahr): Das vom Künstler entwickelte Interface ermöglicht zwei Teilnehmern, ihre jeweiligen visuellen Perspektiven auszutauschen und buchstäblich aus dem Blickwinkel eines anderen zu sehen, wodurch eine neue Form des Dialogs entsteht. Eine neue Kartografie der Kommunikation ist auch das Thema von Landscape One (1999 – Auszeichnung im selben Jahr): Luc Courchesne versetzt den Besucher mittels einer 360-Grad- Projektionsfläche in einen Park in Montreal, in dem Passanten zu sehen sind, die der Besucher in einen fiktiven Dialog verwickeln kann.

Die jüngste Arbeit, die in der Ausstellung bei Eyebeam gezeigt wurde, ist David Rokebys n-cha(n)t (2002 – Goldene Nica im selben Jahr). Die Installation umfasst sieben Computer, die miteinander eine „Gespräch“ führen. Hier bewirkt Interaktion einen Bruch, da der Input des Besuchers dazu führen kann, dass der Computer nicht mehr auf seine „Mitcomputer“ abgestimmt ist. Erst lang nachdem der Besucher wieder gegangen ist, findet der Computer wieder zu seinem „Gesang“ zurück.

Aus dem Amerikanischen von Martina Bauer